Anna Grosskopf/Tobias Hoffmann (Hg.): ANSEHEN! Kunst und Design von Frauen 1880 – 1940. Hirmer

Frauen im Fokus: Ein aktueller Band von Hirmer präsentiert 42 faszinierende Künstlerinnen, die in der namhaften Sammlung des Bröhan-Museums vertreten sind. Von den Malerinnen der Berliner Secession über die Frauen der Wiener Werkstätte bis zu Metall-, Keramik-, Möbel- und Textildesignerinnen der Bauhauszeit zeigt sich ein breites Panorama weiblicher Gestaltung. Eine Rezension von Katja Weingartshofer.

Cover © Hirmer Verlag
Cover © Hirmer Verlag

Schemenhaft, in Grautönen, erscheinen drei Frauenporträts auf dem Cover des Kataloges. Wer (er)kennt sie: Maria Slavona, Hedwig Bollhagen und Käthe Kollwitz? Letztere ist vor allem als Grafikerin fest in der Kunstgeschichte verankert. Im Gegensatz dazu blieben die meisten Künstlerinnen, die zu Lebzeiten als „dekorativ“ marginalisiert wurden, viel zu lange in Ausstellungen und Publikationen unsichtbar. Es liegt an den Kunstgewerbesammlungen, deren Entwürfe und Objekte zugänglich zu machen, damit sie angesehen und beforscht werden können. Das Bröhan-Museum stellt sich dieser Verantwortung. Es zählt in einer kritischen Sammlungsrevision 99 Künstlerinnen (neben 1000 Künstlern) und stellt die bis heute aktuelle Frage von Linda Nochlin aus dem Jahr 1971: „Why Have There Been No Great Women Artists?“
Die ausgezeichnet erarbeiteten Porträts der heute teils kaum noch bekannten Künstlerinnen bieten eine feministische Perspektive auf die Sammlung und eine profunde Grundlage zur weiteren Forschung.

Anna_Boberg: Silent evening - Scene from Lofoten (1910-14) © Malmö Art Museum
Anna_Boberg: Silent evening - Scene from Lofoten (1910-14) © Malmö Art Museum

Die facettenreiche Sammlung des Bröhan-Museums, Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, umfasst drei bedeutende moderne Kunstrichtungen wie auch die unter ihnen subsumierten Vereinigungen und Werkstätten. Der bei Hirmer erschienene Katalog zeigt, in welchen davon Frauen eine zentrale Rolle gespielt haben, und spannt dabei einen weiten Bogen über kunstgewerbliche Entwicklungen Europas von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg:
In der skandinavischen Porzellanindustrie etablierten sich verhältnismäßig früh eigenständige Künstlerinnen, wie die Malerin und Porzellangestalterin Anna Boberg. Auf Fotografien inszenierte sie sich selbstbewusst als Arktismalerin – mit dickem Fellmantel und Staffelei. Obwohl Frauen um 1900 noch von Forschungsexpeditionen ausgeschlossen waren, bereiste Anna Boberg die Lofoten auf eigene Faust und hielt die Landschaft in ihrer Malerei fest.

Anna Boberg 1910  © Wikimedia Commons
Anna Boberg 1910 © Wikimedia Commons

In Frankreichs bedeutendster Porzellanmanufaktur in Sèvres, blieben die Porzellankünstlerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts weitestgehend anonym. Erst durch die Art Nouveau-Bewegung wurden Dekorkünstlerinnen namentlich genannt. Anne-Marie Fontaine schuf in Sèvres zwei Vasentypen, die nach ihr benannt und deren Formen – Glockenform und Zylinder – Träger vieler Art Deco-Ornamente wurden. Als Protagonistin der Avantgardebewegung im Paris des ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – École de Paris – wird die Bildhauerin Chana Orloff porträtiert.
Obwohl die Berliner Secession die erste deutschsprachige Secession war, die Frauen als vollwertige Mitglieder akzeptierte, blieben Künstlerinnen in der Minderzahl. Im Bröhan-Museum sind die Malerinnen Dora Hitz, Julie Wolfthorn, Maria Slavona und Käthe Kollwitz aus der Künstlervereinigung vertreten.

Maria Slavona: Häuser am Montmartre (auch Gärten auf Montmartre, Gärten an der Rue de l'Orient auf Mont Martre) 1898 © Nationalgalerie Berlin / Wikimedia Commons
Maria Slavona: Häuser am Montmartre (auch Gärten auf Montmartre, Gärten an der Rue de l'Orient auf Mont Martre) 1898 © Nationalgalerie Berlin / Wikimedia Commons

In Dresden traten Frauen in den Deutschen Werkstätten Hellerau in einem Bereich hervor, der seit jeher männlich dominiert war: dem Möbeldesign. Allen voran Margarete Junge und Gertrud Kleinhempel. Damals keineswegs selbstverständlich, wurden Designer:innen in Werbungen der Deutschen Werkstätten namentlich genannt und erlangten dadurch eine vorteilhafte öffentliche Präsenz.
Die Frauen der Wiener Moderne mussten sich der klassischen Aufteilung beugen: Männer entwerfen Mobiliare, Frauen Textilien und Keramik. Die Keramikerinnen der Wiener Werkstätte, darunter Vally Wieselthier, Hilda Jesser und Kitty Rix, setzten sich diesem Dogma mit freien, avantgardistischen Formen ihrer Objekte entschieden entgegen.

Blumentisch um 1903 von Gertrud Kleinhempel und Margarete Junge entworfen © Alf van Beem / National Museum of Scotland, Edinburgh / Wikimedia Commons
Blumentisch um 1903 von Gertrud Kleinhempel und Margarete Junge entworfen © Alf van Beem / National Museum of Scotland, Edinburgh / Wikimedia Commons

Der Katalog schließt mit zwei Designerinnen der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) – Marguerite Friedländer und Trude Petri – deren Entwürfe bis heute in Berlin produziert werden und zwei Repräsentantinnen des Neuen Frankfurt – der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky und Fotografin Ilse Bing.

Neben dem Streifzug durch wichtige Bewegungen der modernen (angewandten) Kunst wird im Katalog ein Fokus auf Keramikerinnen in der Weimarer Republik, Mode- und Textildesignerinnen sowie Silberschmiedinnen und Metallgestalterinnen mit zahlreichen Künstlerinnenporträts gelegt. Am Beispiel der Kostümentwerferin Marie Schulz zeigt sich eine weitere Stärke des Kataloges: Auch wenn kaum biografische Details einzelner Gestalterinnen bekannt sind, werden sie mit ihren Werken vorgestellt und in ihrem Wirkungsfeld kontextualisiert. Schulz‘ extravagante Kostümentwürfe für die rauschenden Karnevalsfeste der Reimann-Schule in Berlin wie „Spinat mit Ei“ oder „Regenbogen“ zeigen, welch starke Entwürfe hinter fragmentarischen Biografien stehen können.

Das Herausarbeiten weiblicher Biografien einer breit aufgestellten Kunstgewerbesammlung der Moderne wie der des Bröhan-Museums, bildet einen Nährboden für neue Forschungsfragen und die Erarbeitung von Monografien einzelner Künstlerinnen. Der biografische Fokus ermöglicht außerdem das Aufspüren soziologischer und künstlerischer Analogien der vorgestellten Künstlerinnen. Also, ansehen und weitermachen! Es gibt noch viel zu tun.

Titel: ANSEHEN! Kunst und Design von Frauen 1880 – 1940
Verlag: Hirmer
Herausgeber:innen: Anna Grosskopf, Tobias Hoffmann
Mit Beiträgen von: A. Grosskopf, J. Honeck, A. Koronkai-Kiss, S. Meister, J. Meyer-Brehm, J. Vietig
224 Seiten, 150 Abbildungen in Farbe
22 x 26 cm, gebunden
ISBN: 978-3-7774-4009-5

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