In der reichen Museumslandschaft Berlins zeigt das in unmittelbarer Nähe des Charlottenburger Schlosses, des Berggruen-Museums und der Sammlung Scharf-Gerstenberg gelegene Bröhan-Museum ein ganz eigenes Profil. Versammelt sind in diesem aus der Privatsammlung von Karl H. Bröhan hervorgegangenen Museum herausragende Exemplare der kunstgewerblichen Reformbewegung um 1900 sowie Designobjekte des Art Deco und des klassischen Funktionalismus. Aber zu den Sammlungsschwerpunkten gehören auch die Künstler der Berliner Secessionen, denen das Haus unter dem Titel »Zeitenwende« nun eine sehenswerte Sonderausstellung eingerichtet hat. Rainer K. Wick ist dort gewesen.
Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert war die Blütezeit der Secessionen – Abspaltungen oder Absonderungen vom offiziellen Kunstbetrieb, die sich gegen die staatlich gelenkte konservative Ausstellungspolitik auflehnten und die Bastionen des Akademismus nicht nur erschütterten, sondern allmählich zum Einsturz brachten. Nachdem schon 1891 die Freie Vereinigung Düsseldorfer Künstler, 1892 die Münchener Secession und 1897 die Wiener Secession gegründet worden waren, konstituierte sich 1898 auch in der Reichshauptstadt eine oppositionelle Künstlervereinigung, die Berliner Secession. Mit ihr begann der Aufstieg Berlins zu einer der europäischen Metropolen der modernen Kunst. Innerhalb eines Zeitraums von etwas mehr als zwanzig Jahren vollzogen sich hier gewaltige Veränderungen, die als rasche Abfolge verschiedenster stilistischer Ausdrucksformen beschreibbar sind, vom Impressionismus über Expressionismus, Kubismus und Futurismus bis hin zu frühen Erscheinungsformen des Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit. Maßgebliche Katalysatoren dieser Dynamik waren zunächst die Berliner Secession, dann die ab 1910 mit ihr rivalisierende Neue Secession sowie die 1914 aus der Taufe gehobene Freie Secession und, nach dem Ersten Weltkrieg, die sog. Novembergruppe, die sich 1918 gebildet hatte.
Immer ging es um Abgrenzungen gegenüber nicht mehr als zeitgemäß empfundenen Kunstauffassungen und um die Artikulation eigener, neuer ästhetischer Positionen, aber auch um Ausstellungsmöglichkeiten, um die Wahrnehmung von Wirtschaftsinteressen und, nicht selten, um persönliche Empfindlichkeiten und Eitelkeiten der Hauptakteure. Das alles lässt sich in dem sachhaltigen, bei Hirmer in gewohnter Qualität produzierten, mit zahlreichen Farbabbildungen bestens ausgestatteten Katalogbuch nachlesen. Die Ausstellung selbst, klar strukturiert und übersichtlich inszeniert, entfaltet auf zwei Etagen ein breites Spektrum künstlerischer Facetten und macht die raschen Wandlungen in Zeiten des Auf- und Umbruchs in den ersten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts sinnlich unmittelbar nachvollziehbar.
Die Zurückweisung eines Landschaftsgemäldes von Walter Leistikow im Jahr 1898 durch die dem Geist der Akademie verpflichtete Jury der Großen Berliner Kunstausstellung bot den äußeren Anlass für die Gründung der Berliner Secession als Abspaltung vom traditionsreichen, seit 1841 existierenden Verein Berliner Künstler. Max Liebermann wurde ihr erster Präsident, und mit ihm gelangte in Berlin der in national denkenden Kreisen als »ausländisch« bzw. »französisch« diffamierte Impressionismus zum Durchbruch. Neben Liebermann waren Lovis Corinth und Max Slevogt die Galionsfiguren des »Berliner Impressionismus«, der sich vor allem als Pleinair-Landschaftsmalerei manifestierte. Besonders zu erwähnen sind hier die kraftvollen Landschaftsbilder eines Karl Hagemeister und die teilweise von einer melancholischen Grundstimmung durchzogenen Berliner Wald- und Seenlandschaften Walter Leistikows. Berlin war Ende der vorvergangenen und zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine rasant wachsende, pulsierende Großstadt, und insofern ist es naheliegend, dass sich die Secessionsmaler auch diesem Thema widmeten – zum Teil mit deutlich sozialkritischer Haltung, wie in der Ausstellung im Bröhan-Museum Arbeiten von Käthe Kollwitz und Hans Baluschek belegen.
Obwohl die Berliner Secession, die – gleichgeschaltet – bis in die NS-Zeit existierte, allgemein mit dem Impressionismus in Verbindung gebracht wird, kann von einem stilistisch homogenen Erscheinungsbild keine Rede sein, gab es doch Künstler, die am Naturalismus festhielten, während andere zum Symbolismus tendierten. Zehn Jahre nach ihrer Gründung war die Berliner Secession etabliert und insbesondere dank der tonangebenden Rolle Max Liebermann zu einer machtvollen Institution und Selektionsinstanz geworden, also zu einer sozialen Dirigierungsstelle für den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg des Künstlernachwuchses. Jüngere Künstler, Expressionisten und deren Sympathisanten, wurden systematisch ferngehalten, so dass es 1910 auf Initiative von Georg Tappert zur Gründung der Neuen Secession kam, die sich in dezidierter Opposition zur »alten« Secession formierte. Dazu gehörten neben den Brücke-Künstlern, die der Neuen Secession geschlossen beitraten, u.a. César Klein, Wilhelm Morgner und Arthur Segal. Zwar erhielt die Vereinigung 1912 Verstärkung durch die Blaue Reiter-Künstler Kandinsky und Marc, doch das baldige Ausscheiden der Brücke-Mitglieder führte zu ihrer Schwächung und beschleunigte nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihre stillschweigende Auflösung. Ungeachtet der Tatsache, dass die Neue Secession faktisch ein Sammelbecken heterogener Richtungen war, dominierte doch der Expressionismus, teilweise gespeist aus einem zeittypischen Primitivismus und einer neuen Spiritualität. Der damals noch junge Kunstwissenschaftler Max Raphael, der unter dem Pseudonym M. R. Schönlank publizierte, hob 1911 treffend hervor, dass die Werke dieser expressionistischen Flächen- und Farbkünstler »nicht auf den Eindruck der Natur [zielten], sondern auf den Ausdruck der Empfindungen«, und dass das »›Nachbilden‹ zugunsten eines ›Neubildens‹« verschwinde.
Ein halbes Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs formierte sich als Abspaltung von der Berliner Secession die Freie Secession, die bis 1924 existierte und, obwohl stilistisch ohne scharfes Profil, durch die »Demokratisierung der Ausstellungsleitung [...] eine adäquate Antwort auf den Stilpluralismus einer sich radikalisierenden Moderne« (Katalog) fand. Wie unterschiedlich in künstlerischer Hinsicht die Positionen sein konnten, belegen im Bröhan-Museum das mythologisierende »Bacchanal« von Arthur Degner, Max Beckmanns »Ringkämpfer« oder Otto Muellers lyrische »Kauernde Mädchen«, um nur einige Beispiele herauszugreifen.
Nach anfänglicher Kriegseuphorie haben in den Jahren 1914 bis 1918 zahlreiche Künstler auf drastische Weise das Grauen dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts thematisiert, besonders eindrucksvoll etwa Willy Jaeckel in seinem Grafikzyklus »Memento 1914/15«. Angesichts der Niederlage Deutschlands, des Ausbruchs der Novemberrevolution, der Ausrufung der Republik, der Abdankung des Kaisers und der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts schlossen sich dann 1918 in der Reichshauptstadt Maler und Bildhauer zur politisch und künstlerisch progressiven Novembergruppe zusammen. Sie verstanden sich als »Revolutionäre des Geistes«, die sich »durch die sozialistische Republik nicht nur eine Gesundung der Kunstverhältnisse, sondern auch das Entstehen einer einheitlichen Kunstepoche für unsere Zeit« erhofften. (Max Pechstein, 1919) In den Jahren bis 1923 dominierten in stilistischer Hinsicht Expressionismus, Kubismus und Futurismus, teilweise auch als Stilmix, ferner kam der Berliner Dadaismus ins Spiel, und in dem Maße, wie sich das revolutionär-expressive Pathos der ersten Nachkriegszeit verflüchtigte, gewann einerseits ein kritischer Realismus, der als Neue Sachlichkeit avant la lettre zu verstehen ist, an Boden, andererseits die Bildsprache des Konstruktivismus, die von dem ungarischen Totalkünstler und späteren Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy als »Sozialismus des Sehens« qualifiziert wurde.
1919 kam es in der Reichshauptstadt unter dem Titel »Kunstausstellung Berlin« zu einer Mammutschau, an der neben Vertretern des konservativen Vereins Berliner Künstler Mitglieder der Berliner Secession, der Freien Secession und der gerade neu gegründeten, sozialrevolutionär gestimmten Novembergruppe teilnahmen. Damit bot Berlin dem interessierten Publikum das Panorama einer Zeitenwende oder, anders gesagt, eine Demonstration der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, von der ein Rundgang durch die sehenswerte und erkenntnisfördernde Ausstellung im Bröhan-Museum nach fast einem Jahrhundert zumindest eine Ahnung zu vermitteln vermag.