Buchrezensionen

Zoë Lescaze, Walton Ford: Paläo-Art. Darstellungen der Urgeschichte, Taschen 2017

Grausige Echsen, wilde Urmenschen, düstere Landschaften – das ist die Urzeit! Dass zu diesem Bild zahlreiche Künstler ihren Anteil beitrugen, das beweist der üppige Band, der einen Streifzug durch die Geschichte der Paläo-Kunst unternimmt. Ein Genuss, findet Stefanie Handke.

Der massive Kopf eines Monsters, das wohl gerade ein Tier gerissen hat und sich nun an dessen Kadaver gütlich tut, schaut uns an. bluttriefende Fetzen hängen aus seinem Maul – das Titelbild des Bandes lässt keine Zweifel aufkommen: auf den folgenden knapp 300 Seiten wird an Dinosauer-Klischees nicht gespart. Und das soll auch so sein, denn die »Paläo-Art« spielt mit unserer Fantasie wie wohl kaum eine andere Spielart der Kunst. Zugleich ist sie aber auch ein bisher kaum durch die Kunstgeschichte beackertes Feld, das durchaus lohnende Entdeckungen bietet. Auch das beweisen der großformatige und – wie stets bei Taschen – üppig ausgestattete Band.

Verantwortlich zeichnen der Künstler Walton Ford, bekannt für seine Tier-Aquarelle, die an wissenschaftliche Illustrationen des 19. Jahrhunderts erinnern, und die Journalistin und studierte Kunsthistorikerin Zoë Lescaze. Sie werfen ein Schlaglicht auf die Darstellung prähistorischer Tiere zwischen 1830 und 1990 und stoßen damit hoffentlich eine eingehendere Beschäftigung mit diesen Darstellungen an, ebenso wie der bei Matthes und Seitz erschienene Band zu den Bildwelten Zdeněk Burians bereits zahlreiche Menschen begeistern konnte.

Die Interpretation dessen, was Paläontologen ausgruben, war nämlich mehr als nur Befriedigung der Neugier auf sagenhaft erscheinende Monster; sie war stets auch Ausdruck der Haltung des Künstlers und seiner Umgebung, aber auch seiner jeweiligen Auftraggeber. Die Darstellungen waren Produkt der Ängste, Hoffnungen und Vorlieben des Künstlers. So fanden sich friedlich dahintreibende Wesen wie in der frühesten Darstellung von Dinosauriern, dem Aquarell »Restaurierte Reptilien« (1833) von George Scharf, auf dem sich ein Iguanodon im Vordergrund eine Uferböschung entlangbewegt und sich andere, kleinere Reptilien am Fluss tummeln. Aber ebenso konnte man dieselben Lebewesen in blutrünstige Kämpfe verwickeln, wie es John Martin in »Das Land des Iguanodon« (1837) tat. Darin brüllt ein Iguanodon, während ihm ein Megalosaurus in die Flanke beißt und ein dritter Dinosaurier unter beider Kampf zu Boden geht.

Doch nicht nur die Riesenechsen sollten Thema der Paläo-Kunst sein, auch die Urmenschen wurden bald ins Bild gesetzt. Besonders beeindruckend ist Wiktor Wasnezows Fries für das Staatliche Historische Museum in Moskau, das zahlreiche Szenen aus der Frühzeit des Menschen vereint. So bearbeiten einige Frauen Häute, während die Männer Knochen bearbeiten oder Feuer machen und einem Mammut von Jäger der Garaus gemacht wird.

Erfreuten diese Darstellungen in Fachkreisen oder zumindest bei interessierten Laien, so sollte doch erst Benjamin Waterhouse Hawkins die Darstellung der Vorgeschichte einem breiteren Publikum öffnen. Der hatte sich bereits als Illustrator unter anderem für Charles Darwin einen Namen gemacht, aber erst im Umfeld der großen Weltausstellung 1851 erregte er so richtig Aufsehen. Er erhielt den Zuschlag für die Schaffung von Skulpturen und Dioramen mit Dinosauriern und anderen prähistorischen Wesen für eine Ausstellung im Vorort Sydenham Hill – und erwies sich als Meister der Vermarktung, indem er etwa die Idee eines Diners in der Gussform des Iguanodon entwickelte. Auffällig an ihnen war die Ähnlichkeit mit Säugetieren, und das hatte einen Grund – sie sollten im »ideologischen Krieg« (S. 65) um die Evolutionstheorie für die Traditionalisten in die Bresche springen. Allein, der Erfolg blieb diesbezüglich aus, die wissenschaftlichen Kritiker waren schnell bei der Hand. Lediglich der Publikumserfolg war groß! Hawkins‘ Ruf aber beschädigten die säugetierähnlichen Wesen auf lange Zeit und erst 1886 erhielt er wieder einen Auftrag und schaffte damit zugleich den Sprung über den Ozean nach Amerika, wo er ein Museum für Prähistorie gestalten sollte, bei dessen Eröffnung sein Hadrosaurus die Besuchermassen entzückte – die breite Öffentlichkeit hatte sich endlich für die Prähistorie (oder zumindest ihre skurril aussehenden Lebewesen) begeistert.

Um 1900 wurde insbesondere in Amerika gegraben und gegraben, die sogenannten »Bone Wars« zogen echte und Möchtegern-Paläontologen in den Westen des Landes, wo eifrig Löcher ausgehoben wurden, um mögliche fossile Schätze zu ergattern. Parallel dazu erlebte die Paläo-Kunst einen enormen Aufschwung. Charles R. Knight erfand sie regelrecht neu. Sein erstes prähistorisches Tier, »Elotherium« machte Museumsdirektor Henry Fairfield Osborn auf den Künstler aufmerksam, der ihm einen Crashkurs in Sachen Paläontologie besorgte. Knights Darstellungen verschrieben sich einer besonders naturalistischen Darstellungsweise und sorgten für einige wissenschaftliche Anerkennung der Paläo-Art, indem Knight stets eng mit Paläontologen zusammenarbeitete und neueste Erkenntnisse akkurat einzuarbeiten versuchte. Das, was man auf seinen Bildern sieht, kann man sich gut und gerne auch in modernen Dokumentationen über Dinosaurier vorstellen!

Weitaus künstlerischer dagegen ging Heinrich Harder an die ausgestorbenen Lebewesen heran, dessen irgendwo zwischen Paläontologie, Jugendstil und japanischen Holzschnitten changierende Mosaiken das Berliner Aquarium schmückten. Zwar wurden diese während eines Bombenangriffs 1943 zerstört, jedoch gelang die Rekonstruktion in den 1980er Jahren und heute können diese atmosphärisch dichten Werke wieder bewundert werden. In der folge sollten auch beide Weltkriege ihren Einfluss auf die Kunst die Vorgeschichte zu illustrieren ausüben; Mathurin Méheuts zum Beispiel visuell harmonische Bildwelten gleichsam einer Flucht aus den Kriegserfahrungen.

Zdeněk Burian mag nicht vielen ein Begriff sein, seine Bilder aber kennen wohl viele. Der Tscheche schuf abenteuerliche Welten, oft düster, aber bis heute faszinierend. Das mag wohl auch an seiner frühen Faszination für die Vorgeschichte liegen, heißt es doch, dass er sich bereits als Kind in die Höhlen um seine Heimatstadt Kopřivnice zurückzog, und sich hier Fantasien um wilde Höhlenbären und Neandertaler hinzugeben. Ihn begeisterte die Arbeit als Illustrator für Abenteuergeschichten, und fiel ähnlich Knight einem Paläontologen – Josef Augusta – auf, der ihn unter seine Fittiche nahm. In der Folge entstanden für dessen Bücher ungeheuer dichte Illustrationen, deren Charme man sich nur schwer entziehen kann. Sie öffnen eine entbehrungsreiche, wilde, gleichwohl schöne vergangene Welt und zeigen die härten des prähistorischen Lebens schonungslos. Ganz anders stellen sich die Werke Neave Parkers – realistisch und gestochen scharf – und Maurice Wilsons – poetisch anmutende Aquarelle – dar.

Daneben widmet der Band der Paläo-Kunst in der Sowjetunion ein eigenes Kapitel, denn hier erlebte diese Kunst einen Jahrzehnte dauernden Boom, und man mag fast schon denken, dass dem grauen sozialistischen Alltag hier eine bunte Welt der Monster entgegengesetzt werden sollte, so fantasiereich sind die für das Buch ausgewählten Arbeiten Konstantin Konstantinowitsch Fljorows. Nicht minder farbenfroh, dafür weniger düster, ist Alexander Michailowitsch Belaschows »Baum des Lebens« (1984) für das Paläontologische Museum in Moskau, das Dinosaureri und Säugetiere ebenso wie Fische und frühe Vögel vereint – kein Panoptikum einer düsteren Welt, sondern ein Gruß an die Evolution, dessen Details dankenswerterweise doppelseitig abgebildet werden.

Blättert man abschließend noch einmal durch dieses skurril-faszinierende Buch, so stellt sich einem dieselbe Frage, mit der die Autorin ihr Schlusswort beginnt: »Wie konnte die Paläo-Kunst mit ihrer extravaganten Geschichte […] so leicht übersehen werden?« Vielleicht hat sie immer noch den Anhauch einer unernsten Kunstform (was sie ganz offensichtlich nicht ist) oder sie bedurfte einfach nur der Entdeckung durch die Kunstgeschichte. Die geschieht hiermit hoffentlich. Das Buch ist ein Anfang, wenngleich es auch nur an der Oberfläche kratzen kann. Sein Verdienst ist es, die Kunst der Darstellung der Vorzeit in den Fokus zu rücken und dem Leser die Augen für die faszinierenden Bildwelten zu öffnen, deren Vielfalt erstaunt. 

Und wer weiterlesen will, dem sei noch das bei Matthes & Seitz erschienene »Die verlorenen Welten des Zdeněk Burian« ans Herz gelegt, das nicht minder spannende Entdeckungen bietet. 

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