Oliver Kase/Sarah Louisa Henn/Christiane Zeiler (Hg.): Max Beckmann – Departure. Hatje Cantz Verlag

Reisen ist eine Grunderfahrung menschlicher Existenz. Dies gilt in einem symbolischen, für den Maler Max Beckmann aber auch in einem sehr persönlichen Sinn. In den 1920er-Jahren bereiste er regelmäßig die noblen Kurorte und Palasthotels an den holländischen, italienischen und französischen Küsten. Seine Diffamierung als »entarteter« Künstler durch das NS-Regime zwang ihn zum Rückzug, zunächst von Frankfurt nach Berlin und danach ins Exil nach Amsterdam. Die Emigration in die Vereinigten Staaten bildete den letzten Höhepunkt in Beckmanns lebenslangem Abenteuer der Reise. Max Beckmann. DEPARTURE versammelt eine herausragende Auswahl an Kunstwerken und bringt diese in Dialog mit bisher nicht gezeigten Objekten und Materialien des Max Beckmann Archivs. Melanie Obraz hat sich den Katalog angesehen.

Cover © Hatje Cantz Verlag
Cover © Hatje Cantz Verlag

Bezeichnend sind sogleich die sechs Passfotos von ca. 1930-37, die Beckmann auf dem Buchcover zeigen. Umhüllt wird es von einem losen Umschlag, der mit dem großen Stillleben mit Fenster von 1927 aufwartet und ein Foto des am Strand einherschreitenden Beckmanns zeigt. Die Innenseite des Umschlags zieren das Abfahrt-Triptychon von 1932/33 sowie die Argonauten aus dem Jahr 1949/50. Das Bild steht auch für eine innerseelische Emigration und verweist zugleich auf das Abenteuer „Departure“. Alles ist im Aufbruch – nichts steht fest – auf nichts ist Verlass. Keine Zeit auszuruhen. Ganz so wie es auch das Werk „Selbstbildnis mit Koffer“ (1922) bekundet. (S.19).
Triptycha, Selbstbildnisse, Portraits, Landschaftsbilder, Stillleben, Plastiken und Skizzen – Max Carl Friedrich Beckmann (1884-1950) hinterließ ein reichhaltiges Werk, in welchem sich seine wechselnden Seelenzustände manifestieren, es illustriert eine Epoche des Aufbruchs, des Neubeginns. Damit zeichnet Beckmann ein eindrucksvolles Bild des Schreckens und zugleich eines blühenden und unbeugsamen Lebens. Seine Werke, die oft das Dunkle und Angsterfüllte ausdrücken, stehen den hellen, heiteren und mondänen Bildern des pulsierenden gesellschaftlichen Lebens gegenüber.

Max Beckmann, San Francisco, 1950 Öl auf Leinwand, 101 x 140 cm Hessisches Landesmuseum Darmstadt © Foto: Wolfgang Fuhrmannek, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Max Beckmann, San Francisco, 1950 Öl auf Leinwand, 101 x 140 cm Hessisches Landesmuseum Darmstadt © Foto: Wolfgang Fuhrmannek, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Mit zehn Selbstbildnissen, - Gemälden, Zeichnungen und Plastiken (Bronze, Mann im Dunkel 1934) – gibt der Katalog den wechselnden Lebensabschnitten Beckmanns einen psychisch konnotierten Hintergrund. Immer wieder wählte er die Malerei als ein Spektrum, um Mythen Ausdruck zu verleihen, so wie er es in seinen Triptychen (1932-1950) vollendete. Beckmann war ein malender Erzähler. Die von ihm erschaffenen Werke schöpfen aus einem allgemeingültigen Narrativ, in welchem sich die Betrachter:innen wiederfinden.

Beckmann ist ein eigenwilliger Vertreter der klassischen Moderne. Von den Nationalsozialisten verfemt, verlässt er Deutschland in Richtung Amsterdam, fast direkt im Anschluss an Hitlers Rede zur Kunst. Ihm wird klar, dass für ihn in Deutschland kein Kunstschaffen mehr möglich ist. Seinen Themen, die starke Farbgebung und die teilweise verdreht wirkenden Figurationen, sind im Deutschland nach 1933 keine Entwicklung mehr beschieden. Die Beckmanns, Max und seine zweite Frau Mathilde (Quappi) Kaulbach, die Tochter des Malers Friedrich August von Kaulbach, erkennen die Ausweglosigkeit.

Kolorierte Ansichtskarte von der Promenade des Anglais in Nizza, aus Max Beckmanns Ansichtskartensammlung, ca. 1947 Postkarte Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Max Beckmann Archiv, Max Beckmann Nachlässe
Kolorierte Ansichtskarte von der Promenade des Anglais in Nizza, aus Max Beckmanns Ansichtskartensammlung, ca. 1947 Postkarte Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Max Beckmann Archiv, Max Beckmann Nachlässe

Im Exil in Amsterdam ist Beckmann sehr produktiv und schafft Werke, die sich vermehrt mit mythologischen Themen wie etwa der Odysseus-Sage beschäftigen, zumal der antike Held als Gestrandeter von Kalypso festgehalten wird. Wie der seiner Freiheit beraubte Odysseus gibt auch Beckmann nicht auf und sucht nach einem Punkt, der das seelische Überleben sichert, immer in der Hoffnung, dass es wieder eine Freiheit geben werde, die Reisen und Erkundungen ermöglicht.
Die Ausblicke auf das Meer verdeutlichen diese Sehnsucht, hier zeigt sich ein freiheitsversprechendes Lebenselixier. - teilweise bedrohlich und mächtig, andererseits still und hoffnungsvoll. Das Blau der Cote d’Azur treibt seine Gedanken an, um der Sehnsucht Richtung Süden zu folgen.

Beckmann kostet das gesellschaftliche Leben aus, während er gleichzeitig ein Zurückgezogener ist - so deuten es die Bilder an, die den Blick aus der Schiffsluke auf das Meer lenken. Niemand wird seine innere Zerrissenheit genau nachfühlen können, die Beckmann in der sehr bedrückenden Zeit des Nationalsozialismus erleiden musste. Doch gleichen die Bilder einem Aufschrei, der sich nicht in einer Melancholie verliert, sondern das Kommende mit hingebungsvoller Hoffnung erwartet. Die Tagebucheinträge geben über seine seelischen Zustände Auskunft: Seine Arbeiten und die sich darin äußernde eigene seelische Verfassung beziehen sich auf die Ausweglosigkeit einer brennenden Welt. – Künstlerischen Ausdruck finden sie vor allem in seinen Triptycha-Darstellungen.

Max Beckmann, The Cabins, 1948 Öl auf Leinwand, 140,5 x 190,5 cm Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf © Foto: Walter Klein, Düsseldorf
Max Beckmann, The Cabins, 1948 Öl auf Leinwand, 140,5 x 190,5 cm Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf © Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Im Exil zeigt sich darum auch der riesengroße Abstand, der sich wie eine Kluft zwischen die scheinbar unterschiedlichen Leben Beckmanns drängt. Die beruhigende Aura des Fenstermotivs nimmt der Künstler etwa erst wieder 1947 auf, nachdem er sein Exil in den Niederlanden verlassen hat und wieder nach Südfrankreich reiste.

Schließlich findet sich Beckmann als gefeierter Künstler in den USA wieder. Er genießt das ihm entgegengebrachte Interesse und war von Los Angeles wie auch speziell von Hollywood begeistert. Schließlich lehrt er an der Art School der Washington University in St. Louis und unterrichtet auch in Brooklyn. Mit seinem Gemälde The Town imaginiert sich die Vergangenheit mit dem neuen Leben in den USA. In diesem Sinne sind die USA der Kulminationspunkt in seinem Schaffen, ganz so wie er auch das Meer, den Pazifik als Höhepunkt seiner Liebe zum Ozean ausdrückte. Mit jedem Blick auf sein Werk bekundet sich die Virtuosität seiner Malerei, die oft in einer kräftigen Farbigkeit aufwartet und die Ambivalenz der Moderne zum Ausdruck bringt. Die Frage, die sich beim Lesen des Katalogs also förmlich aufdrängt, ist: Kann das Leben mit der Kunst gerettet werden, ohne die Augen vor den Krisen und Katastrophen zu verschließen?

Max Beckmann, Junge Männer am Meer, 1905 Öl auf Leinwand, 150 x 236,5 cm Klassik Stiftung Weimar © Klassik Stiftung Weimar
Max Beckmann, Junge Männer am Meer, 1905 Öl auf Leinwand, 150 x 236,5 cm Klassik Stiftung Weimar © Klassik Stiftung Weimar

Die letzten Seiten des Katalogs sind dann im Besonderen der Ankunft gewidmet. Das Fragezeichen bringt es zum Ausdruck Argonauten -Ankunft? – Konnten Beckmanns Reisen jemals in einer Ankunft gipfeln? Wer weiß?! Vor allem aber suchte er den geheimen Faden, der aus dem Labyrinth der Sinne heraus zur Freiheit führte.

Der begleitende Katalog zur Sonderausstellung (Pinakothek der Moderne, 25. 11. 2022 bis 12. März 2023), stellt diese Einsicht in den Mittelpunkt. Vor allem die Vielfalt der Fotos, - in Szene gesetzt vom Zürcher Büro Bonbon - die mit Werken des Künstlers eine lebendige Symbiose eingehen, wie auch Beckmanns Tagebucheinträge, welche Ausstellungsbesucher:innen und Leser:innen mit Beckmann sozusagen ins persönliche Gespräch bringen, suggerieren eine familiäre Einheit mit dem Expressonisten.

Titel: Max Beckmann: DEPARTURE
Herausgeber:innen: Oliver Kase, Sarah Louisa Henn, Christiane Zeiler
Autor:innen: James Arthur, Ulrike Draesner, Francoise Forster-Hahn, Maike Grün, Sarah Louisa Henn, Florian Illies, Dzevad Karahasan, Oliver Kase, Sibylle Lewitscharoff, Bernhard Maaz, Paul Nizon, Nina Peter, Eva Reich, Uljana Wolf, Christiane Zeiller, Hanns Zischler
Verlag: Hatje Cantz
352 Seiten, 393 Illustrationen
24.00 x 31.00 cm
ISBN 978-3-7757-5244-2

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