Kataloge

Bärbel Hedinger, Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider (Hg.): Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Hirmer Verlag, München 2004.

Wolken sind die Sinnbilder dieses Sommers. Nichts passender da, als eine Ausstellung über die Wolke im Bild.

„Wolkenbilder“ wurde konzipiert als Doppelschau am Bucerius Kunstforum in der Hamburger Innenstadt und am Jenisch-Haus, einem klassizistischen Herrensitz mit angrenzendem englischen Landschaftsgarten im Vorort Ottensen. Im städtischen Zentrum liegt das Augenmerk auf der Kunst, in suburbanen Gefilden kümmert man sich stärker um die Wissenschaft. Der Katalog fasst diese Geschichte von der Entdeckung des Himmels zusammen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Zeit von Klassizismus und Biedermeier, in der sich der Blick auf die Wolke als Naturphänomen verwissenschaftlichte und damit den Künstlern eine detailgenaue Auseinandersetzung abverlangte. Manche Erkenntnis über die Zeit davor fällt auch dabei ab: etwa, dass der niederländische Maler Jacob van Ruisdael sich bei der Bekrönung seiner Landschaftsdarstellungen Wolkenformationen bediente, für die es keine natürlichen Vorbilder geben kann. Dennoch sollte noch Goethe gerade Ruisdaels Himmelsdarstellungen als mustergültig für die Verbildlichung eines ideellen Gehaltes der Natur rühmen.

Die Wolke als „Idee“ bestimmt damit den größten Teil von Ausstellung und Katalog, in welchem sich zunächst allgemeine Beiträge historisch und theoretisch der Zeit um 1800 nähern, etwa Werner Hofmanns tour d’horizon über das Malen von Wolken in religiösem und profanem Bedeutungszusammenhang seit dem Mittelalter. Dieses Stück, ähnlich wie der anschließende, weiterführende Text Heinz Spielmanns, nähert sich bisweilen in seinen Formulierungen dem Gegenstand beträchtlich an: luftig, aufgebauscht, doch in substanziellen Dingen schwer zu greifen. Die an dieser Stelle ausgebreiteten, durchaus zentralen Gedanken werden dann aber durch ausführliche Bildunterschriften unter den abgebildeten Kunstwerken wieder geerdet. Der pfiffigen Katalogregie der drei Kuratorinnen und Herausgeberinnen ist es daher zu verdanken, dass die Thesen des Einleitungsteils, die sich sonst leicht verflüchtigt hätten, hier nochmals intensiviert und direkt am Gegenstand überprüft werden. Die Miniaturaufsätze sind zudem moderierend und kommentierend zwischen die Katalogabschnitte geschaltet, so dass der Leser, vorausgesetzt er lässt sich auf die fein abgestuften und aufeinander bezogenen didaktischen Ebenen ein, sicher durch die stürmischen Wetter der kunsthistorischen Forschung geleitet wird.

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Vor allem das Panorama, das sich in der Publikation entfaltet, ist erstaunlich, es ist nicht weniger als ein kleines Handbuch entstanden, das die wichtigsten Tendenzen der kunsthistorischen Wolkenforschung bündelt und kompakt zugänglich macht, welche sich in den letzten zehn Jahren als ausgewachsene Disziplin herausgebildet hat. Zunächst wird dabei der französische Sprachraum bedacht, die Nachfolger Pierre-Henri de Valenciennes, unter ihnen besonders Simon Denis und Francois-Marius Granet. Dass diese sich, ebenso wie die deutschen, skandinavischen und englischen Kollegen in Rom, gleichsam als Nebenprodukt des Studiums der Antike, dem Himmel zuwandten, verdeutlicht ein Kurzaufsatz, der gleich zu mehreren Strängen leitet: etwa zur späteren Plein-air-Revolution, die sich mit neuen Techniken, wie dem Aquarell, auf die Bannung des Flüchtigen am Himmel kaprizierte; oder zur englischen Tradition, die von den Aquarellisten John Robert und Alexander Cozens über William Turner zu John Constable führt; schließlich zum deutschen Protestantismus mit den Werken Caspar David Friedrichs, die im internationalen Kontext geradezu wie postaufklärerische Andachtsbilder erscheinen.

Über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus verfolgen Katalog und Ausstellung die künstlerische Auseinandersetzung mit Himmel und Wolken. Fast natürlich erscheint es da, die amorphen Gestaltballen am Horizont auch für die Entwicklung der Abstraktion verantwortlich zu machen – freilich über den Zwischenschritt der Seelenlandschaft. Der Topos vom „Helden und seinem Wetter“, über den der Schriftsteller F.C. Delius am Beispiel Adalbert Stifters einst promovierte (diese literaturwissenschaftlich Seite bleibt jedoch konsequent ausgeklammert!), wird hier impliziert und damit die Aufladung, ja die Übersteigerung der äußeren Welt zum Spiegelbild des Selbst. Während Goethes Wolkenstudien da fast naiv-wissenschaftlich erscheinen, wirken Adalbert Stifters (übrigens wunderschöne) Pendants durchaus wie durch einen Seelenfilter erblickt; mit Strindberg, der in mehreren Bildern das Verhältnis von Himmel und See auslotet, scheint die Malerei beinahe im Expressionismus angekommen: dichte Farbwogen, gejagt durch alle Graustufen, schichtet der Dichter mit einer Spachteltechnik (!) auf den Untergrund, so dass die Perspektive gerinnt, das ungebändigt-wilde Ornament zum beängstigenden Ausdruck der Natur- und Seelengewalt wird.

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Diesen Strang über den Symbolismus hinaus bis in die Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts zu schlagen (etwa mit Hodler, Nolde oder dem frühen Mondrian) erweist sich leider auf den letzten Metern als Hasenfuß von Ausstellung und Katalog. Nach der argumentativen Dichte, die den Überblick über die ersten sechzig Jahre seit der Entdeckung des Himmels kennzeichnet, schrumpft dieser Teil zum Epilog, in dem fast listenhaft angerissen wird, was es noch so alles gab. Hätte man doch einen vorläufigen Schlussstrich gezogen, etwa in den 1860-er Jahren, um den Rest einfach in einer Fortsetzungsschau und einem zweiten Buch zu präsentieren, so wäre auch dieser Zeitabschnitt, der in Bezug auf die Wolken bisher weniger gründlich erforscht ist, vollständig zu seinem eigenen Recht gekommen. Diese Möglichkeit bleibt freilich auch unabhängig vom jetzigen Stand der Dinge und es bleibt zu hoffen, dass die Kuratorinnen diesen Schritt bereits ernsthaft erwägen.

Bis zum 5. September ist die Ausstellung noch in Hamburg zu sehen, vom 24. September bis zum 30. Januar 2005 übernimmt sie die Nationalgalerie Berlin, ab dem 26. dann das Aargauer Kunsthaus.

 

Bibliographische Angaben

Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Ausstellung und Katalog von Bärbel Hedinger, Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider. Hirmer Verlag, München 2004. 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen. ISBN 3-7774-2135-9.

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