Buchrezensionen, Rezensionen

Wolfgang Müller: Kosmas, Verbrecher Verlag 2011

Des Hofnarrs wütende Freude am Widersinn: Der Künstler und Mitbegründer der Berliner New-Wave-Band »Die Tödliche Doris«, Wolfgang Müller, hat in seiner Satire »Kosmas« über Haie und Kunstsammler geschrieben. Damien Hirst und dessen in Formaldehyd konservierter Tigerhai ― der Name des reichsten Künstlers Großbritanniens ist mitnichten verfremdet ― werden zum verhassten Inbegriff einer dekadenten, raffgierigen Kunstwelt. Der Sammler ist selbstredend in psychiatrischer Behandlung, der Kunsthändler ist Werbefachmann, den Hai präpariert natürlich der Leichenplastinator Gunther von Hagens. Sonja Lüke hat sich durch die handlungsarme Verquickung von echtem und erfundenem Unsinn gearbeitet und den zartbitteren Witz der Bedeutungshuberei nicht so recht verstanden.

Loriot hat in dem Moment aufgehört, als seine Zuschauer seine Nachrichtensendung ernst genommen haben. Zumindest mit dem Versuch, ausgerechnet die absurde Realität durch erfundenen Unsinn zu bereichern. Die Zuschauer haben sich über den fiktionalen Unfug weder gewundert, noch amüsiert. Offenbar waren sie sehr viel Unglaubliches gewohnt. So manches wird ohnehin als Ironie aufgefasst, bevor man voller Verwunderung bemerken muss, dass das jetzt ernst gemeint war. Wenn Comedy und Realität sich zu sehr ähneln, wo bleibt der Witz von Satire? Monty Python oder Hape Kerkeling alias Chefredakteur Horst Schlämmer dagegen haben nie aufgehört. Warum eigentlich? Das Lachen über die ewig gleichen menschlichen, allzu menschlichen Verwirrungen und Verirrungen machen einfach Spaß. Wenn jemand absurde Entwicklungen aufgreift und dabei den Nerv der Zeit trifft, stört man sich sogar nicht an einem an sich unverständlichen Dialekt, wie etwa bei Gerhard Polt.

Die Gratwanderung zwischen Persiflage und Geschmacklosigkeit ist schmal, zugegeben, aber wer sogar ohne Namensverfremdung einen verbitterten Rundumschlag wagt, hat den Vergleich mit den Virtuosen von tiefgründiger Satire verdient. Mindestens. Die Story beginnt moralinsauer bis kitschig mit einem Erweckungserlebnis, das der Künstlerlaufbahn von Damien Hirst die Weichen stellt: In der Tate-Gallery in London fällt ihm auf, dass sich die Ausstellungsbesucher mehr für die eingesperrte Hornisse im Fenster interessieren als für die Kunstwerke. Daraus schließt er: »Die Menschen wollen berühren und sie wollen berührt werden. Sie brauchen etwas Echtes, keinen Stahl, kein Gummi, kein Kunststoff, keine Distanz – nein, sie möchten etwas unmittelbares, etwas Reales, sie wollen einen echten Körper. Im Grunde genommen wollen sie das Leben selbst!« Merkwürdig, wenn die Wirkung auf das Publikum vorrangig ist. Als ginge es um Einschaltquoten und DSDS, um Effekthascherei. Das eigentliche Feindbild des Autoren enstammt mehr der Musikindustrie als dem Kunstbetrieb: Die Kunsthochschule befindet ihn für »flexibel, formbar, anpassungsfähig, superehrgeizig, also hochtalentiert für den Kunstbetrieb«. Scheinbar führt hier Dieter Bohlen das Wort. Der Autor brüskiert sich darüber, dass ein Künstler heutzutage nicht mehr talentiert, sondern nur noch originell sein muss, dass bei einem Kunstwerk nur noch dessen materieller Wert Gewicht hat, und dass der Kunstmarkt von einigen wenigen, einflussreichen und fragwürdigen Autoritäten manipuliert wird.

Kapitelüberschriften wie »Der neo-individualliberale Siegeszug« oder »Kippenbergers ALDI-Manifest« sind witztötend. Spürbare Wut und Feindbildpflege auch. Vielleicht ist auch Neid das Schlüsselwort, wenn Satire in den stickigen Bierdunst von Stammtischdumpfheit kippt. Wer nie dahin abdriftet, ist zum Beispiel Helge Schneider, der musikalische Meister des gehobenen Blödsinns. In seinen virtuos sinnfreien Storys führt er literarische Klischees zusammen und vermischt effektsicher die verschiedenen Stilebenen. Man findet sich verwirrt, aber doch amüsiert, sogar damit ab, dass der Plot fehlt.

Die Story »Kosmas« dreht sich letztlich um die Problematik: Wie bewertet der Mensch von morgen die Taten von heute? Der verfaulende Hai, dessen penetranter Gestank das Haltbarkeitsdatum von heutiger Kunst symbolisieren soll, ist für die Beantwortung nicht nur der Schlüssel, sondern auch wundersame Heilquelle, wie sich im Jahr 2567 herausstellt. Das Fazit des Autors, Künstlers, Punk-Musikers und Missverständniswissenschaftlers Wolfgang Müller: »Nirgendwo konnte so schnell derart einfach viel Geld in kürzester Zeit verdient werden wie im Kunstbetrieb«.

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