Ausstellungsbesprechungen

Wolfgang Gäfgen – Holzdrucke: Gedankensplitter, Städtisches Kunstmuseum, Reutlingen, bis 23. Januar 2011

Das Kunstmuseum Spendhaus konnte in diesem Jahr vom Künstler ein umfangreiches Konvolut seiner großformatigen Unikate als Schenkung entgegennehmen. Aus diesem Anlass zeigt das Museum unter dem Titel „Gedankensplitter“ eine exemplarische Auswahl seiner Holzdrucke. Günther Baumann hat die Ausstellung für uns besucht und gibt Anregungen für Kurzentschlossene, die sich die Werke des Künstlers noch anschauen möchten.

Wieviel ein guter Name wert ist, erfuhr das Städtische Kunstmuseum/Spendhaus in Reutlingen: Die Hochburg des Holzschnitts mit besonderem Focus auf das Werk von HAP Grieshaber erhielt von Wolfgang Gäfgen ein größeres Konvolut mit rund 70 Arbeiten, die nun hier in einer Auswahl zu sehen sind. Indirekt feiert das Haus damit auch den 75. Geburtstag des Künstlers, der 1936 in Hamburg geboren wurde. Der ehemalige Mitarbeiter Johnny Friedlaenders in Paris gehört spätestens seit seiner Teilnahme bei der Documenta 6 (1977) zu den renommiertesten Vertretern der Druckgrafik. Als Radierer und insbesondere Erneuerer der Mezzotinto-Technik hatte er sich längst einen Namen gemacht, als er sich in den 1980er Jahren dem Holzschnitt zuwandte. Mit der Wende vom Tief- zum Hochdruck war auch eine Rückbesinnung auf seinen Lehrer Karl Rössing an der Stuttgarter Kunstakademie verbunden, wo Gäfgen selbst von 1983 bis 2002 eine Professur inne hatte. Er – neben Gieshaber einer der bedeutendsten deutschen Holzschneider im 20. Jahrhundert – hatte zwar als figurativ arbeitender Künstler in der Nachkriegszeit keinen leichten Stand, als gerade in Deutschland die abstrakte Kunst mit Willi Baumeister ihre Glanzzeit hatte, doch konnte er eine beachtenswerte Gruppe von Schülern um sich scharen, von denen manche noch auf ihre Wiederentdeckung warten. Die bekanntesten Namen sind Günter Schöllkopf, ein genialer Zeichner und Radierer, der leider viel zu früh starb und als Geheimtipp gilt und Robert Förch, der in der Tradition von Rössings Linolschnitten steht und noch in diesem Jahr mit einer großen Ausstellung in Heilbronn geehrt wird. Bemisst man die pädagogischen Qualitäten des Lehrers an den von ihm erkannten und geförderten Gegenpositionen, ist Rössings Bedeutung kaum hoch genug zu loben – gehören doch zu seinen Schülern auch der Fotograf Bernd Becher und der Buchgestalter Hans Peter Willberg oder der Grafiker und Konstrukteur Friedrich Meckseper, die weniger als Förch, Schöllkopf oder eben auch Gäfgen der Schule zuzuordnen sind.

Wolfgang Gäfgen vermeidet jegliche ›holzschnitthafte‹ Erscheinung seiner Arbeiten: sowohl die expressive Rodung des Holzes als auch die flächenhafte Grenzziehung sind ihm suspekt. Stattdessen liegt er näher an der Zeichnung und sogar der Malerei, die ihm die Möglichkeit geben, reine Formenspiele mit gegenständlichen Themen zu kombinieren – da er in der Regel auf Titel verzichtet, ist die Assoziationsbreite ein schieres Vergnügen für den Betrachter, zumal sich der Künstler nicht mit kleinen Formaten begnügt, im Gegenteil: Oft reichen die Höhen an die zwei Meter, in Einzelfällen auch darüber hinaus. Dass er dabei ganz leichte, spielerische Kompositionen entwirft, beweist die technische Souveränität. Auch inhaltlich bzw. motivisch ist Gäfgen ein genialer Spieler, stellt einerseits banale Gegenstände in eine bedeutungsschwere Pose und streift andrerseits kunsthistorische Zitate wie beiläufig. Dem Betrachter bleibt eine Melange aus fragmentarischen Elementen, die sich wiederholen, spiegeln oder in anderer Formation wiederfinden – Gedankensplitter eben, wie uns der Titel der Ausstellung verrät. Häufige Motive sind Vasen, Trichter, Regale, auch Stühle, Lampen usw. tauchen wie Déjà-vu-Erlebnisse aus dem Papiergrund auf. Das menschliche Gedächtnis, so zeigt sich, ist ein unerschöpflicher und noch nicht einmal chaotischer Kreativraum – es ist an uns, ihn in Gedanken zu füllen, ihn einzurichten.

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