Ausstellungsbesprechungen

Wolken – Welt des Flüchtigen, Leopold Museum Wien, bis 1. Juli 2013

Luftig geht es zu im Wiener Leopold Museum. In seiner aktuellen Ausstellung widmet sich das Haus den Wolken, einer – wie der Untertitel sagt – »Welt des Flüchtigen«. Günter Baumann war vor Ort.

Dass der bewölkte Himmel immer schon einen enormen ästhetischen Reiz ausstrahlte, kann man über die ganze Kunstgeschichte hinweg beobachten. Freilich, der Himmel kam zunächst als symbolische Grundfläche ins Bewusstsein der Maler, dann auch als dramatische Transzendierung irdischer Begebenheiten im kosmischen Zusammenhang (man denke an Altdorfers »Alexanderschlacht«), doch war offenbar auch die Betrachtung der Wolken als pures Phänomen schon früh von Interesse, von der Donauschule über die grandiosen Inszenierungen der Niederländer im 16. und 17. Jahrhundert bis hin zur realistischen Beschreibung ab dem 19. Jahrhundert.

Dass diese Entwicklung in der wachsenden wissenschaftlichen Neugier für die Wolken als Boten klimatischer Ereignisse und Garanten für den Erhalt der Landwirtschaft, mithin als existenzsichernde Erscheinungen mündet, ist Grund genug, die Wolken als Protagonisten einer groß angelegten Ausstellung zu präsentieren. Die Kuratoren Tobias G. Natter und Franz Smola haben diese überfällige Aufgabe übernommen und das Thema in all seinen Facetten beleuchtet.

Um gleich einen kritischen Vermerk vorwegzunehmen, der unvermeidlich ist: Obwohl über hundert Künstler mit gut und gern dreimal so vielen Arbeiten vertreten sind, drängen sich beim Rundgang immer wieder Namen auf, die man vermisst (etwa Daniel Arshan, der installative Pixel-Clouds fabriziert), auch Beispiele aus älteren Epochen, die hier ausgeklammert wurden (die Ruisdael-Familie, die van Goyens). Berechtigt mag ein solcher Vorwurf dort aufkommen, wo man etwas ermüdet bei den schier unzähligen frühen Fotografien, die sich wissenschaftlich mit den Cirrus-, Cumulus- u.a. Wolken befassen. Es mag auch sein, dass die originelle Vitrinenleiste mit Schallplattencovern, die im Motiv oder über den entsprechenden Inhalt das Thema aufgreifen und als roter Faden interpretiert werden könnte, wenig erhellend ist – gleichwohl gibt sie der Schau eine persönliche Note, die auch die Auswahl als eben notgedrungen subjektiv durchgehen lässt. Gewollt oder ungewollt, geben die aneinandergereihten Schallplattenhüllen der Schau einen Retro-Charakter, zumal jüngere Besucher kaum anderes damit verbinden können. Ex negativo kann das zum Gewinn an Erkenntnis führen.

Aber das ist einerlei, funktioniert der Retro-Aspekt in der Kunst doch bestens: Andy Warhols neuinszenierte Kissen-Flugshow von 1966 verlockt gerade Jüngere (und die älteren Retro-Fans sowieso) zum ›Mitspielen‹: die heliumgefüllten Kunststofffolienkissen verändern ihre Flugbahn in der Berührung. Allein schon diese Arbeit hebt die Ausstellung in echt luftige Höhen, die Bild für Bild beschworen werden, selbst da, wo man das gar nicht vermutete: Max Beckmann, Paul Cézanne, John Constable, Caspar David Friedrich, Erich Heckel, Ferdinand Hodler, Anselm Kiefer, Claude Monet, Gerhard Richter, William Turner – um nur ansatzweise einen Rahmen der teils schwergewichtigen Positionen zu geben.

Man kann ästhetisch schwelgen, sich tragen lassen oder auch bange vor den bedrohlichen Wolken zurückweichen: wobei da noch nicht einmal das Gewitterbild schreckt als vielmehr die Lokomotiv-Qualmwolke, Industrieschwaden oder der wolkig-schöne Atompilz. Allemal loten die luftigen Gebilde den Raum zwischen Erde und der unendlichen Weite aus. Der Arbeitstitel war tatsächlich »Bilder zwischen Himmel und Erde«: zum Glück hat die Poesie Hand angelegt und den schwebenden Grundton über alle Bedenken einer oberflächlichen Überblicksschau hinweggehoben.

William Turner kam gleich mehrfach über den Kanal aufs Festland, und mit ihm die Impressionisten – da wolkt es allenthalben, dass man ganz locker fast das Thema aus den Augen verliert. Das Abschweifen sei aber erlaubt: wer wollte denn ein allzu zementiertes Bild der Wolken kennenlernen, die man wirklich kaum greifen kann.

Überraschungen finden sich allerdings auch woanders ein: Der Romancier Adalbert Stifter entpuppt sich als genauer Beobachter des Wolkenspiels; Arik Brauer, sonst leider nur noch selten zu sehen, hat in Wien ein Heimspiel – doch auch da wird man Arbeiten wie die »Bunte Giftwolke« selten zu Gesicht bekommen – , genauso wie Rudolf Hauser mit seinem überwölkten »Adam-Massiv«.

Die Kuratoren haben sich als Leitform den Wechsel von wissenschaftlicher Erkenntnis und poetischer Traumkulisse auf die Fahnen geschrieben. Erfreulich oft geht hier der Dualismus in eine Koinzidenz über. Fasziniert betrachtet man etwa Karl Suchniks »Blick auf die Karnischen Alpen« und weiß nicht, ob er sich von Ferdinand Hodler frühexpressivem Stil oder von Fratelli Alinaris Voralpenfotografien inspirieren ließ. John Constable war ein akribischer Wolkengucker, der seine Studien im großen Stil in die Gemälde einfließen ließ. Von da ist man schneller bei Turner als man denkt, auch bald in der Fotografie, die vollends die malerischen Erkenntnisse zum einen bestätigte, wie sie sich andrerseits gegen die Kunst behauptete als Medium der Wissenschaft: hierzu gehören die Arbeiten von Jean-Baptiste Gustave Le Gray, Altmeister wie Henri Cartier-Bresson über Heinrich Kühn bis hin zu den filmischen Arbeiten von Bruce Conner und anderen mehr.

Als rein kompositionelles Element macht sich die Wolke immer wieder wichtig, insbesondere in der klassischen Moderne. Zugleich eignet sich die Wolke zum expressiven Seelenvertreter. Von Hodler bis Nolde türmen sich Wolkenformationen zu dramatischen Szenerien auf. Dazwischen zeigt sich die Wolke auch mal als Ornament am Himmel, für das die Wiener Secessionisten sich stark machen, um dem Kitsch zu entgehen oder ihn gerade zu steigern. Erstmals hat es ein Museum unternommen, den Wolken in ihrer ganzen Vielfalt gerecht zu werden.

Der durchweg beachtliche Katalog sollte die Ausstellung begleiten, schafft er es doch durch profunde Essays, dem luftigen Element einen Halt zu geben, der den Genuss der hochfliegenden Ausstellung selbst nicht schmälert, aber in der Nachbereitung absichert. Zauberhaft ist die »kleine Wolkologie« des Schriftstellers Franzobel, die beginnt mit dem Satz: »Wolken sind immer irgendwie wie.« Schöner kann man die Ausstellung nicht umschreiben.

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