Buchrezensionen, Rezensionen

William Blades: Bücherfeinde. Über Feuer & Wasser, Gas & Hitze, Staub & Vernachlässigung, Ignoranz & Engstirnigkeit, Primus 2012

Bücher können auf vielerlei Art zu Schaden kommen. Der englische Buchdrucker William Blades (1824-1890) schildert voller Humor und Liebe zum Buch die zahllosen Gefahren, denen Druckwerke zu allen Zeiten ausgesetzt waren - ob Bücherwürmer, übereifrige Dienstboten oder Kinder. Jan Hillgärtner hat sich die Revue angesehen.

Bücher sind Kunstwerke, zumindest ruht in ihnen das Potenzial, eines zu sein. Zugegeben, nicht jedes Buch muss zwangsläufig ein Kunstwerk sein. Niemand würde behaupten, ein britisches Taschenbuch – dass sich dann auch bezeichnenderweise mass market paperback nennt – hätte heute besondere Qualitäten. Das war aber in anderen Zeiten noch grundverschieden. Vor gut einhundert Jahren erschien William Blades´ Abhandlung »Bücherfeinde. Über Feuer und Wasser, Gas und Hitze. Staub und Vernachlässigung. Ignoranz und Engstirnigkeit«. In diesem Werk legte der englische Bücherkenner seine gesammelten Lebenserfahrungen im Umgang mit Büchern vor. Neu aufgelegt wurde das Buch jetzt in einer Übersetzung von Hektor Harskötter. Es berichtet davon, wie gefährdet alte Buchschätze vor den Einflüssen der Natur und des Menschen sind.

Ein Kommentator auf Spiegel Online meinte jüngst sinngemäß zur Meldung des immensen Bücherdiebstahls eines hessischen Staatsbeamten, der über Jahre hinweg Altbestände aus Bibliotheken stahl und sie in seiner Wohnung hortete: so schlimm sei das doch gar nicht. Wenigstens sind die Bücher erhalten geblieben und könnten nun mühsam den besitzenden Bibliotheken zurückgegeben werden. William Blades hätte Interesse an diesem kuriosen Fall gehabt. Obwohl der Bücherdiebstahl ein altbekanntes Problem ist – in den Klosterbibliotheken des Mittelalters wurde der Buchbestand deshalb mittels Eisenketten an den Regalen gesichert – schätzen wir heute (nicht nur) alte Bücher als besondere, oftmals künstlerisch gestaltete Zeugen vergangener Epochen. Der bibliophile William Blades hat Zeit seines Lebens Bücher gesammelt und mit seinen »Bücherfeinden« eine Sammlung der schlimmsten Bedrohungen des Buchs herausgegeben.

Geistes- und naturwissenschaftliche Forschung zu vereinen, das haben sich heute viele Forschungsprojekte unter dem Stichwort „Interdisziplinarität“ auf die Fahnen geschrieben. William Blades arbeitete interdisziplinär, bevor es dieses Wort überhaupt gab. Die heute meist metaphorisch bezeichneten Bücherwürmer sammelte und ernährte er. Bis heute ist die zoologische Beschreibung dieses Bücherfeinds in seinen verschiedenen Unterarten und Gattungen nicht vollständig erforscht. Mit einer Papierschachtel und klein geschnittenen Pergamentfetzen versuchte Blades aus einer hebräischen Handschrift entfernte lebende Bücherwürmer gezielt außerhalb ihres natürlichen Lebensraums, der Bibliothek, zu halten. Es gelang ihm nicht. Die gefangenen Exemplare lebten nur wenige Wochen und die dargereichte Papier- und Pergamentspeise verschmähten sie. Einen Lerneffekt aber hatte dieses Experiment: Bücherwürmer fressen kein Pergament. Wenn Blades ihrer nicht in der Laborumgebung des 19. Jahrhunderts habhaft werden konnte, so beschrieb er ihre Leistungen fast mit dem Unterton eines Sportkommentators: Das einzelne Buch ist die Rennbahn auf der sich nach dem Start gut 60 Würmer durchfressen, nach wenigen Seiten haben die ersten Tiere aufgegeben und am Ende des Buches ist in Blades´ Ton ein gutes Maß an Ehrfurcht vor der Fressleistung der Tiere zu erkennen.

Die eigentliche Gefahr für Bücher, der Mensch, kommt in seinem Buch nur wenig zur Sprache. Ganz am Ende widmet Blades ein Kapitel dem Buchgebrauch von Kindern, die nicht nur durch Bücher vermittelt in Fantasiewelten eindringen, sondern mit den alten Schätzen gleich ihre eigene Welt bauen. Zum Nachteil der Bücher, wie man sich denken kann. Vielleicht ist es aber genau dieses Kapitel, das uns in die Lage versetzt, den Sprung von gut 150 Jahren in die Gegenwart zu wagen. Was bei den Kindern noch verzeihliche Gleichheit gegenüber Büchern ist, ist heute zur epidemischen Umgangsform geworden. Niemand wird Anstoß daran nehmen, wenn mit einem Buch ein Möbel fixiert oder justiert wird. Wenn also Vicky Baum in einer Buchclubausgabe der 70er Jahre hinter der Werkbank im Keller herauslugt ist das sicherlich kein Verlust für die bibliophile Welt, wohl aber Zeichen für unseren Umgang mit Büchern. Wir tragen Ansprüche an das Buch heran, das dieses zur Not auch auf Kosten seines eigenen Körpers erfüllen muss. Bücher sind nicht mehr die sakralen Medien des Spätmittelalters, wohl aber haben sie – glaubt man Blades – einen Körper und eine Seele. An wenigen Stellen scheint schon der kulturpessimistische Ton durch, den man heute bei Büchermachern verstärkt findet: die Menschen wissen das Buch nicht zu schätzen. Blades entlarvt den Mangel des Wissens der Menschen über den Wert des Buches, allerdings nicht ohne, hier scheint seine Sammlerseele durch, einen eigenen Profit daraus zu ziehen. Wenn bei einer Haushaltsauflösung seltene Frühdrucke zu Schleuderpreisen verramscht werden, leidet das Herz des Bücherliebhabers, der Sammler freut sich jedoch ob der günstigen Gelegenheit an Nachschub für die Sammlung zu gelangen.

Vito von Eichborn, der alte Verleger des inzwischen untergegangenen Eichborn Verlags berichtete davon, wie er in einer New Yorker U-Bahn Leser beobachtet habe, die die zuletzt gelesene Seite aus dem Taschenbuch herausgerissen und das Buch eingesteckt haben. Genauso pragmatisch wie Kinder mit Büchern umgehen, gehen Erwachsene heute mit ihnen um. Das mag einerseits von einem emanzipierten Umgang mit einem Medium zeugen, dem lange die Aura des Unberührbaren anhing, andererseits ist die Vernichtung des Buchsein deutliches Anzeichen dafür, welche Wertschätzung mancher dem Buch entgegenbringt. Allerdings lassen sich diese Beispiele nicht nur in der Gegenwart finden. Die Ignoranz gegenüber dem Wertgegenstand des alten Buchs beschreibt Blades mit dem drastischsten Fall des „uneigentlichen“ Buchgebrauchs: dem Buch als Toilettenpapier. Blades berichtet von Fällen, in denen (die in England generell weniger stark verbreiteten) Frakturdrucke des Nachfolgers des ersten englischen Druckers, Caxton, der Kanalisation zugeführt wurden.

Es ist gut möglich, dass man nach der Lektüre mit dem neugewonnen Kennerblick in das eigene Bücherregal schaut. Nicht weil man dort bibliophile Schätze vermutet, sondern weil man nach der Lektüre das, was man an Büchern zuhause hat, besser wertschätzen wird.

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