Buchrezensionen, Rezensionen

Wolfgang Ullrich: Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen, Wagenbach 2009

Nachdem Wolfgang Ullrich in mehreren Büchern die Entleerung des Kunstbegriffs kritisch betrachtet hat, ist er diesmal voll des Lobes - er würdigt die Reproduktion, die häufig eine Weiterentwicklung und Vollendung des Originals ermöglicht. Unsere Autorin Elena Bozhikova hat sich einmal näher mit dem Buch beschäftigt.

Raffinierte Kunst © Cover Wagenbach
Raffinierte Kunst © Cover Wagenbach

Spricht man über Reproduktionen, so sehen die meisten vor ihrem inneren Auge einen gerahmten Kunstdruck über dem Fernsehsofa. Eine Reproduktion kann aber viel mehr, als nur die Wohnzimmer und Arztpraxen zu schmücken. Wolfgang Ullrich bietet in seinem neuen Buch einen spannenden Parcours durch die Welt der Reproduktionen. Seine Essays nennt der Autor selbst »Übungen« – neun davon finden sich in dem vorliegenden Band mit dem Titel »Raffinierte Kunst«. Schon der Name verweist auf die unterschiedlichen Bedeutungen und Aufgaben, die eine Reproduktion haben kann: „raffiniert“ kann sowohl „veredeln“ und „verfeinern“, als auch „listig“ bedeuten. Und so zeigen sich auch die verschiedenen Beispiele aus dem Buch. Während im 19. und 20. Jahrhundert der Kult des Originals gepflegt wurde und Walter Benjamin den Verlust der Aura durch Reproduktionen beklagte, wurde schon seit dem 15. Jahrhundert die Urteilsbildung des Publikums durch Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen verfeinert. Die Reproduktionen ersparten Vielen den kostspieligen und langen Weg zu den Kunstwerken, indem sie sie in das eigene Heim brachten. Die Reproduktionen suggerierten eine Meisterlichkeit, die viele Originale gar nicht vorweisen konnten. Deshalb kam es oft zu Enttäuschungen, wenn man den langen Weg auf sich nahm, zu einem Kunstwerk zu pilgern. Kopisten waren lebenslange Produktionspartner von angesehenen Künstlern, viele sahen die angemessene Würdigung ihrer Arbeit in der vielfachen Produktion. Dabei wurden die Originalwerke in den Reproduktionen neu interpretiert und inhaltlich oder ästhetisch verbessert, wie die Beispiele des Kunstwissenschaftsprofessors Wolfgang Ullrich beweisen. Dante Gabriel Rossettis Frauengestalten wirken auf den schwarz –weißen Arbeiten von Frederick Hollyer viel harmonischer und bewegender. Rubens war der „Übersetzer“ seiner eigenen Werke – minutiös wurden große Arbeiten für den Reproduktionsgrafiker vorbereitet, die Motive wurden inhaltlich und stilistisch verändert, um ein größeres Publikum zu erreichen. Auch die Fotografie ist nach einigen Anfangsschwierigkeiten zum beliebten Reproduktionsmedium avanciert, das teilweise das Originalwerk völlig ersetzen kann. Ein Beispiel dafür sind temporäre Werke wie etwa Performances. Auch die Land Art, bedarf der Fotografie oder des Videos, um ein breites Publikum zu erreichen oder besser zur Geltung zu kommen, wie Michael Heizers riesige Tierformen in der Wüste, die nur aus der Vogelperspektive wahrnehmbar sind.

Wolfgang Ullrich hält ein überzeugendes und lesenswertes Plädoyer für die Reproduktion als einen notwendigen Teil unseres Alltags, unserer Kultur- und Kunstgeschichte. Die Verehrung des Originals ist längst reaktionär und unhaltbar geworden. Anhand vieler Beispiele und einzeln betrachteter Aspekte der Entstehung von Reproduktionen durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag kann er diese These überzeugend vertreten und nahezu jeden Leser zum Fan von Reproduktionen machen.

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