KunstGeschichten

KunstGeschichte: Martinas Knie

Wolf Piontek ist ein Taugenichts. Doch dank seines Vaters, der Aktionskunst und seiner bildhübschen Freundin Martina gelingt ihm der Durchbruch als Künstler. Erfahren Sie mehr in der neuen KunstGeschichte von Erich Wurth!

Wolfgang Piontek war zweiundzwanzig Jahre alt und der Liebling seines Vaters Hermann. Von sich selbst vollständig überzeugt, betrachtete er sich als Genie – allerdings verfügte er über keinerlei Talente.
Dem gegenüber verfügte sein Vater über mehrere Millionen, die er für den Sohn einzusetzen gedachte. Denn Vater Hermann war davon überzeugt, dass sein Sohn es verdiente, in die Prominenz von Wien aufgenommen zu werden.

Vater Hermann war der Erbe von mehreren Kohlegruben in Nordböhmen, nahe dem angrenzenden Schlesien, die der Piontek AG gehörten. Die Kohle war seinerzeit von den österreichischen Bahnen zur Befeuerung ihrer Lokomotiven verwendet worden, und jetzt wurde die Kohle in polnischen Kraftwerken verheizt. Das sicherte Herrn Piontek senior ein als fürstlich zu bezeichnendes Einkommen.

Ich habe erwähnt, dass sich Sohn Wolfgang über keinerlei Talent erfreuen konnte. Das ist nicht ganz korrekt. Ein besonderes Talent hatte er im Übermaß: Faulheit.
Als sein Sohn Wolf mit zweiundzwanzig immer noch keine Anstalten machte, etwas arbeiten zu wollen, unterhielt sich sein Vater einmal ernsthaft mit ihm: „Wolf, du musst endlich einen Beruf ergreifen. Was würde dir denn Spaß machen?“
„Nix“, verkündete Wolf der Wahrheit gemäß.
„Aber einen Beruf braucht man! Da gibt’s ja Jobs, da braucht man nichts zu arbeiten. Möchtest Abgeordneter werden? Nationalrat? Ich hab da meine Möglichkeiten.“
„Is nix für mich“, sagte Wolf.
„Aber da brauchst nix tun! Nur im Parlament sitzen und alle halben Jahr' a Rede halten!“
„Eben. Erstens muss man dort sein. Und zweitens überlass i das Reden den anderen. Is doch anstrengend!“
„Aber gut bezahlt!“
„Ah, was! Brauch ka Geld. Das gibst eh du mir!“
„Wolf, i leb aber net ewig!“
„Dann san die Kohlebergwerke da.“
„Na, willst net berühmt werden? Im Fernsehen? Als Abgeordneter kannst zu alle Partys und kommst in die 'Seitenblicke'. Und klasse Weiber lernst kennen! Wär das nix?“
„Da kann i aber aufs Parlament pfeifen. Ins Fernsehen kommt man anders aa.“
„Wie denn?“
„Zum Beispiel als Künstler.“
„Möcht'st so was werden?“
„Naa. Ka Interesse. Aber klasse Weiber wären schon a Hammer! Na ja, vielleicht mach i was in Bezug auf Kunst.“

Papa Hermann witterte zum ersten Mal Morgenluft. Künstler! Na, warum nicht? Musste er halt seinem Sohn den Weg dazu ebnen. Das konnte doch so schwierig nicht sein!
Hermann Piontek beschaffte Zeichenkarton, Ölfarben in Tuben, eine Palette und jede Menge Pinsel. Wenn der Begriff „Künstler“ erwähnt wird, denkt man vor allem an die Malerei. Also sollte der Wolf irgendwie Farbe auf eine Unterlage bringen, dann musste nur mehr ein „Experte“ dem Publikum klar machen, dass es sich dabei um ein ernst zu nehmendes Kunstwerk handle. Und die Sache war geritzt.

Aber Wolf schmiss erst einmal all die Pinsel weg.
Er drückte lediglich die Farbe aus der Tube direkt auf den Zeichenkarton. Das war nicht so anstrengend, wie mit dem Pinsel auf dem Untergrund herumzufuhrwerken. Und der Karton wurde trotzdem schön bunt.
Dreizehn Farbtuben öffnete Wolf und nachdem dreizehn Farbkleckse auf dem Karton waren, gab er es auf. Man soll nicht übertreiben.
Es dauerte lang, bis die Farbe trocken war. Aber Wolf hatte ja Zeit.

Papa Hermann machte etwas Geld locker und zwei Wochen später kam ein Kamerateam des Fernsehens ins Haus. Man drehte eine Dokumentation über den neuen, aufstrebenden Maler Wolf Piontek. Und die Farbkleckse auf dem Zeichenkarton wurden aus allen Blickwinkeln gefilmt und von einem Kunstkritiker in hohem Maß gelobt.
Worauf der Direktor einer Bank das Kunstwerk erwarb.

Papa arrangierte deshalb eine Vorladung des neuen Künstlers zu einer Diskussion beim Fernsehen über die Chancen junger Maler in der Gegenwart. Um seinem Sohn ein „Zuckerl“ zu bieten und sicher zu stellen, dass er der Einladung Folge leistete, veranlasste er ebenfalls die Einladung einer blutjungen Moderatorin, von der Wolf einmal behauptet hatte, sie wäre „ganz seine Blutgruppe“. Die junge, sehr hübsche Martina Blauensteiner moderierte eine Kultursendung, in der es vorwiegend um bildende Kunst ging.
Wolf ging tatsächlich zum Rundfunk. Aber nur, weil die Martina Blauensteiner, „seine Blutgruppe“ ebenfalls da sein würde.

Die Fernsehsendung wurde ein voller Erfolg. Allerdings in erster Linie für Herrn Hermann Piontek, der zuvor die Martina entsprechend instruiert hatte. Und die Martina war ein sehr hübscher Käfer mit einer Menge Hirn und einem ebenso großen Ehrgeiz. Das finanzielle Potential des Wolf Piontek hatte sie gleich nach dem Gespräch mit seinem Vater erkannt – und dass der neue Maler „auf sie stand“, wurde ihr sofort bewusst, als sie mit ihm zusammentraf. Nun gut, sofern die Kasse stimmte.

Wolf Piontek war nicht gerade einer der Schönsten. Etwas mehr als dicklich wirkte er so, wie er ja tatsächlich war: Aller körperlichen Bewegung abhold. Allerdings machten der Einfluss und die finanziellen Verhältnisse seines Vaters den Wolf für die Martina äußerst attraktiv. Und das verhehlte sie nicht.

Wolf Piontek kam während der Sendung kaum zu Wort. Fragen an ihn beantwortete Martina ganz im Sinne von Vater Hermanns Instruktionen und sie stellte Wolf als intelligenten, kunstsinnigen jungen Mann vor, von dem noch einiges zu erwarten wäre. Wolf bewunderte die intelligente und schlagfertige Martina.

Nach der Sendung tranken sie noch eine Kleinigkeit in der Kantine des Fernsehgebäudes – und dann lud Martina Wolf zu sich ein. Der sagte selbstverständlich ja. Mit Martinas Kleinwagen fuhren sie in ihre recht kleine, aber exquisit eingerichtete Wohnung und dort demonstrierte die Martina dem Wolf, womit er in Zukunft rechnen könne, wenn aus der Beziehung der beiden „etwas Ernsteres“ werden würde.
Wolf kam erst am nächsten Morgen mit dem Taxi nach Hause zum Papa.

Aber Wolf war gründlich verändert.
Erstmals in seinem Leben entwickelte er so etwas wie Gedanken an die Zukunft. Letzte Nacht, als er mit Martina im Bett lag, hatte diese nach dem sexuellen Workout so etwas wie Zukunftspläne erörtert. Und Wolf war das gar nicht so abwegig erschienen, was sie da sagte. Sie selbst würde beim Rundfunk Karriere machen – und Wolf würde mit der Hilfe seines Vaters und ihrer Hilfe eine fixe Größe in der Kunstszene werden. Da würden sie einander sehr ergänzen und damit sollten sie wohl beisammen bleiben.

Wolf erzählte das in aller Naivität seinem Vater und der freute sich aufrichtig darüber. Hermann hatte am Vortag in der Zeitung gelesen, dass Österreich in der internationalen Skala der korruptionsfreien Staaten auf Platz 19 abgerutscht war. Hermann fand diesen Platz sehr erfreulich und ganz vernünftig. Korruption war so etwas wie die Garantie dafür, dass man erreichen konnte, was man wollte, sofern man nur genug Bares hatte. Nun, das hatte er ja zur Genüge. Außerdem hatte ihn die Martina sehr beeindruckt. Die konnte tatsächlich das Mädel sein, das seinen Wolf an die Kandare nehmen würde. Und ein tolles Aussehen hatte sie ja auch.

Am Nachmittag hatte Wolf plötzlich eine Idee. Er würde ein Kunstwerk herstellen.
Dass er für die Malerei kein Talent hatte, war ihm mittlerweile klar geworden. Es musste ganz was Neues sein.
Also marschierte er in eine Apotheke und besorgte sich Gipsverband sowie eine kräftige Schere, mit der man den Gips durchschneiden konnte.

Am Abend umwickelte er sein Knie mit den in Wasser eingeweichten Gipsbinden und als der Verband hart zu werden begann, schnitt er ihn der Länge nach auf und nahm ihn ab. Anschließend brachte er den leeren Verband wieder in die Originalform, befestigte die auseinander klaffenden Teile mit Klebeband und goss ihm mit Gips aus.

Am nächsten Tag hielt er einen genauen Abdruck seines Knies in den Händen.
Dabei kam ihm der Gedanke, dass das Knie der Martina wohl noch hübscher anzusehen wäre – und außerdem die Herstellung interessanter, ergab sich doch dabei eventuell die Gelegenheit, die Aktivitäten der letzten Nacht zu wiederholen.

Der folgende Tag war erfüllt mit Arbeit. Wolf war bei Martina zu Gast und benutzte deren Knie als Form für seine Abgüsse.
Natürlich nicht ausschließlich. Immer wieder wurde die ernsthafte Tätigkeit der schöpferischen Arbeit unterbrochen durch eine ebenso schöpferische Beschäftigung des Wolf mit der Martina als Ganzes. Und beide genossen diese Betätigung, die eigentlich bei nächtlicher Dunkelheit stattfinden sollte, aber bei vollem Tageslicht nichts von ihrem Reiz verlor.
Allerdings gab es hinterher Absatzschwierigkeiten. Die Knieabgüsse aus Gips waren nicht der Renner auf dem Kunstmarkt.

Martina gelang es zwar, ein paar wenige Stück ihrer Knie in ihrer Fernsehshow zu verkaufen, dann stagnierte jedoch der Absatz. Allerdings hatte Martina vier Bilder eines gewissen Mark Baldauf ebenfalls in ihrer Show angeboten – und die gingen weg wie die warmen Semmeln. Martina spielte mit dem Gedanken, eine „Kunstagentur“ aufzumachen und nicht nur die Werke des Wolf zu vermarkten.
Allerdings musste Vater Hermann zuvor für eine Belebung des Marktes sorgen.
Es gab da einen gewissen Josef Fußweger, seines Zeichens Lobbyist. Und an den wandte sich Hermann Piontek.

„Was brauchen Sie mich dazu? Ist doch alles ganz einfach“, tat Fußweger verwundert, als Hermann ihn mit der Problemstellung konfrontierte. „Ich mache Lobbyarbeit, keine Werbung. Zahlen Sie halt einen Werbespot und alles läuft von selber.“
„Werbung für Kunstwerke? Das bringt doch nix! Außerdem wäre eine Lobby für meinen Sohn ganz brauchbar. In Österreich geht’s immer irgendwie um Politik. Wenn der von einer Partei unterstützt würde, wäre alles einfacher.“
„Von welcher Partei?“
Nun ist die politische Landschaft Österreichs einerseits recht fest institutionalisiert und zementiert, andererseits gerade momentan etwas im Umbruch.
Da gibt es die konservative ÖVP, (die christlich-soziale Österreichische Volkspartei), dann die sozialistische SPÖ, ferner die Grünen, die nationalistische FPÖ (Freiheitliche Partei) und seit Kurzem engagiert sich der kanadisch-österreichische Milliardär Frank Stronach mit seinem „Team Stronach“ in der liberalen Ecke, scheint aber seine Parteilinie noch nicht so recht gefunden zu haben.

Hermann stand natürlich als Unternehmer der ÖVP nahe, entwickelte aber ebenso Sympathie für das Team Stronach. „Zu welcher Partei haben Sie denn die besten Kontakte?“, wollte Hermann wissen. Im Hinblick aus seinen Sohn war es ihm relativ egal, es zählte nur der Erfolg bei ihm.

„Eigentlich zu allen“, gestand Fußweger.
„Na, schlagen S' was vor!“
„Die Schwarzen“, sagte Fußweger. „Sind momentan die geldgierigsten. Zittern vor'm Stronach.“
„OK. Dann tun S' was!“

Zwei Wochen später gründete Martina Blauensteiner gemeinsam mit Wolf Piontek und Hermann Piontek die Künstleragentur „Piontek und Blauensteiner GmbH – Kunstvermarktung“.
Hermann Piontek ließ ein paar Parteispenden los. Und in der nächsten Beilage des „Volksblattes“, dem Parteiorgan der ÖVP, wurde ausführlich über die Kunstagentur Piontek und Blauensteiner berichtet. Martina konnte zwei Schauspielerinnen als Kundinnen begrüßen, die der Agentur Bilder zur Vermarktung übergaben. Die Sache begann, Formen anzunehmen.
Und Wolf begann, sich doch tatsächlich für die Kunstagentur zu interessieren. Mehr und mehr sprach er der Martina drein, wenn diese sich entschied, ein Kunstwerk zu übernehmen, oder nicht. Den Marcel Strasky mit seinen Karikaturen setzte er an die Luft, weil dieser seiner Martina Komplimente machte. Und die Susanne Habelka nahm er an, obwohl die Martina dagegen war. Die Susanne war nämlich ein beinahe ebenso hübscher Käfer wie sie selber. Und so weit traute Martina ihrem Wolf nicht!

Wie dem auch sei, die vier Gemälde der Habelka setzte Wolf leicht ab und noch dazu mit einem schönen Gewinn.
Dieser Erfolg spornte ihn an. Er begann, wieder Abgüsse von Martinas Beinen zu machen. Jetzt allerdings vom ganzen Bein, inklusive der Stöckelschuhe, die Wolf anschließend sogar einfärbte.
Die Abgüsse verkauften sich wesentlich besser als die Knie alleine und die Agentur verdiente recht anständig daran.

Dann gab es aber Stunk zwischen Wolf und Martina. Denn Wolf hatte sein Angebot ausgeweitet und von der Susanne Habelka ebenfalls einen Gipsabdruck ihrer Beine hergestellt. Und Martina konnte sich die Vorgangsweise des Wolf bei der Tätigkeit des Herstellens der Abgüsse lebhaft vorstellen! Noch dazu hatte er beide Beine benutzt!

Sie beschwerte sich beim dritten Gesellschafter der Agentur, dem Hermann.
Der sprach mit seinem Sohn, obwohl er gar nichts dagegen hatte, dass der seine künstlerische Tätigkeit ausweitete. Er bat den Wolf eben nur, mehr Rücksicht auf seine Freundin zu nehmen. Und da die Susanne Habelka bei weitem nicht so freizügig beim Modellieren ihrer Beine gewesen war und Wolf die größte Mühe hatte, sie ins Bett zu kriegen, sah er das auch ein.
Also nahm sich Wolf nochmals die Martina vor und fertigte weitere Gipsabgüsse an. Von ihren Armen und Händen und schließlich, zuletzt von ihrem Gesicht. Dabei atmete Martina durch einen Trinkhalm, der zwischen ihren Lippen steckte – und beinahe wäre sie erstickt, als sie sich verschluckte. Die erste Gesichtsmaske riss sie sich einfach herunter, um Luft zu kriegen. Aber mit der Zeit lernte sie ganz gut, ihre Atmung zu kontrollieren. Und die Fortsetzung im Bett war dann überhaupt ganz toll!

Dann bekam Martina Schwierigkeiten mit dem Produzenten ihrer Fernsehshow. Sie benutze ihre Auftritte auch dazu, die Kunstwerke des Wolf Piontek vorzustellen und hatte damit einen schönen Verkaufserfolg. Der Produzent untersagte ihr das, Gipsabdrücke wären keine Kunst.
Hermann schaltete den Fußweger ein und der machte dem Fernsehsender klar, dass es sich sehr wohl um Kunst handelte. Dazu benutzte er einen Professor der Kunstakademie, der in wohlgesetzte Worte kleidete, warum die Anfertigung von Abdrücken von Körperteilen als Kunstwerke zu gelten hätten. Seine Hauptargumentation war: „Der Kunst ihre Freiheit!“ Es handle sich im speziellen Fall um eine Aktionskunst, die noch dazu greifbare Ergebnisse produziere.

Das sah man beim Sender ein und Martina hatte wieder ihre Ruhe. Zwar mussten sie und Wolf im Studio ein paar Gipsabdrücke anfertigen (wegen der Aktionskunst), aber hinterher ging es dann immer gleich in Martinas Wohnung – und ins Bett. Wegen der Tradition.
Wolf empfand immer mehr Gefallen an seiner Tätigkeit. Zumal er und Martina immer öfter eingeladen wurden, wenn es um „Events“ ging, über die in der Presse berichtet wurde.

Dann aber passierte etwas Besonderes.
Hermann Piontek konnte eines Morgens nicht mehr artikuliert sprechen. Der Arzt diagnostizierte einen Schlaganfall. Hermann wurde in eine Spezialklinik geschafft.
Wenn er noch hätte artikulieren können, hätte er eine wütende Brandrede losgelassen voller Verwünschungen. Denn er war im Begriff gewesen, am nächsten Tag nach Warschau zu fliegen, um mit dem Minister für Inneres den Liefervertrag für seine Kohle aus Tschechien zu verlängern. Polnische Bergwerke hatten seinen Preis unterboten und Hermann war im Begriff, seinen lukrativen Vertrag zu verlieren. Das musste selbstverständlich verhindert werden! Aber jetzt musste natürlich der Wolf nach Warschau! Und dem traute er die Sache eigentlich nicht zu.

Hermann hatte bereits große Schwierigkeiten, Wolf überhaupt so weit zu bringen, dass er sich bereit erklärte, ins Flugzeug zu steigen. Dazu trug natürlich viel bei, dass Hermann sich beim Sprechen so schwer tat. Aber einige saftige Flüche konnte er immerhin noch wörtlich her sagen – und am Ende war Wolf entsprechend instruiert und stimmte einer Unterredung in Warschau zu, vorausgesetzt seine Martina käme mit.
Nun, das war dem Hermann ziemlich egal.

So machten sich Wolf und Martina auf die erste Geschäftsreise, die Wolf je unternahm. Eine Boeing 737 brachte sie in knapp eineinhalb Stunden nach Warschau und dann fuhren sie mit dem Taxi ins Innenministerium. Martina hatte einen kleinen Koffer bei sich, in dem einige Gipsabgüsse ihrer Knie untergebracht waren. Wolf hatte nur einen Aktenkoffer mit.
Im Ministerium wartete ein Herr Waczinsky auf sie. Der Herr Minister sollte nur am Ende unterschreiben.

Herr Waczinsky sprach ausgezeichnet Englisch und ein wenig Deutsch und dem Gespräch stand nichts mehr im Wege. Ein paar Komplimente für Martina machte der Staatsbeamte, die heute wirklich zum Anbeißen aussah. Ihr Geschäftskostüm verfügte über einen gewagt kurzen Rock und Martina stellte so ihre Beine vorteilhaft zur Schau.

Zunächst drehte sich das Gespräch um die Qualität der tschechischen Kohle. In Wolfs Aktenkoffer befand sich eine Analyse des renommierten chemischen Instituts in Seibersdorf, das der Kohle einen außerordentlich hohen Heizwert bescheinigte. Waczinsky konterte mit der Bemerkung, man werde in Zukunft eben mehr von der billigeren polnischen Kohle verbrennen, um dieselbe Leistung der Kraftwerke zu erreichen.

Wolf erwähnte die Gesamtkosten. Martina stellte daraufhin eine Milchmädchenrechnung auf einem leeren Blatt Papier an, die nachweisen sollte, dass die teurere tschechische Kohle im Endeffekt billiger käme.
Ja, das stimme wohl, gab Waczinsky zu, aber man müsse auch die patriotischen Gefühle der Bevölkerung einkalkulieren und die heimische Wirtschaft unterstützen.
Da könne Wolf nicht mitreden, sagte der. Er wäre kein Experte für Volkswirtschaft, sondern nur ein kleiner, unbedeutender Künstler.
So kam das Gespräch auf seine Werke und auf Martinas Knie, beziehungsweise auf die erotische Bedeutung weiblicher Knie im Allgemeinen. Und Martina erhielt die Gelegenheit, dem Beamten einen Abguss aus ihrem Koffer als „kleines Werbegeschenk“ zu überreichen.

Waczinsky wurde seltsam nachdenklich. Er hatte den neu erhaltenen Abguss vor sich auf dem Tisch stehen und sah immer wieder zwischen diesem und dem Original hin und her, das sich gut sichtbar in seinem Blickfeld befand. Martina saß nämlich recht weit entfernt von der Tischplatte und ihr Rock bedeckte ihre Oberschenkel nicht einmal zur Hälfte.
Waczinsky murmelte etwas in der Hinsicht, dass es ein wenig unfair wäre, die Kunst mit ins Spiel zu bringen. Zweifellos wäre der Abdruck von Martinas Knie ein Kunstwerk, aber eben von erotischer Natur. Und gerade die Erotik habe bereits bewiesen, dass sie in der Werbepsychologie einiges bewirken könne.

Wolf und Martina ließen ihn ausreden. Dann kam plötzlich der Minister ins Büro.
Verwundert bemerkte er den Abguss auf Waczinskys Verhandlungstisch und wurde von letzterem darüber aufgeklärt. Martina übergab deshalb dem Minister ein zweites Knie.
Daraufhin sprachen der Minister und Waczinsky einige Zeit in ihrer Muttersprache. Dann sagte Waczinsky plötzlich: „Können Sie uns für die künftigen Lieferungen noch einen Rabatt gewähren?“

Wolf fiel ein Stein vom Herzen. Sein Vater hatte gemeint, er könne noch 5 Prozent heruntergehen, falls die Polen einen Vertrag für mindestens ein Jahr unterzeichneten.
„Im Fall eines Jahresvertrages sicher. Aber wir müssen auf unsere Ausgaben kommen. Es wird nicht viel Nachlass sein“, sagte Wolf.

Der Minister saß bei Martina und die beiden sprachen über die Gipsabgüsse von Körperteilen – und weshalb das Kunst wäre. Martina und der Minister kamen dabei etwas in Aufregung. Ihre Meinungen waren nicht dieselben.

Währenddessen feilschten Waczinsky und Wolf um den Rabatt. Waczinsky hatte bei zehn Prozent begonnen und Wolf hatte ihn jetzt auf drei Prozent herunter gehandelt.
Da schaltete sich der Minister plötzlich ein. „Fünf Prozent Rabatt und eine Verkaufsausstellung in Warschau“, sagte er plötzlich bestimmt. „Mit den Abgüssen können Sie wahrscheinlich nochmals einiges verdienen. So was gab es noch nicht bei uns.“
„Einverstanden“, sagte Wolf.
Die Verträge waren rasch ausgearbeitet, ein Übersetzer war vorhanden. Wolf unterschrieb.
Dann verließen Martina und Wolf das Ministerium und Wolf rief noch im Taxi seinen Vater Hermann an seinem Handy im Krankenhaus an.
Hermann war voll des Lobes für seinen Sohn.

Am Flughafen mussten sie nur etwa zwei Stunden auf die nächste Maschine nach Wien warten. Martina ging shoppen und Wolf trank inzwischen im Café zwei Mokka.
Als Martina mit ihren Einkäufen zurückkam, war Wolf recht einsilbig.
„Na? Unzufrieden mit dem Ergebnis?“, fragte Martina.
„Nein. Ich muss nur nachdenken.“
„Worüber?“
„Über die Ausstellung in Warschau. Wie kommt der Minister auf so was? Abdrücke von einem Knie kann doch jeder herstellen!“
„Aber nicht von meinem Knie!“, sagte Martina.

Dann kam der Aufruf für ihren Flug.Ihre Boeing hob von Runway 33 ab und kurvte dann nach links. Das Wetter war klar und als sie eine größere Stadt überflogen (Wolf vermutete, Lodz) unterhielten sich die beiden über die Chancen bei der Ausstellung.
„Warum gehen die Abgüsse so gut weg?“, fragte Wolf.
„Ich vermute, da steckt was Sexuelles dahinter“, meinte Martina.
„Klar! Du siehst hervorragend aus! Aber warum grad die Knie?“
„Pars pro toto“, meinte Martina.
„Was meinst du damit?“
„Na ja, Kunst hat schon immer eine sexuelle Komponente gehabt. Denk an die Aktmalereien! Und an die Jahrhunderte in denen das Knie einer Frau unter dem langen Rock versteckt war. Wenn ein Mann das Knie sehen konnte, war er im Begriff, Sex zu machen. Deshalb ist das Knie so besonders reizvoll. Denk an den alten Schlagertext 'Ich hab dein Knie geseh'n'“
„Interessante Theorie. Na ja, du weißt ja, wie es bei uns immer geendet hat, wenn ich einen Abguss genommen hab.“
„Eben!“

Eine Zeit lang schwiegen die zwei. Dann sagte Wolf: „Da sollten wir eigentlich auch Abgüsse machen bei der Ausstellung. Du erinnerst dich an die Sache mit der Aktionskunst. Müssen wir halt ein bisserl Hokuspokus dazu erfinden.“
„Und wie?“
„Du im Bikini. Und ich wickle deine Knie mit Gipsverband ein. Das reicht doch schon.“
„Das müssen wir uns noch überlegen.“
„Vor allem probieren! Ich mach heute noch neue Abgüsse. In Warschau müssen wir ja auf die Fortsetzung nachher verzichten. Aber jetzt noch nicht!“
Martina grinste und sagte: „Du Wüstling!“

Nach der Landung in Wien kam Wolf mit Martina in ihre kleine, gemütliche Wohnung. Und dann wurde experimentiert.
Martina zog sich einen schwarzen Bikini an und ein bodenlanges Abendkleid. Und dann probierten sie eine Bewegungsabfolge, die sehr an eine Choreografie erinnerte. Martina ließ ihrem Talent zur Selbstdarstellung freien Lauf – und Wolf wurde immer erregter.
Schließlich landeten sie im Bett, noch bevor der Gipsverband von Martinas Knie entfernt worden war. Der schöne Abguss wurde folglich zerstört, als Wolf seine Martina endlich von dem Gips befreite. Er war zu hart geworden.
Der zweite Abguss gelang dann.
Es gelang auch alles Weitere in der Zukunft.

Martina und Wolf hatten in Warschau einen durchschlagenden Erfolg. Die Hauptperson war allerdings nicht der Künstler, sondern seine schöne Partnerin. Im Sommer wurde aus der Martina Blauensteiner die Martina Piontek – und die zwei Pionteks mauserten sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Begriff.
Immer wieder wurden in irgendwelchen Galerien die Aktionen mit Wolf Pionteks Abgüssen abgehalten. Und es waren nicht nur die Knie der Martina. Mit der Zeit wurde ihr gesamter Körper, allerdings in Einzelteilen, mit Gipsverbänden umwickelt und nachher abgebildet. Und das war natürlich eine neue, sehr reizvolle Art von Kunst!
Manche behaupteten, die Aktionen wären nur Spektakel und hätten nichts Künstlerisches an sich, aber die Befürworter der Kunst waren in der Überzahl.
Und Sie? Was halten Sie davon?
Machen Wolf und Martina Kunst? Oder doch nicht?

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