Ausstellungsbesprechungen

William Turner - Maler der Elemente. Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 11. September 2011

Einem der größten Köpfe der europäischen Kunstgeschichte und vielleicht ersten wirklich modernen Maler ist eine wunderbare Schau im Bucerius-Kunstforum in Hamburg gewidmet. Die Bilder William Turners, dessen Werke größtenteils zum Bestand der Tate Britain in London gehören, werden nicht allzu oft außerhalb Englands gezeigt, und so ist es erst die neunte Ausstellung insgesamt, die diesen großartigen Maler in Deutschland präsentiert. Stefan Diebitz war und ist begeistert.

Eigentlich muss man nach London fahren und dort die Tate-Gallery besuchen, um die Werke William Turners bewundern zu können, aber jetzt ergibt sich eine der seltenen Gelegenheiten, seine großen Ölbilder wie auch zahlreiche Aquarelle (insgesamt 95 Arbeiten) in Hamburg zu sehen. Unter dem Titel »Maler der Elemente« hat Ortrud Westheider zusammen mit Inés Richter-Masso als Gastkuratorin eine eigenständige Schau konzipiert, die später nach Krakau in das dortige Nationalmuseum und endlich nach Margate (Grafschaft Kent) in das »Turner Contemporary« gehen wird.

Es sind die vier Elemente, die nicht allein für den Titel der Ausstellung verantwortlich zeichnen, sondern die Schau auch strukturieren. Seit zweieinhalbtausend Jahren galten als die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, aber William Turner lebte genau in jener Zeit, in der dieses Weltbild durch die Naturwissenschaft abgelöst wurde. Die Chemie machte deutlich, dass die Luft sich ebenso wie das Wasser oder die Erde in verschiedene Bestandteile zerlegen ließ, also mitnichten ein Element darstellt. Für Turner waren deshalb, wie Michael Philipp in seinem Katalog-Beitrag zeigt, »die vier Elemente nicht mehr Medium der Welterklärung, sondern der Weltbeschreibung. Indem er die Elemente in ihren Phänomenen erfasste […], übertrug er die Elemente-Darstellung auf die Landschaft«. Vielleicht kann man auch sagen, dass seine Kunst (ähnlich wie der »Kosmos« Alexander von Humboldts) einer der letzten Versuche darstellt, uns die Anschauung der Natur zu erhalten, bevor sich unser Bild von ihr endgültig in abstrakte Formeln verflüchtigt.

Turner studierte die Elemente zwar zunächst isoliert, aber worauf es ihm ankam und worauf das fünfte Kapitel von Katalog und Ausstellung mit der Überschrift »Fusion« reagieren, war die Zusammenführung der Elemente. Besonders in diesen Bildern scheint Turner fast zur Abstraktion durchzubrechen, und der Betrachter muss schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass hier immer noch ein gegenständlicher Maler am Werke war. Dass dieser Künstler Kritiker wie Publikum nachhaltig irritierte und sogar zurückstieß, mag man gerne glauben. Im Grunde ist es aber so, dass sich Turner gar nicht vom Gegenstand ab-, sondern nur der Wahrnehmung zuwandte. Seine Bilder sind deshalb immer und auf jeden Fall gegenständlich, selbst wenn sie sich in einen Wirbel von Farbe aufgelöst haben.

In ihrer Einführung in das »Fusion«-Kapitel zeigt Richter-Musso den Weg Turners auf. Turner akzeptierte nicht länger die klassisch getrennten Bildbereiche, deren Darstellung er selbst in seiner Eigenschaft als Professor für Perspektive lehrte, sondern entwickelte seine Bilder ganz aus dem Zentrum, nicht zuletzt von seinem Interesse an der Physiologie der Wahrnehmung geleitet. Es gibt etwa Bilder, die den Blick in die Sonne darstellen. Und immer häufiger griff Turner auf die Darstellung des Wirbels zurück, der die Elemente in einer sich steigernden Dynamik ineinander fließen und verfließen ließ. Es ist diese Dynamik, die zu einer zunehmenden Entmaterialisierung seiner Gemälde führt, und zusammen sind es die Bewegung der Natur und unsere Wahrnehmung, die zu einer immer weiter fortschreitenden Reduktion der Details zugunsten eines Gesamteindrucks führen, zu dem Versuch, »Landschaft ausschließlich in Farbe darzustellen«. Wie man sieht, sind diese Bilder also immer noch gegenständlich. In den Worten Richter-Mussos: »Die schemenhaften Andeutungen der Frühmorgen-Ansicht lassen sich kaum noch auf Objekte zurückführen. Das Licht, das sie umgibt, ist zum Thema geworden, das Stoffliche geht in Licht und Atmosphäre auf«.

Begann Turner von Null? Die Anekdote, nach der der Besucher seines Ateliers erst eine Weile in einem abgedunkelten Raum verbringen musste, damit seine Augen »vergaßen«, scheint diese Annahme zu bestätigen, und eigentlich weist sie wie so vieles an diesem Maler weit voraus, nämlich auf die Wahrnehmungspsychologie des 19. Jahrhunderts. Aber von Null begann ein Turner gewiss nicht, ganz im Gegenteil. Es ist erstaunlich, wie sehr dieser vielleicht größte Revolutionär der Kunstgeschichte von und aus der Tradition gelebt hat. So zeigt Westheider in ihrem Katalogbeitrag, in welchem Ausmaß die Rezeption des Rubens-Gemäldes »Quos ego! – Neptun, die Wogen besänftigend« von 1635 Einfluss auf das Schaffen des englischen Malers nahm. Wesentlich für Turner waren auch die Maler des »Goldenen Zeitalters«, also der großen Niederländer des 17. Jahrhunderts, die der sehr reiselustige William Turner vor Ort studierte. Der große Neuerer schloss mit seinen Marinestücken ganz direkt an Künstler an, welche die Hamburger Kunsthalle erst im letzten Sommer in »Segeln, was das Zeug hält!« präsentierte. Die niederländischen Künstler jener Zeit hatten mit größtmöglicher Meisterschaft genau das gemalt, was Turner selbst so über die Maßen faszinierte: die tobenden oder auch still ruhenden Elemente, den Gischt, feinen Regen über der grauen See oder ziehende Wolken. Ein Fischerboot, das sich vor dem aufziehenden Sturm eben noch auf den Strand gerettet hat, fand bzw. findet sich in beiden Ausstellungen.

Turner stand nicht allein im ständigen Gespräch mit den großen Kunstwerken der Vergangenheit, sondern er kannte und verfolgte auch sehr aufmerksam die Fortschritte der Naturwissenschaften, ohne deren – teils wohl sehr detaillierte – Kenntnis sein Werk überhaupt nicht zu denken wäre. Rein äußerlich wird das daran deutlich, dass die Royal Academy und die Royal Society aneinander grenzten, und es wird sogar behauptet, dass die Wände der Gebäude derart dünn gewesen seien, dass die Künstler die Verhandlungen der Naturwissenschaftler in ihrem eigenen Haus verfolgen konnten. Auch gab es, was wohl heute absolut undenkbar wäre, Doppelmitgliedschaften, und der Turner-Biograf James Hamilton belehrt uns in einem glänzend geschriebenen Katalogbeitrag über Turners Begegnungen mit prominenten Naturwissenschaftlern und den Wandel und das Wachsen seiner Auffassungen. In jedem Fall kannte Turner die Diskussionen und Streitpunkte genau, und seine Kunst ist durchaus die Kunst eines gelehrten Menschen.

Katalog wie Ausstellung kann man gar nicht warm genug empfehlen.

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