Für unangenehme Themen und markige Positionen ist der chinesische Künstler Ai Weiwei bekannt. Mit »#SafePassage« zeigte er sich mit den Flüchtlingen in den Auffanglagern an Europas Grenzen solidarisch und nun sind sie im renommierten Foam in der niederländischen Kapitale zu sehen. Nina Zöpnek hat die Schau besucht.
Wenn Amsterdams Fotografiemuseum Foam im Herzen des Grachtengürtels seine Räume einer Ausstellung Ai Weiweis widmet, passiert folgendes: Fotografiebegeisterte und Fans des Künstlers – egal ob sesshaft in Amsterdam oder bloß auf der Durchreise – stehen schon lange vor Öffnung der Vernissage Schlange vor den Türen des Museums. In der sommerlichen Abendsonne jenes 16. Septembers standen also ebenjene Menschen in Reih und Glied, genossen die letzten warmen Momente dieses Sommers, diskutierten über vermutlich zu sehende Kunstwerke und munkelten über die Anwesenheit des Künstlers. Und tatsächlich, als dann die Türen geöffnet waren und man in den ersten Stock hinaufstieg, um einer der ersten in den Räumlichkeiten der Ai Weiwei Ausstellung zu sein, stand er da, am hintersten Ende der Halle, umringt von Bewunderern jeden Alters, von denen die geduldigsten alle mit einem Selfie von sich und dem Künstler belohnt wurden.
Denn für Weiwei ist das Selfie eine Art der Freiheit.
Er, ein Mann der von jungen Jahren an mit der Zensur des chinesischen Staates konfrontiert war, aufgrund eines für die chinesischen Behörden bedenklichen Gedichts seines Vaters im Exil leben musste und wegen seiner eigenen kritischen Kunstwerke sogar einige Zeit seines Lebens in Haft verbrachte, entdeckte das Internet und dessen beinahe unendliche Möglichkeiten als eines seiner Lieblingsmedien.
Die hier in Amsterdam zu sehende Ausstellung beschäftigt sich nicht hauptsächlich mit dem Medium des Internets, zeigt aber sehr wohl Kommunikationsträger wie Fotografien und Videos, die erst durch die Verbreitung im Netz eine breite Masse erreichen können. So thematisiert Weiwei im ersten Raum seine eigene Rolle als politischer Flüchtling außerhalb, aber sehr wohl auch innerhalb, seines Heimatlandes China, in welchem ihm die freie Bewegung durch seine Umgebung untersagt, aber auch die Flucht vor diesen unmenschlichen Umständen durch Abnahme seines Reisepasses verhindert wurde. Durch Fotografien, aufgenommen von vier verschiedenen Webcams, die seinen Alltag innerhalb seines Hauses porträtierten, lässt Ai Weiwei die Besucher an seinem Privatleben teilhaben. Jene Fotografien waren zu Beginn seines Hausarrests über den persönlichen Blog des Künstlers abrufbar, wurden jedoch gesperrt, als die chinesische Regierung Gefahr durch den öffentlichen Zugang des Internets witterte.
Der zweite Raum der Ausstellung legt mit dem der Ausstellung ihren Titel gebenden Werk »#SafePassage« Fokus auf die Millionen Flüchtlinge, die es im vergangenen Jahr traurigerweise so oft auf die Titelseiten unserer Zeitungen geschafft haben und mit denen sich der Künstler durch seine eigene Rolle als Flüchtling verbunden fühlt. Weiwei besuchte seit Dezember 2015 zahlreiche Flüchtlingslager im mediterranen Raum, unter anderem in Syrien, Griechenland, der Türkei, Italien und Frankreich. Alle vier Wände jenes Raumes sind von der Decke bis zum Boden bedeckt mit einer Gesamtanzahl von 16.500 Fotos, die auf Tapeten gedruckt wurden und dem Besucher einen Einblick in das Leben in den Flüchtlingslagern bietet. Es sind Alltagsszenen, Menschen auf dem Weg von einem Zelt zum nächsten, Kinder beim Spielen, Eltern beim Kochen oder einfach Menschen, die gemeinsam für kurze Zeit vor ihrem Trauma fliehen wollen.
Man könnte wohl Stunden damit zubringen, jedes einzelne dieser Fotos zu betrachten, jedem einzelnen abgebildeten Flüchtling jene Aufmerksamkeit zu widmen, die er oder sie eigentlich verdient hätte. In der Mitte aller Räume sollen uns Skulpturen von Rettungsringen und Überwachungskameras an die Schicksale der Einzelnen erinnern, die so oft von den allumfassenden Gesellschaftssystemen überschattet werden.
Während der Konfrontation mit diesen Kunstobjekten, die ein Mitgefühl für Menschen hervorrufen, die uns so fern und doch so nahe sind, kommt man nicht umhin, eine große Bewunderung für diesen kleinen rundlichen Mann zu empfinden, der so vieles auf sich nimmt um gewisse Wahrheiten aufzudecken und unser kritisches Auge zu schulen.