Ausstellungsbesprechungen

Im Atelier der Geschichte, Deutsches Historisches Museum Berlin, bis 21. April 2013

Geschichte erleben – Das Deutsche Historische Museum macht es in seiner Ausstellung möglich: Die in den Gemälden dokumentierten Ereignisse, Plätze und Persönlichkeiten werden durch Sichtachsen verknüpft, so dass sich ein komplexes Netz aus Querverweisen entspinnt. Rowena Fuß hat sich die Schau angesehen.

Zu Beginn grüßt ein lebensgroßer Napoleon im Krönungsornat. Der Franzose, der sich selbst zum Herrscher krönte, vereint in seinem Porträt einen Querschnitt des abendländischen Kaisertums: Das Gesicht in seiner ernsten Unnahbarkeit, umrahmt von einem goldenen Lorbeerkranz, lässt an Darstellungen der römischen Kaiser denken. Die auf den purpurnen Krönungsmantel gestickten goldenen Bienen sind eigentlich ein Attribut des Merowingerkönigs Childerich und weisen auf die Ursprünge der eigenen, französischen Monarchie hin. Auf den Begründer des fränkisch-römischen Kaiserreiches im Mittelalter – Karl der Große – verweist der Reichsapfel auf dem Kissen links von Napoleon. Zuletzt greift die barocke Inszenierung des Staatsporträts auf die offiziellen Bildnisse der Bourbonen zurück, deren Nachfolge Napoleon als Alleinherrscher angetreten hat.

Dem Reiz dieses Gemäldes wie auch von rund 100 weiteren Bildern aus dem 14. bis 20. Jahrhundert kann man sich kaum entziehen. Überdies ermöglichen Aussparungen in den Ausstellungswänden Sichtachsen. Von Luthers Sterbebett schaut man beispielsweise auf ein Porträt Fürst Ottavio Piccolominis: Kirchenreformator und Oberkommandant der katholischen kaiserlichen Truppen im Dreißigjährigen Krieg quasi vis-à-vis. Interessant sind auch die Geschichten, die hinter den Werken stehen. Texte am Objekt informieren den Betrachter jeweils kurz und knapp über dessen Hintergrund. Zugleich werden die unterschiedlichen Aufgaben der Malerei in den vergangenen 600 Jahren anschaulich gemacht: Inszenierung von Herrschern und ihr Umfeld, Darstellungen bedeutsamer historischer Ereignisse oder malerische Interpretationen der Alltagswelt. Sie sind Zeugnisse der Geschichte und Kultur vergangener Zeiten.

Natürlich demonstrieren sie ein konstruiertes Geschichtsbild. Dies hat der Kurator Dieter Vorsteher-Seiler nicht zuletzt im Interview auf PKG betont. Die Exponate sind vor allem ein offenes Panorama, ein Erinnerungsraum oder Bildergedächtnis. Mit hundert Bruchstücken lassen sich zwar keine 600 Jahre erzählen. Dennoch ist es beim Vorbeiwandern an den Gemälden von einst ungeheuer interessant, was man selbst über das Dargestellte weiß und wie unser Wissen vor dieser gemalten Geschichte verhandelt wird.

Sicherlich ist vielen unbekannt, dass es um die Gesichtsbehaarung von Klerikern, insbesondere Päpsten, immer wieder Streitigkeiten gab. Der Bart – insbesondere der Vollbart – ist ein archaisches Herrschaftszeichen, das normalerweise weltliche Herrscher ziert. Mit der Rasur bzw. dem Trimmen des Bartes grenzte sich der Klerus als geistliche Macht ab. In den Reihen der Päpste finden sich jedoch viele Adelige, die dieses Herrscherattribut als Papst nicht aufgeben wollten. Papst Gregor IX. (1227-1241) ließ das Bartverbot sogar im kanonischen Recht festschreiben. Papst Clemens VII. hob es 1531 auf und ließ sich auch prompt von Giuliano Bugiardini mit Gesichtsbehaarung porträtieren. Zudem hält er ein weißes Tuch in der linken Hand – wieder ein Herrscherzeichen, das auf die römischen Kaiser zurückgeht. Im Papstbildnis präsentiert sich der uneheliche Sohn Giuliano I. de Medicis demnach nicht nur als oberster Leiter der Kirche.

Die Reise durch die Vergangenheit setzt sich im Untergeschoss mit Bildnissen des Frankfurter Bankiers und engagierten Bildungspolitikers Simon Moritz, der Muse der Geschichtsschreibung Clio, Stadtansichten vom Forum Fridericianum und Genreszenen fort, wie etwa dem Blick in eine Pfandleihe.

Im Obergeschoss reicht die Spanne vom Schichtwechsel beim Bau des Gotthardtunnels, der gescheiterten Expedition Franklins ins Eismeer, einem altgermanischen Blutschwur, der Erschießung von Zivilisten im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, dem Erwachen in der Anatomie bis zu einem Hitlerporträt, das jedoch in die Ecke gerückt wurde.

Den ironischen Schlusspunkt setzen die Künstler der sogenannte Schule der neuen Prächtigkeit: Hier präsentiert Johannes Grützke eine Tischrunde mit dem Psychoanalytiker und Religionskritiker Sigmund Freud, dem Kapitalismuskritiker Karl Marx, dem Sozialismuskritiker Herbert Marcuse und dem Gastronomiekritiker Julius Grützke. Matthias Koeppels hingegen porträtiert eine feiernde Menge am Alten Museum in Berlin. Letzteres fast verdeckt von einer überdimensional großen Colaflasche – Sieg für die amerikanische Markenbrause und den westlichen Kapitalismus. In das bekannte Bild zum Mauerfall von 1989 hat der Künstler auch das Konterfei von DHM-Gründungsdirektor Christoph Stölzl eingefügt: Ein Zeugnis dafür, dass Geschichte vom Einzelnen mitbestimmt wird.

Wer noch weiter schmökern möchte, kann dies im Katalog tun, der als Lesebuch angelgt ist. 25 kleine Kapitel geben zu Themen wie »Bilder der Fürbitte für das Jenseits«, »Bildpropaganda in Zeiten der Konfessionalisierung«, »Staatskunst und Arbeitsleben« oder »Reisen über Land und Meer« Hintergrundinformationen zu Andachtsbildern, Porträts, Schlachtenbildern sowie Genreszenen preis. Bedauerlich ist nur, dass die Gemälde nach 1914 nicht mehr verzeichnet sind. So kann der Besucher lediglich in der Ausstellung etwas zu ihnen erfahren.

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