Ausstellungsbesprechungen

Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Neue Fotografie und Video aus China

Mehr als 90 Arbeiten von 49 Künstlern dokumentieren in einer der umfassendsten Übersichten über die zeitgenössische Foto- und Videokunst Chinas, die es je in Europa zu sehen gab, die Reaktionen der Künstler auf die täglichen Umwälzungen in ihrer Heimat. Die zum Teil sehr radikalen Themen werden durch neue Präsentationstechniken zusätzlich verstärkt – visuelle Dialoge mit der Realität entstehen und bleiben haften.

Walter Benjamin umschreibt in „Das Kunstwerk in seiner technischen Reproduzierbarkeit“, dass die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt ist. Im Spannungsbogen der Entwicklung der westlichen und der östlichen Lebensweisen kommt es in der heutigen medialen Welt zwangsläufig zu einer Konfrontation der Bilder. Geist und Seele müssen sich der ständig wandelnden Umwelt anpassen und darauf Acht geben, nicht zu verkrampfen oder gar auszubrennen. In vier Sektionen unterteilt, nimmt die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt darauf Bezug.

 

In „History and Memory“ untersuchen die Künstler mit ihren Werken auf ihre eigene Weise das Vermächtnis der Vergangenheit Chinas, wobei sich die einen vordergründig auf das reiche Erbe der chinesischen Kunst beziehen, während die anderen berühmte historische Stätten neu interpretieren. Wieder andere Künstler lassen das Leben der einfachen Menschen auferstehen, indem sie Sammlungen privater Fotografien präsentieren, die zum Teil mehrere Jahrzehnte umspannen. Künstler wie Sheng Qi verknüpfen mit „Memories (Mao) 2000“ die Vergangenheit mit der Zukunft, rufen Episoden privater Erinnerungen wach, thematisieren traumatische Erinnerungen aus einer Zeit politischer Umstürze, wie u.a. im Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens erwachsen.

 

In der Sektion „People and Place“ beschreiben beeindruckende, großformatige Fotografien die dramatischen Veränderungen der Umwelt in den neu entstehenden Mega-Citys in China. Unheilvoll wucherten die Hochhaussiedlungen in den letzten Jahren aus dem Boden, historische Stadtkerne wurden bis auf die Grundmauern niedergerissen; all dies lässt die Künstler nach Antworten suchen, die den Geschmack, Stil und die Stimmung der Stadtbewohner einfangen. So entstanden zudem Videoarbeiten wie von Song Dong, „Crumpling Shanghai 2000“, die mit trivialem oder zweideutigem Hintergrund die Stadt im wahrsten Sinn des Wortes zerknüllen.

 

In „Performing the Self und Reimagining the Body“ finden die Künstler ihren Ausdruck im experimentellen Umgang mit der Geschichte Chinas und artikulieren diesen mit Hilfe ihrer eigenen Körper. Sie tun dies aber nicht nur um ihrer selbst willen, sondern um eine autonome Stimmung festzuhalten oder zu erwecken, die zutiefst in den fiktiven und symbolischen Bildern ihres tiefsten Inneren verwurzelt ist. So bedeckt Zhang Huan mit „Family Tree 2001“ sein Gesicht mit chinesischen Schriftzeichen von Foto zu Foto, von Augenblick zu Augenblick, bis auch das letzte Stück seiner Haut beschrieben ist; benutzt Huan Yan seinen Oberkörper als „Chinese Landscape – Tattoo 1999“, oder zeigt Feng Feng in seiner 1999/2000 entstandenen Fotoarbeit „Shin Brace“ ein Bein in überdimensionaler Vergrößerung, das mittels einer Metallvorrichtung stabilisiert wird, die sich direkt in den Knochen bohrt. Diese Performance-Kunst entstand Mitte der 90er Jahre in Pekings East Village, wo Künstler und Fotografen an einer Reihe von bis dahin beispiellosen Projekten arbeiteten. Ihre Experimente – geprägt durch Masochismus und dem Spiel der Identität der Geschlechter – hatte tiefe Wirkung auf die chinesische Körperkunst und befindet sich heute fernab der meisterlichen Tradition der Kopie des Originals.

 

Jenseits von Angst und Schmerz, sondern die innere Stärke zeigend, sucht die junge chinesische Künstlergeneration nach ihrer individuellen Identität in einer Gesellschaft, die in den letzten Jahrzehnten einem so rasanten Wandel unterworfen war, wie er kaum wo anders hätte stattfinden können. Nirgends gibt es ein tieferes Verständnis dafür, als in der chinesischen Kunst, die meisterhaft durch ambivalente Reduktionen von Körper und Raum, Dinge assoziieren kann. Unter äußerster Konzentration entstehen Werke reich an Stil, aber auch politischer Ideologie. Energien werden freigesetzt, die die Künstler selbst in ihre Werke investiert haben und die nun auf uns zurückstrahlen. „Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Neue Fotografie und Video aus China“ ist eine äußerst spannend von Wu Hung und Christopher Phillips kuratierte und mit immer wieder wechselnden Mitteln präsentierte Ausstellung, die sehr sehenswert ist.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Di-So 12-20 Uhr, Mo geschlossen

 

www.hkw.de

 

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