Buchrezensionen

Wilhelm Kücker: Das Ego des Architekten, Müry Salzmann Verlag 2010

Wahrlich, ein Philosoph ist Wilhelm Kücker nicht. Der Architekt und Autor legt mit »Das Ego des Architekten« jedoch eine Kritik der modernen und zeitgenössischen Architekturwelt vor, die sich gewaschen hat. Schlicht in zwei Teile eingeteilt, »Die Architektur« und »Die Architekten«, behandelt das 147-Seiten-Buch die Entstehung der Moderne in der Architektur und ihre Entwicklung bis zu Gegenwart. Benjamin Schaefer hat dieses kritische Büchlein mit geteilten Gefühlen gelesen.

Moderne – nein danke!

Wilhelm Kücker vertritt in seinem Text zwei Hauptthesen: Der radikale Bruch mit der Tradition vor allem durch Le Corbusier, van der Rohe und Gropius erschuf ein hermetisches und menschenfeindliches System. Der Mensch sei aber »zu keiner Zeit modern gesinnt«, sondern im öffentlichen und privaten Raum vielmehr auf Heimat, Schmuck und ein sicheres Umfeld bedacht. Mit vielen Zwischenschritten, die das Buch stets sehr pointiert nachzeichnet, habe das Zwanzigste Jahrhundert in diesem Zwiespalt zu einer weit gehenden ästhetischen Verarmung von Städten sowie einer global standardisierten und auf wenige Akteure beschränkten »Gag-Architektur« geführt – als solche bezeichnet der Autor etwa die biomorphen Arbeiten von Foster und Cook.
Am Ende der Entwicklung steht außerdem die Zersiedelung ganzer Landstriche. Und dann wäre da noch die Frustration beim Publikum über das Ganze. Kücker spickt seine Ausführungen, oft ironisch, mit Zitaten aus allen Sparten, von der Bibel bis Thomas Bernhard, worunter die Lesbarkeit leider stellenweise leidet.

Im zweiten Teil konzentriert sich der Autor auf die Profession des Architekten. Er zeichnet dabei die historische Entwicklung der Ausbildung vom mittelalterlichen Werkmeister zum heutigen verkammerten Dienstleister nach, wobei er an Kritik auch hier nicht spart. Verbreitete Künstler-Allüren werden von ihm ebenso demontiert wie die Fixierung auf computergestütztes Entwerfen. Bereits Gropius war nach Kücker ein »gehandicapter« Architekt, da er nicht zeichnen konnte. Wenn Mitarbeiter für den Architekten entwerfen und Bauingenieure den Plan baubar machen, fragt sich der Autor, worin die Autorschaft bei einem Gropius wie auch bei heutigen Großbüros besteht. Auch strukturelle Probleme wie die Entwicklung des Hauses zum Investitions- und Konsumgut und die Bevorzugung großer Büros bei internationalen Wettbewerben greift der Autor hier auf. Er behandelt außerdem in einem bedenkenswerten Kapitel die Geschichte der Verquickungen von Mega-Architektur mit autokratischen und totalitären Staaten.
Der Text tendiert gegen Ende zu einem Abgesang auf den Architekten als handwerklich ausgebildeten Meister seiner Zunft, wobei der Autor durchaus Perspektiven aufzeigt. Sein Credo ist ein kritischer Regionalismus, den er vor allem in der schweizerischen und österreichischen Architektur der Gegenwart findet, außerdem im Wiederaufbau von München. Baukunst kennt und braucht keinen Fortschritt, nur Wandel. Mit Loos sagt er: »Das Haus hat allen zu gefallen« und schlägt eine pragmatische Verwendung bewährter Formen vor. Als zeitgenössische Vorbilder nennt er die einzelgängerischen Architekten Murcutt und Lewerentz.

Kücker, selbst Präsident des Bundes deutscher Architekten, zeigt sich in seiner Generalabrechnung mit der Moderne als konservativer Kritiker der Architektur. Er stellt regionales Bauen als »Individualität« gegen die »Allgemeinheit« der dem Kontext spottenden, ikonenhaften Architektur unserer Zeit. Interessant ist seine Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Begriff der »Moderne« zu dem des »Regionalstils« - hier ist nicht mehr legitim, was originell ist, sondern was im räumlichen Kontext Sinn ergibt. Er verteidigt den Klassizismus etwa in Schweden und dem faschistischen Italien des 20. Jahrhunderts, da dies eine lebendige Tradition darstelle, im Gegensatz etwa zum Bauprogramm vom nationalsozialistischen Deutschland. Das schwedische »Streben eines ganzen Volkes nach einer idealen Schönheit« frei von akademischem Gehabe wird von ihm klugerweise als Zitat vorgebracht.

Wenn man sich auch mit anderen Versatzstücken aus dem konservativen Fundus, wie Zitaten von Clausewitz, Kaiser Franz Joseph und erwähnten Bibelstellen, abfinden mag, wird man den Text mit Gewinn lesen. Denn aus seinem Essay spricht sowohl Praxiserfahrung wie auch fachliches Wissen. Er macht besonders die Architekturgeschichte mit vielen Details lebendig: Wie Michelangelo, komplett unbeschlagen, zum Baumeister wurde; wie Alvar Aalto einen Kilometer Linien am Tag zeichnete; wie Le Corbusier den Tod der Straße verkündet. Das eigene emotionale Reaktionsbedürfnis verleiht dem Text einen stakkatoartigen Stil, der mitsamt der Vielzahl der Zitate allerdings öfters verwirrt. Und während etwa seine harsche Kritik am heutigen allgemeinen Öko-Boom durchaus bedenkenswert sein mag, wirken andere Seitenhiebe auf Felder außerhalb der Architektur eher fehlplatziert. Letztlich ist das Werk aber schnell gelesen und als nonkonformer, äußerst skeptischer Blick auf die Architektur der letzten hundert Jahre bis zur Gegenwart empfehlenswert.

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