Ausstellungsbesprechungen

Winfried Reinhardt – Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft, Galerie Schleuse 16, Böblingen, bis 22. Juli 2012

Die Ausstellung widmet sich der lakonischen Ästhetik des Lichtschalters. Dieser wirft nämlich dank seiner Vielfalt auch ein erhellendes Licht auf unsere Kulturgeschichte. Günter Baumann erklärt Ihnen, wie die Reinhardtschen Fotografien von Produktionsstätten dazu passen.

Der Kunstverein Böblingen zeigt Fotografien von Winfried Reinhardt, der sich – neben diversen Industriemotiven – in einer Serie von Bildern mit dem Lichtschalter – samt Steckdosen – als Kulturgut auseinander setzt. Das mag als Thema verwundern, entfaltet aber einen erstaunlich ästhetischen Charme. »Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft« nennt Reinhardt die Schau in der »Schleuse 16« des Alten Amtsgerichts Böblingen, die Präzision und Poesie trefflich vereint. Entstanden sind die Fotografien u.a. in der alten Pforzheimer Kaserne, die inzwischen teilweise abgerissen wurde, womit die Vergangenheit schon schmerzlich bewusst geworden ist: Begreift man das fotografische Detail als Pars pro toto, wird rasch deutlich, dass die Abrissbirne zwar baufällige Altlasten entsorgt, damit jedoch auch ein Stück gelebtes Leben zugrunde geht.

Winfried Reinhardt nutzt die technischen Möglichkeiten der Fotografie, um Stimmungen zu erzeugen und festzuhalten, Erinnerungen wach zu halten. Mit großem bildnerischem Feingefühl erfasst er die Oberfläche der Dinge und enthüllt die Inhalte dahinter. In der Präzision des fotografischen Blicks entfaltet sich die Magie eines Bildes, das wir für gewöhnlich kaum beachten, etwa der abblätternde Verputz einer Wand, der hinreißende Strukturen hinterlässt, die fast liebevoll bemalte Lichtschalterabdeckung oder überhaupt eine Übermalung der Wand, die einen ästhetischen Willen im alltäglichen Umfeld verrät.

Wenn auch ganze Schaltkreise hinter den fotografierten Wänden offenbar werden, widmet sich die aktuelle Ausstellung des Kunstvereins insbesondere der lakonischen Ästhetik des Lichtschalters, der in der erstaunlichen Vielfalt seiner Erscheinung ein Stück Kulturgeschichte erhellt und zudem als Teil des Ganzen auch eine Ahnung von der Architektur darum herum vermittelt – samt den Lebensumständen, die sich darin äußern. Das Überraschende ist die Monumentalität der banalen Dingwelt und der Ernst, der in der ausgeklügelten Komposition zum Vorschein kommt. Die Hinfälligkeit der durch den gewählten Ausschnitt vertretenen Architektur, die hier einhergeht mit dem klassischen Thema der vergänglichen Schönheit, zeugt von einem fast »poetisch dokumentarischen Blick« (Regina M. Fischer) des Fotografen.

Die Gegenwärtigkeit spielt insofern in das Bild der Vergänglichkeit herein, als Reinhardt sich in seinen Aufnahmen vergewissert, wie sich im Moment der Ablichtung die Farben zueinander verhalten, wie sich die Zeitebenen darin widerspiegeln – etwa in den Übermalungsschichtungen oder auch in den ans Morbide reichenden Abnutzungsspuren. Und die im Titel angekündigte Zukunft? Die dürfte in der Hoffnung bestehen, dass trotz der möglicherweise notwendigen Zerstörung alltagsgeschichtlicher Architektur eine bildhafte Erinnerung bleibt, die die Würde auch schnell übersehener Details evoziert. Diese Würde wird auch vermittelt durch die Größe der Aufnahmen, als Format wählt Reinhardt vorwiegend 80 auf 80 cm, sowie durch die Hängung an Stahlseilen, die dem bloß Dokumentarischen entgegenwirkt – das meist in der Natur der Industriefotografie liegt.

Winfried Reinhardt, geboren 1959 in Freudenstadt, studierte nach seiner Ausbildung zum Fotografen Fotoingenieurwesen in Köln. Lehraufträge erhielt er an der Hochschule in Pforzheim und an der Südwestdeutschen Akademie Stuttgart. Auf seinem Lebensweg liegen Assistenztätigkeiten beim WDR in Köln und beim SWF in Baden-Baden, bevor er sich 1989 als Industriefotograf und seit 1996 auch als Theaterfotograf profilierte. Gerne sucht er historische Bauten auf, grade auch Nutzarchitektur wie aufgegebene bzw. verlassene Gaskessel oder Kasernen, die er mit neuem Leben erfüllt oder in der gelenkten Anschauung des Fotografen anders erlebbar macht. Dabei vermeidet er weitgehend die digitale Nachbearbeitung, um der künstlerischen Umsetzung keine künstliche Fassade überzustülpen.

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