Als die Nazis die Kunst aus dem Reich verjagten, blieb den Künstlern nur das Ausland oder der Untergrund. Einige wenige hatten allerdings auch Glück im Unglück und konnten ihre Arbeit – unter Entbehrungen freilich – fortsetzen. Willi Baumeister und Oskar Schlemmer verloren nach der Machtergreifung ihre Professur, schlimmer noch:
Als »entartete« Künstler denunziert und erniedrigt, erhielten sie Mal- und Ausstellungsverbot.
Dank dem findigen Engagement des Wuppertaler Lackfabrikanten Kurt Herberts (1901–1989) bekamen sie jedoch die Chance, ihre Kreativität umzusetzen. Zusammen mit dem Künstlerarchitekten Franz Krause durften sie zwischen 1937 und 1943/44 als Angestellte der Fabrik Maltechniken untersuchen (auch Alfred Lörcher und Georg Muche gehörten zu den Mitarbeitern der Firma).
Das klingt nach dürftigem Broterwerb, doch was dem puren Überleben diente, entpuppte sich später als Vorwegnahme des abstrakten Expressionismus in den USA und des europäischen Informel (Anklänge u.a. bei Nay und Tobey, Pollock und Polke sind in der Stuttgarter Schau zu sehen).
Was sich unter Herberts’ Fittichen als Experiment mit Farbverläufen und -tropfen beziehungsweise als Labortest mit chemischen Reaktionen ganz wissenschaftlich gab, nannte man später Action dripping oder ganz allgemein die Überwindung herkömmlicher Maltechniken und Materialien. Rund 160 Farbtafeln sind erhalten, die die »Freunde des Kunstmuseums Stuttgart« jüngst erworben haben und fortan zu den Juwelen des Hauses gehören.
Entscheidend bei der künstlerischen Bewertung der Arbeiten ist die freie Hand, die der Unternehmer den Malern gewährte. So konnten sie auf das »Abklatschverfahren« der Dadaisten und Surrealisten genauso Bezug nehmen, wie sie im weitgehenden Experimentierrausch vereinten, was bis dahin noch nicht einmal zusammen gedacht worden war: Ölfarbe, Tusche, sogar Glas oder Sand und insbesondere Lack trugen sie wahlweise auf Blech, Holz oder Karton auf, ohne irgendeine Rücksicht auf Motive nehmen zu müssen.
Wenn sich welche zeigten, so waren sie ein Triumph des Zufalls oder die unglaubliche Assoziationsfülle von Naturphänomenen. Ein handfestes Nebenprodukt war das von Schlemmer entworfene Lackkabinett, das zwar den Krieg nicht überdauerte, aber als Doku-Replik in Stuttgart zu sehen ist; sogar eine Geschichte der Maltechnik konnten die Hölzel-Schüler in der »Schriftenreihe Dr. Kurt Herberts« publizieren.
»Laboratorium Lack« ist die Neuauflage der Münsteraner Ausstellung »Modulation und Patina« von 2004, die nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat, auch wenn sie letztlich nur ein Gedankenexperiment in der Kunstgeschichte war – der Experimentierfreudigste des Trios, Krause, arbeitete nach dem Krieg wieder als Architekt, Schlemmer starb noch 1943, hatte aber ohnehin in der Serie der Fensterbilder seinen eigenen Stil (wieder)gefunden; nur Baumeister war in seinem eigentlichen Element, sodass das Wuppertaler Intermezzo eher Episode auf einem grandiosen Schaffensweg blieb.
Dennoch sind die Tafeln ein wichtiger Beitrag zur deutschen Lackkunst, die ihre größte Tradition bekanntlich in China hat – was die mitausgestellten asiatischen Lackobjekte beweisen (der Zufall will es, dass das Stuttgarter Linden-Museum zur Zeit eine wunderschöne Ausstellung zur fernöstlichen Lackkunst zeigt, die die deutsche Laborkunst in einen spannenden Kontext stellt).
Ein Wort muss man auch sagen zu dem im Wasmuth Verlag erschienenen Katalog, dessen Gestaltung unter der Regie des innovativen Büros L2M3 lag, das durch Leitsysteme bekannt geworden ist und in Sachen Buch und Druck eng mit Museen wie dem Kunstmuseum, dem Württembergischen Kunstverein oder dem Schmuckmuseum in Pforzheim zusammenarbeitet.
Dem Thema entsprechend bewahrt das Buch eine Art Werkstattcharakter – im Anschnitt von Bildern, in den unauffällig gesetzten Maßstabsangaben an der Seitenleiste, im ausgesparten Buchrücken usw. –, der eine erfrischende Lebendigkeit vermittelt. Dass es darüber hinaus gelungen ist, im Prozess der Buchherstellung die nicht erteilte Druckgenehmigung der Schlemmer-Bilder abzufedern, spricht für die Souveränität der beteiligten Büchermacher.
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