Ausstellungsbesprechungen

Wolfgang Bier. Plastiken, Wandobjekte, Zeichnungen

Das Museum Würth präsentiert mit rund 130 Arbeiten des Bildhauers Wolfgang Bier (1943-1998) eine der wichtigsten Ausstellungen der Saison in Baden-Württemberg. Bevorzugt mit Eisen und Leder schafft Bier ein Bild des geschundenen und bis ins Mark bedrohten Menschen, und er reiht sich damit (an der Spitze) ein in die Tradition der gegenständlichen Plastik seit Giacometti und González - mit Avramidis, Brodwolf, César, Cimiotti, Croissant, Lothar Fischer u. a.

Namentlich seine Lehrer Hannes Neuner, Rudolf Hoflehner und der Cobra-nahe Shinkichi Tajiri (mit seinen aggressiv-eleganten Samuraifiguren) haben Wolfgang Bier geprägt. Hoflehners Diktum, man müsse das Vergängliche, nicht das Zeitlose darstellen, hat er früh verinnerlicht, auch die fatale Erkenntnis, dass hinter der Schönheit der Natur auch Grausamkeit herrsche. 

»Die Waffe« ist Biers ausdrückliches Assoziationswort: »Und die Verletzung, Aspekte meiner Arbeit. Das Verletztsein, die Kränkung, die malträtierte Haut. Die Spuren: Schnitte, verkrustet, vernarbt.« Eisen und Leder sind jedoch nicht nur Materialien aus dem Waffenarsenal der inzwischen historischen Kriegsgeschichte und weiterhin Symbol martialischer Gewalt und Aggression, sondern auch Grundelemente der Rüstung, Zeichen des Schutzes. Das Leder verwendete Bier synonym für die menschliche Haut - die ebenfalls Schutz und Angreifbarkeit in einem darstellt. Der hoch sensible Künstler, der nach Auskunft seiner Schülerin und späteren Frau Gabi Welters-Bier kaum Gewaltszenen im Fernsehen ertragen konnte, verherrlichte oder ritualisierte keineswegs die Existenz des Grauens (wie man es in Zeiten der Postmoderne beobachten konnte); er versuchte sie geradezu zu bannen, »jenseits von Artistik und Effekt, von Markt und Trend« (Bier, 1985). Die »menschlich-unmenschliche« Bilderwelt Franz Kafkas - vor allem aus dem Werk »In der Strafkolonie« - übertrug er dabei in seine schwer zugänglichen Objekte aus Alteisen und Maschinenschrott.

In seinem späteren Arbeiten tauchen immer häufiger fliegende und zugleich fallende Gestalten auf, die sich am Ikaros-Bild orientieren; überzeugender noch als z. B. Gunther Stilling wird Bier hier zum Erneuerer des Mythos, wie es vergleichbar nur Tinguely mit seinen Sisyphos-Instrumentarien erreicht. Auch Papier gewinnt im späteren Werk an Bedeutung, was nur scheinbar eine Kehrtwende von der Schwere und Drastik von Biers beiden bis in die zweidimensionalen Arbeiten hineinreichenden Primärwerkstoffen hin zur »leichten Muse« bedeutet, im Gegenteil: Bogenweise schichtet der Bildhauer das Papier zu monumentalen Collagen zusammen, um sie hinterher zu zerschlitzen, zu aufgerissenen Köpfen im Raum umzuschaffen, womit er wieder ganz bei seinem Thema der schwerwiegenden Bedrohung ist. Den Werken gemeinsam ist allerdings bei aller schmerzhaften Angstpsychose und existenzieller Kälte die angestrebte Wahrhaftigkeit des Tuns und die letztlich erkennbare Faszination für das Rätsel Mensch.

Die Retrospektive wird begleitet von einem exzellent bebilderten Katalog, der neben den ausgestellten Arbeiten auch ein Werkverzeichnis bietet.

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