Buchrezensionen, Rezensionen

Wolfgang Ullrich: An die Kunst glauben, Wagenbach 2011

Kunst und Religion: ein altes Thema und, wie Wolfgang Ullrich zeigt, eine höchst aktuelle Geschichte über Glauben, Skepsis, Konkurrenz, Kritik und Markt. Elena Korowin hat das Buch gelesen.

In seinem neuen Buch widmet sich der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich der Frage nach der Verbindung zwischen Kunst und der Religion bzw. nach der Existenz einer Kunstreligion in unserer Zeit. Die Untersuchung beginnt mit der jüngsten Vergangenheit – dem Streit des Spätsommers 2007 über Gerhard Richters Kirchenfenster im Kölner Dom. Ullrich zeichnet die Auseinandersetzung zwischen Kardinal Joachim Meisner und Werner Spies nach und spekuliert, wie diese weiter gehen könnte. Er bezeichnet die Situation als einen »Streit zwischen Religion und Kunstreligion«. Dabei sind beide Parteien überzeugt, dass die Kunst einen transzendentalen Charakter besitzt, Meisner erwartet von ihr die Darstellung der Wahrheit und Spies möchte die abstrakten Fenster Richters verteidigen, indem er sie als Projektionsfläche beschreibt. Man ist inmitten eines Streites zwischen zwei Religionen und spürt deutlich die Problematik, wenn Kunst nur als etwas gesehen wird, das Möglichkeitsräume eröffnen soll und nichts weiter zur Ausbildung einer Meinung beiträgt.

In den weiteren sieben Kapiteln bietet Ullrich diverse Beispiele für die Verbindung von Kunst und Glauben. Eine spannende These wird an Julius Langbehn angewendet, dieser sah nämlich die Rettung des rationalen protestantistischen Deutschlands ausschließlich in der Kunstreligion, vor allem sollte die Kunst von Rembrandt zu dieser Rettung beitragen. Diese Überlegungen baute er weiter mit Unterstützung des Theologieprofessors Paul Wilhelm Keppler aus und konvertierte nach einem langen Prozess der Verinnerlichung religiöser Werte schließlich zum Katholizismus. Diese religiöse „Karriere“ kann man an einigen anderen Beispielen nachverfolgen und feststellen, dass der Weg aus der kargen rationalen und bilderarmen Welt der protestantischen Religion über die Kunst zum Katholizismus führen musste.

Diese durchaus scharfsinnige Untersuchung beschreibt die Entwicklung der Kunstreligion und ihre Funktion innerhalb unserer heutigen Gesellschaft. Diese Fallbeispiele sind keineswegs affirmativ, sondern bieten Anlass zum Nachdenken und stellen einige schwierige Fragen: Was ist denn in unserer heutigen Zeit die Aufgabe der Kunst? Transzendenz und Magie oder Erziehung und Bildung? Unversehens befindet sich der Leser nun auf der Suche nach einer passenden Antwort. Ist denn die Kunst nur noch eine Flucht der enttäuschten Gläubigen, die eine neue Erfahrung der Transzendenz jenseits der Kirche suchen? Zeichnen wir in unserer Gesellschaft den Weg Langbehns in die entgegengesetzte Richtung nach? Enttäuscht von den katholischen und protestantischen Kirchenvertretern und ihren Skandalen suchen da nicht immer mehr Menschen einen neuen Halt? Vielleicht wird die Kunstreligion in der kommenden Zeit immer mehr Anhänger finden. Was dabei mit der Kunst selbst passiert und ob ihre Qualität und Selbstbehauptung dabei zerstört wird, darüber kann man heute nur Vermutungen anstellen.

Wolfgang Ullrich bietet einen sehr interessanten und vielseitigen Einstieg in das komplexe Thema und lässt dabei genug Raum für die eigenen Überlegungen des Lesers.

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