»Ohne meine Mutter bin ich nichts«, überschrieb Deutschlands junger Shootingstar Jonathan Meese eine seiner Ausstellungen. Gemeint war freilich seine echte Mutter, übertragen gesehen hätte Anna Oppermann, Jahrgang 1940, es sein können.
Sogar praktisch hätten beide sich in Hamburg über den Weg laufen können: Das in Tokio geborene selbsternannte Mamasöhnchen studierte hier, wo die Documenta- und Biennale-Veteranin bis zu ihrem Tod 1993 lebte. Wie auch immer – sie hat in den 1970er Jahren den Weg mitbereitet, auf dem Meese seit kurzem welttheatralisch schreitet.
In den 1990ern wurde es ruhiger um Anna Oppermann. Nicht ohne Wirkung blieben jedoch Gruppenausstellungen wie die im Pariser Maison Rouge, wo 2004 ihr »Problemlösungsauftrag an Künstler« (ab 1978) neu aufgelegt wurde – zusammen mit Arbeiten von Meese und Thomas Hirschhorn. Nun ist dieses im Untertitel als »Raumproblem« deklarierte, programmatische Elfenbeinturm-Stück Teil der Stuttgarter Ausstellung. Dafür hat die einstige Oppermann-Vertraute Ute Vorkoeper sieben von zusammen rund 60 Ensembles rekonstruiert und neu inszeniert. Die repräsentative Auswahl gewährt einen Überblick über ihr überbordendes Schaffen, dessen Entstehungsprozess keinen Schlusspunkt anerkennt.
Was sie von einer Ecke ausgehend wie ein Pilzgeflecht in den Raum hineincollagierte, enthielt Elemente der Pop-Art genauso wie die der Arte Povera, vereinte konzeptionelle, prozessorientierte und erzählerische Ideen. Unermüdlich häufelte die studierte Grafikerin, Malerin und Philosophin Zettelchen, Fotos, Zeitungsausschnitte, Kleinobjekte und Zitate zu dichten Wunderkammern zusammen, die sie Ensembles nannte: Die waren mal wissenschaftlich abstrakt, mal autobiografisch bis hin zum Privatismus, und allemal hatten und haben sie mit Liebe und Eros, mit Kunst als Wahrheit und Lüge, Mammon und Mythos zu tun.
»Wenn du mit deinem Geiste an deinem Geiste arbeitest, wie kannst du da eine ungeheure Verwirrung vermeiden?« (Seng Tsang) Mit derartig aphoristischer Verkürzung zieht Anna Oppermann den Betrachter in den Bann einer vorläufigen Welt, die nie aufhört, fertig zu sein. Das Kunstwerk bleibt im Zustand einer Notiz, einer Skizze. Die mit wissenschaftlicher Akribie agierende Künstlerin war zu sehr Realistin, um ein Ende markieren zu können, im Gegenteil: Jede Ausstellung ihrer Arbeiten war Grundlage zu deren neuerlichen Revision.
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Es scheint völlig unmöglich, dieses Dickicht von Informationen ganz zu durchschauen. Fast wie im richtigen Leben: Es kreuzen sich immer mehrere Gedanken-Ebenen, Assoziationen und soziale Bezugssysteme, Abwege, Irrwege und Umwege. Wer hier ein diffuses Chaos wittert, verkennt, dass die fällige Inszenierung tatsächlich einer Theateraufführung gleicht – und die Verwirrung ordnet sich zur Interpretation, die jedes Stück auf der Bühne auch ist. Das unverbraucht Lebendige der Oppermannschen Kunst ist diese Fortschreibung in die Gegenwart, die nichts Museales an sich hat. Neben tiefsinnig-düsteren Ensembles begegnet man hinreißenden Materialsplittern von poetischer Schönheit (»Paradoxe Intentionen«) oder von spöttischer Freizügigkeit (»Porträt Herr S.«). Bewahrenswert ist in dieser Ausstellung die Erinnerung, und die ändert sich im Laufe der Zeit – sonst wäre das Dasein drumherum auch kein gelebtes Leben.
Öffnungszeiten
Di, Do - So: 11–18 Uhr
Mi: 11 - 20 Uhr