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Max Renkel: Laconic Icons - Gemälde und Studien. Schirmer&Mosel

Es passt zu einer Grundlinie von Schirmer&Mosel, dass der Münchner Verlag programmatisch immer wieder darstellende Kunst und Dichtung zusammenbringt. Was in einer Galerie leicht stören würde, gehört im Medium Buch zusammen. Bestenfalls kann sich das wechselseitig (neudeutsch: «synergetisch») erhellen: Man wird vom Sehen zum Hinsehen geführt, vom Erblicken zum Erkennen verleitet. Im Falle des Malers Max Renkels ist das lohnend. Mit diesem Buch bieten die Verleger ihm nun eine monographische Plattform, mit welcher er hoffentlich die Beachtung findet, welche er verdient. Walter Kayser hat es sich mit Interesse angesehen.

Cover © Schirmer&Mosel
Cover © Schirmer&Mosel

Den Maler Max Renkel jung zu nennen, fällt etwas schwer; aber er ist vielleicht deshalb noch nicht international so bekannt, weil der gebürtige Münchner, der an der Hamburger Hochschule für bildende Künste studierte, seit fast 25 Jahren überwiegend in Rom ansässig ist. Schirmer&Mosel haben ihm mehrfach eine Ausstellung in ihrem Münchner Showroom in den Hofgarten-Arkaden gewährt. Dem Künstler war bei dieser Publikation die Auswahl seiner Werke selbst überlassen: 29 farbige Gemälde und 90 graphische Skizzenblätter und Farbstudien zu diesen Gemälden, die den Arbeitsprozess der Bild-, Form- und Farbfindung dokumentieren. Es ist schwer, das Werk einzuordnen. Noch vor kurzem hätte man womöglich von einem «postmodernen Stilpluralismus» gesprochen, denn auf den ersten Blick finden sich Anklänge an abstrakt-konkrete Kunst, die trotz der Kleinformatigkeit monumental wirkt. Andere Gemälde erinnern in ihrer verfremdenden Vergrößerung an Roy Lichtensteins gerasterte Comic-Ausschnitte, wieder andere an Hans Arps wolkenweichen «Biomorphismus» oder Hans Bellmers surrealistische, Eros-besessene Skulpturen. Doch jede Etikettenkleberei wird der behutsamen Eigenwilligkeit des Künstlers nicht gerecht.

© Schirmer&Mosel
© Schirmer&Mosel

Ein Schlüsselwort drängt sich freilich immer wieder auf: Vexierspiel. Bekanntlich meint man damit jene irritierenden Abbildungen, die auf Anhieb etwas zu erkennen geben, - ein Rätselbild, eine merkwürdige Spiegelung, ein Wechselbalg zwischen Information und Projektion. Plötzlich kippt das Abbild nämlich um und zwingt der Betrachter:in eine andere Sichtweise auf, welche sich dann genauso wenig abschütteln lässt wie das zuvor Gesehene. Das lateinische Verb «vexare» bedeutet eigentlich soviel wie «hin und her stoßen», «plagen» oder sogar «quälen». Im Falle von Renkel handelt es sich allerdings um ein spielerisches Genarrt-, ein lustvolles An-der-Nase-herumgeführt-Werden. Da bieten ein verführerisch weiches Linienknäuel oder sparsam angedeutete Arm- oder Faltenverläufe lose Anhaltspunkte, die zu erotischen Fantasien ergänzt werden wollen. Aus dem abstrakten Gefüge bietet sich mit einem Mal ein überraschend konkreter Venushügel an. Optische Metamorphosen werden inszeniert. Renkel spielt mit der zwanghaften Neigung des menschlichen Gehirns, immer und überall unbedingt sinnvolle und kohärente Zusammenhänge konstruieren zu müssen. Außer der offenkundigen Abbildung entsteht so noch ein weiteres, nicht abzuwehrendes, verborgenes Bild.
Das Buch ist betitelt «Laconic Icons». Zwei so rätselhafte Begriffe wie die Bilder. «Einsilbig» und «kühl» wie die Spartaner in der Landschaft Lakonien sind diese Bildzeichen insofern, als sie nur sparsam Hinweise geben. Gleichzeitig leben sie davon, dass die Betrachter:in sie durch seine je eigene Imagination ergänzt, als würde sie sich plötzlich wie auf einer grafischen Schaltfläche auftun.

Solch subtil-kapriziöse Kompositbilder mit ihrer erlesenen Erfindungskraft durch erhellende Erläuterungen der Betrachter:in näher zu bringen, dazu waren nun zwei Dichter im uralten Sinn des Wortes aufgerufen. Man darf vermuten, dass sie beide während ihrer eigenen Rom-Aufenthalte dem Maler Max Renke freundschaftlich verbunden waren. Denn Durs Grünbein wurde 2009 mit einem Stipendium in der Villa Massimo ausgezeichnet, der Südtiroler Oswald Egger 2014.

Max Renkel © Schirmer&Mosel
Max Renkel © Schirmer&Mosel

Machen wir uns kurz klar, dass das Zusammensein von deutschsprachigen Dichtern und Malern in Rom eine große Tradition hat. Der angehende Dichterfürst Goethe ist bis heute immer wieder Referenzpunkt für eine lange deutsch-italienische Sehnsuchtsbeziehung. Hier erlebte er bekanntlich sein Arkadien. «Das Land, wo die Zitronen blühen» bedeutete ihm glückliche Begegnung mit der Antike als fortan zeitlosem Vorbild, mit südlichen Landschaften und mit fremden Gebräuchen und Festen. Mindestens ebenso sehr war er aber auch angetan von den vielen Künstlerfreundschaften und dem geselligen Beisammensein unter den zahlreichen Landleuten, die sich hier zusammenfanden. So sehr hatte es ihm selbst die Arbeit mit Pinsel und Stift angetan, dass sich rund 850 Zeichnungen aus dieser Zeit erhalten haben. Natürlich war da Wilhelm Tischbein, mit dem er am Corso die Wohnung teilte. Aber bleibende Freundschaften und ästhetische Verbundenheit ergaben sich auch zu Philipp Hackert, Johann Heinrich Lips, Johann Heinrich Meyer oder zu der Halbrömerin Angelica Kauffmann, deren offenes Haus er allwöchentlich besuchte.

Man sollte also hoffen, dass sich auch bei diesem Buch die beiden unterschiedlichen Weisen der künstlerischen Mitteilung gegenseitig befruchtend ergänzen: das Bild, das sich mit einem Mal darbietet und die Kunst der trefflich gesetzten Worte, die sich erst zeitlich sukzessive, im Verlauf des Lesens und Sprechens sinnhaft entfalten und das Auge lenken.
Der Dresdner Grünbein gehört seit langem zu den renommiertesten Lyrikern der Gegenwart. Seine Gedichte (und Essays) sind alles andere als gefühlige Selbstbespiegelungen eines «sanften Heinrichs», wie Gottfried Benn viele seiner Verse schmiedenden Kollegen nannte. Grünbein liebt den hohen Ton der Bildungseliten, zumal blitzgescheite Sprachbilder aus naturwissenschaftlichen Forschungsfeldern, er stellt intellektuelle Reflektiertheit aus und steht somit in der Tradition eines «poeta doctus». Bereits 1995, im verhältnismäßig zarten Alter von 32 Jahren, wurde ihm zunächst der angesehene Peter-Huchel-Preis zugesprochen und dann noch die höchste Literaturanerkennung Deutschlands, der Georg-Büchner-Preis.
Grünbeins Ausführungen zu den Bildern Max Renkels sind vergleichsweise direkt und persönlich im Ton. Ohne Umschweife erzählt er von der freundschaftlichen Verbindung zu dem Maler, der ihm, dem etwa gleichaltrigen Landsmann, seinerzeit die letzten Winkel der Ewigen Stadt erschlossen und manche Türen geöffnet hatte. Freilich, Grünbein wäre nicht Grünbein, würde er nicht in sorgsam gedrechselten Sprachkapriolen seine Gelehrsamkeit zur Schau stellen. Zum Teil ist das amüsant und treffsicher formuliert, etwa wenn Grünbein sagt: «Max Renkel, der Magier [man achte auf den Stabreim!], dirigiert die visuellen Begierden […], er lenkt den Blick auf den Ausschnitt». Aber nicht selten versteigt sich der Lyriker zu abenteuerlichen Neologismen wie «Korpuskomik», «légerleger» «picabiapikant», «matissegewiss». Zugegeben, ein Dichter hat seine eigene Kunstform und ist nicht als Kunstkritiker engagiert. Solche Formulierungen mögen witzige Fingerzeige sein, aber wenn Grünbein dann mit «postpopartistisch poliert, transfuturistisch frisiert» in Alliterationen schwelgt, bis es klingelt, dann führt er nur noch seine Originalitätssucht und Eitelkeit spazieren.

Max Renkel © Schirmer&Mosel
Max Renkel © Schirmer&Mosel

Der abschließende Essay des Südtiroler Schriftstellers Oswald Egger treibt solche Elaboriertheit allerdings noch auf die Spitze. Sein Text ist mehr als doppelt so lang wie der seines wortverliebten Kollegen; dafür sagt er aber nicht halb so viel. Nun sollte man nicht beanstanden, dass jede(r) nun mal so redet, wie ihr/ihm der Schnabel gewachsen ist bzw. wie sie/er meint, einem unverwechselbaren Stil treu bleiben zu müssen. Oswald Egger steht sicherlich in der verdienstvollen Tradition der «Wiener Gruppe». Seine «konkrete Poesie» mit ihrer Lust am barock überquellendem Sprachlaut kommt vom Stammvater Kurt Schwitters her, von den Spätexpressionisten und Dadaisten, von H.C.Artmann, Ernst Jandl und Gerhard Rühm. - Nichts gegen überdeterminierte Subtexte in ureigener Orthographie; nichts gegen Sätze, die sich über eine halbe Seite mäandernd dahinschieben und dabei Knäuel von Wortverbindungen, Verfilzungen von Bedeutungen als Treibgut mit sich schleppen, - aber sie sollten wenigstens einen Bezug zum Gegenstand haben! Statt sich mit der Kunst seines malenden Künstlerfreundes auseinanderzusetzen, stellt sich Egger in einer überspannten «High Performance» nur noch selbst dar. Da scheint es egal zu sein, ob er das jüngst das weitverzweigte Delta des Mississippi besingt oder sorgsam gesetzte Linien und Acrylfarben auf Leinwand. Aber vielleicht sollten wir doch am Schluss einfach den Dichter selbst in seiner unübertrefflichen Weise zu Wort kommen lassen: «Will ich distrikt (und generell) reffen, trecken diese schlüsseligen Beziehungslinien (und aufmessen in ihrer ähnlichkeitsförmigen Welt in der Welt)?, dann entstehen unentwegt bewegliche, scharade Aspekte (ohne Schau- und Ausblick), welche je nach Luxation zeitgleich im Bild agil triggern (die Oszillation der Standflecken und Gesichtspunkte quasi aktionsartiger Bezüge, die sich aber[…])». - Und jetzt noch weitere fünf Zeilen bzw. zwanzig lange Seiten. Klammer zu.

Max Renkel - Laconic Icons. Gemälde und Studien
Texte: Durs Grünbein und Oswald Egger
Verlag: Schirmer&Mosel
München 2024
112 Seiten
Abmessungen ‏ : ‎ 19.2 x 1.7 x 26.9 cm
ISBN-10 ‏ : ‎ 3829609221
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3829609227
Preis: 48 €

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