Termin

Uta Hünniger "Weimarer Blätter"

Ausstellung 14.03.2009–23.04.2009

Galerie Profil, Weimar, Deutschland

Veranstalter: Galerie Profil Weimar

Uta Hünniger
zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Profil, Weimar
14. 03. 09      von Prof. Kai Uwe Schierz / Kunsthalle Erfurt


Ein Baum, eine Böschung, eine Landschaft mit Brücke, eine Waldeslichtung, Weiden, Tannen, Kirschbäume, Gräser, eine Distel im Oval, Frühling auf dem Dorf – das sind in etwa die Motive der Bilder, welche Uta Hünniger für die heutige Ausstellung in der Galerie Profil ausgesucht hat. Unweigerlich denkt man dabei an die Umgebung von Weimar, an die Motive der Weimarer Malerschule, auch, weil die Künstlerin selbst uns Hinweise gibt: durch den Titel der Ausstellung und durch den Verweis auf Karl Buchholz, einen der wichtigsten Vertreter der Weimarer Malerschule.

Uta Hünniger wurde 1954 in Weimar geboren, und so ist die Ausstellung in mehrerlei Hinsicht biografisch motiviert. Sie enthält Zeichen der Rückkehr, der Erinnerung und der Ankunft. Ihr Selbstporträt im Kreise der landschaftlichen Motive hat in diesem Sinne bekennende Funktion, aber auch das Acrylbild mit weißen und schwarzen Rosen, denen unten rechts andeutungsweise ein Porträt beigegeben ist, wie von einer alten Fotografie – das Gesicht verblichen, verloren, die Erinnerung fragmentarisch. Zugrunde liegt ein Bild ihres Großvaters.

Uta Hünniger hat in Berlin Weißensee studiert, sie hat seit 1982 im Umfeld der alternativen Kunst- und Musikszene im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg gewirkt, bevor sie wie viele dem DDR-Staat den Rücken kehrte. Das war 1988. Seit 1996 lebt und arbeitet sie jedoch wieder in Thüringen, in Erfurt und Weimar. Bekannt sind ihre expressiven Deutungen im Porträt, ihre fragile Figuration, die emotional gesteigerte Farbigkeit, aber auch ihre Neigung zur Arabeske, zur romantisch-melancholisch gestimmten Schönlinigkeit, und das Fragmentarische als Zeichen unabgeschlossener Prozesse. Und nun sehen wir Landschaftliches – sehen wir damit auch eine neue Uta Hünniger?

Nein, wir müssen unseren Eindruck nicht revidieren, höchstens verstärkt zur Kenntnis nehmen, dass landschaftliche Motive schon eine ganze Weile eine wichtige Rolle in ihrer künstlerischen Arbeit spielen. Ja, natürlich hat das etwas mit ihrer Rückkehr ins Thüringische zu tun. In den 1990er Jahren vor allem Tuschezeichnungen, die in ihrer hervorstechenden Kontrastierung von Schwarz und Weiß, von Tuschespur und weißem Blattgrund, bildnerischer Fülle und Leere an die asiatischen Traditionen der Tuschemalerei denken lassen. Um die Jahrtausendwende tauchen dann verstärkt monochrome Motive auf – in Blau-Weiß und Schwarz- bzw. Grau-Weiß, also in der Grisaille-Technik, gefolgt von intensiv-farbigen malerischen Studien, die in ihrer freien gestischen Pinselarbeit Anklänge an die Malerei des Informel erkennen lassen.

Diese Bewegung ins Landschaftliche hinein sei immer stärker geworden, immer dringlicher, sagt sie heute, und die unmittelbare Begegnung mit der Natur ihr immer mehr zu einem Bedürfnis. Uta Hünniger sieht es tatsächlich als eine Heimkehr – nicht nur im topografischen Sinne, sondern als Wiedergewinn einer intensiven Naturbeziehung, die sie zu Beginn ihrer künstlerischen Biografie durchaus gehabt habe.

Schauen wir uns die Art ihrer Naturbeziehung etwas genauer an. Da ist zuerst ihr Blick, dem wir folgen auf Gräser und Gebüsch und Bäume, bevorzugt die Nahsicht, der enge Ausschnitt. Eine Überschau über die Landschaft wird nicht geboten, und erst recht nicht eine wie auch immer heroische oder erhabene Perspektive. Dafür jedoch ein bewegtes Wechselspiel zwischen den momenthaften, schnell wechselnden Erscheinungen der Natur unter freiem Himmel und der subjektiven Erregung der Künstlerin, die mit schnellen, summarischen Pinselzügen der Bewegung des Natürlichen antwortet. Ich sage bewusst „antwortet“ und nicht „folgt“, denn es handelt sich bei diesem Akt der künstlerischen Naturaneignung nicht um ein Nachbilden, sondern um die Suche nach einer je subjektiven und in diesem Sinne authentischen Entsprechung der zeichnerischen oder malerischen Form für das eigene visuelle Erleben, ob nun direkt und „en plein air“ oder aus der Erinnerung. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist der Bezug zu Karl Buchholz eher eine falsche Spur, zumindest zum Teil, denn ihm war der stille, über menschliche Regungen erhabene Eindruck einer Landschaft – als Gesamtheit verschiedener natürlicher Elemente und Erscheinungen – ein zentrales Anliegen, auch wenn seine Gemälde zumeist unscheinbare, alltägliche Motive vergegenwärtigen. Näher an ihrer künstlerischen Haltung der Natur gegenüber scheint mir eine andere, noch etwas weiter zurückreichende Tradition zu liegen. Ich meine die Freilichtmalerei der Franzosen und Engländer in Italien an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, die von deutschen Malern wie Friedrich Nerly, Johann Georg von Dillis oder Carl Blechen kongenial adaptiert wurde. Ich meine die Hochschätzung der malerisch und gestisch-rasant angelegten Ölskizze unter vielen bildenden Künstlern der Zeit um 1820 bis 1830 in ganz Europa. Es war ein vehementer Auftakt der Pleinair-Malerei, der in seiner malerischen Unabhängigkeit gegenüber den beobachtbaren Erscheinungen, ja in seiner beinahe abstrakten Neuformulierung des Seherlebnisses uns noch heute ins Erstaunen zu setzen vermag. Der subjektive Behauptungscharakter dieser Ölstudien – gefertigt in der freien Natur und oft mit Datums- und Zeitangaben versehen – , man könnte auch sagen: die gestalterische Souveränität gegenüber den Vorgaben der Akademie wie auch gegenüber den Vorgaben des Sehapparates lassen die kleine malerische Form vom Beginn des 19. Jahrhunderts noch heute unglaublich modern erscheinen. Die farbigen Temperablätter von Uta Hünniger, aber auch die ins Monochrome tendierenden, folgen intentional eher dieser Weise der künstlerischen Naturbegegnung als jener Perspektive der Weimarer Malerschule, die sich vor allem an den holländischen Landschaften des 17. Jahrhunderts – eines Jan van Goyen etwa oder Jacob van Ruisdael – orientierte.

Ich spreche vom 19. Jahrhundert und möchte damit doch auf eine malerische Haltung zu Beginn des 21. Jahrhunderts hindeuten. Nicht nur mir mag sich da die Frage aufdrängen, inwieweit eine landschaftliche Freilichtmalerei, wie sie Uta Hünniger praktiziert, als eine zeitgemäße Form angesehen werden kann? Bertold Brecht formulierte bekanntlich in seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ seine eigene Variante der Frage nach dem Zeitgemäßen, als er schrieb:

„Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Voran geht dieser Frage eine Strophe, deren gelungene Sprachform eine Erfahrung vermittelt, die wir alle auch heute machen können, denn es geht um die Berechtigung des einfachen Glücks und der arglosen Fürsorge fürs eigene Dasein angesichts der katastrophischen Verhältnisse in der Welt. Brecht schreibt also:

„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.“

Was sagen wir heute dazu? Konnte einem angesichts der Nachrichten der letzten Tage das Lachen nicht wirklich wieder gründlich vergehen? Aber grenzt deshalb schon jedes „Gespräch über Bäume“ an ein Verbrechen?
Ja, ich würde schon sagen, dass die Naturbegegnung, wie sie Uta Hünniger in ihren landschaftlichen Bildern praktiziert, eine Art „Gespräch über Bäume“ ist. Doch im Gegensatz zu Brecht neige ich heute nicht mehr dazu, über ein solches Gespräch das Verdikt des politisch Inkorrekten zu verhängen. Ein Gespräch über Bäume kann viel sein angesichts der Untaten, deren massenmedial vermittelte Zeugen wir heute beinahe tagtäglich werden. Denn, so könnte man mit vollem Recht dagegen halten, und wieder mit einem Spruch, jede Veränderung beginnt im Kleinen. Die gesteigerte Aufmerksamkeit für das Kleine, Alltägliche, Unscheinbare, für das Nächste und den Nächsten ist auch ein Wert in sich. Es ist schwer zu praktizieren – und noch schwerer durchzuhalten, wenn man einmal begonnen hat, es zu praktizierten. Es verortet und erdet uns; es vermag uneinlösbare Ansprüche und Illusionen, an denen viele Menschen heute leiden, zu relativieren und den eigenen Blick für das Naheliegende und die Nächsten zu schärfen, was in unserem Zusammenhang nichts anderes bedeutet, als achtsam zu sein, die große Mühe auf uns zu nehmen, immer wieder aufmerksam und als wäre es das erste Mal hinzuschauen, ein dauerndes Bewusstsein für uns selbst in unserem Bezug zu anderen und der Welt außer uns zu entwickeln, unsere eingeschliffenen, tagtäglich betätigten Reaktionsautomatismen in Frage zu stellen.

Das tut z. B. der Freiburger Maler Peter Dreher, der seit Jahrzehnten immer wieder und möglichst unvoreingenommen ein schlichtes Wasserglas sieht und malt, mitunter bei Nacht, mitunter am Tag, doch immer unter den gleichen Bedingungen des Hinschauens und Formgebens. Ein unspektaku-läreres Motiv und ein traditionelleres künstlerisches Verfahren sind heute kaum vorstellbar. Und doch ist diese Arbeit spannend, wenn man genauer hinsieht. Sie hat Bezüge zur Freilichtmalerei und ist doch zugleich ein starkes Argument im Denken von Gegenwart – im Denken unserer Gegenwart.

Denn es geht – bei Dreher wie bei Uta Hünniger – um die Frage der Intensität unserer Begegnung mit der Wirklichkeit, es geht kaum oder gar nicht um ein spezielles Thema, ein spezielles Sujet, eine gewisse künstlerische Methode, die entweder vorgestrig oder aber zeitgemäß ist. Es geht also auch nicht um die Alternative Bäume oder Politik. Zeitgemäß ist heute der Wunsch nach einer gesteigerten Intensität der Begegnung mit der Welt, egal wann und wo praktiziert, weil sich darin ein widerständiges Verhalten äußert – gegenüber der allgegenwärtigen Halbaufmerksamkeit angesichts der in unser Bewusstsein einströmenden Datenfluten, ein wiederständiges Verhalten auch gegenüber einer gesellschaftsfähigen Zumutung, die man Multitasking nennt, was bedeutet, dass man in der Lage sein soll, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Denn unser Bewusstsein reagiert auf all diese Anforderungen mit zunehmender Automatisierung und Schematisierung der inneren Vorgänge, was nichts anderes bedeutet, als dass wir überall dabei, aber nie richtig bei der Sache sind.

Auch das Fragemuster von Brecht folgt z. B. einem Schematismus des Denkens. Darauf wies der Lyriker Paul Celan hin, indem er den darin waltenden moralischen Rigorismus konsequent ein kleines Stück weiter trieb und dichtete:

Ein Blatt, baumlos, für Bertolt Brecht

Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es soviel Gesagtes
mit einschließt?

Ein Argument für die Gewichtung eines jeden Wortes, für die Stille und die genaue, vorurteilslose Wahrnehmung alles Gegebenen um uns herum. Also ein Argument auch für das Gespräch über Bäume. Übrigens nahm sich der Thüringer Maler Karl Buchholz 1889 mit nur 40 Jahren das Leben. Sehen wir seine Bilder anders, wenn wir das wissen?

Weil wir Uta Hünniger erleben können und zum Teil wohl auch kennen, glauben wir, sie selbst aus ihren landschaftlichen Motiven heraus sehen zu können. Oder wir deuten sie hinein in die Art und Weise, wie sie diese landschaftlichen Motive formt. Zum Beispiel in diese Art innerer Erregung, die sich stets mitteilt und die falsche Selbstsicherheit nicht kennt. Oder wir sehen die kleinen Brüche in der Form, welche das Harmonische als Daseinsideal noch im Streben danach nie ganz beglaubigen wollen. Schließlich das Fragment, das für das Offene, das Unabgeschlossene ihrer Zwiesprache mit der Welt steht, eingeschlossen ihr mit malerischen Mitteln geführtes „Gespräch“ mit den Bäumen und über Bäume.

Dem schließe ich mich an, mit meinen vorläufigen, unabgeschlossenen Bemerkungen zu ihrem Gespräch über Bäume.
 

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