Ausstellungsbesprechungen

Camille Henrot – The Pale Fox, König Galerie Berlin, bis 1. November 2015

Camille Henrot gilt als einer der shooting stars der internationalen Kunstszene. Die 1978 geborene Französin mit Wohnsitz New York erhielt vor zwei Jahren auf der Biennale von Venedig den Silbernen Löwen für Ihr Video »Grosse Fatigue«. Ihre aktuelle Ausstellung zählt zu den 50-must-see-this fall-exhibitions. Die Galerie König zeigt die Arbeit der Künstlerin jetzt in Berlin. Andrea Richter hat die Ausstellung gesehen.

Ein Raum, vier Wände, jede Wand steht für eine Phase des Lebens. Die seitlichen Flächen leuchten tiefblau, der Boden ebenso, bedeckt mit Auslegeware im gleichen Farbton: Ein Meer, das Universum, Bluescreen, der Geist. Der blaue Hintergrund verleiht sämtlichen Artefakten etwas Schwebendes, als fehlten die Koordinaten, die Ausstellungsgegenstände fliegen beinahe durch den Raum – und durch die Zeit sowieso.

Unzählige Artefakte, Zeichnungen, Bronzeplastiken, Fotos, Zeitungsausschnitte, Bücher, auch Tablets, auf denen wiederum Fotos von Artefakten zu sehen sind. Ein Sammelsurium. Eine Wunderkammer. Kuriositäten und Kitsch. Eine Sammlung von Gefundenem und neu Geschaffenem, in eine lineare, biomorphe Ordnung gezwungen. Angeordnet auf Regalen, an die Wände gepinnt, auf dem Boden angehäuft, aufgeschüttet. Der Titel der Ausstellung »The Pale Fox« steht in der Überlieferung der Dogon für das Chaos, aus dem die Ordnung entspringt.

Die Ordnung der Camille Henrot ist eine archetypische: Geburt und Kindheit, Pubertät, Erwachsenen-Dasein, Alter und Tod – ein Lebenszyklus. Jede Wand steht für einen Abschnitt. Ein Straußenei an der ersten, das Foto eines kleinen Kindes an der zweiten, eine eruptive Anordnung von Dingen an der dritten Wand, die die Schwelle zur Erwachsenenwelt darstellt.

Auf das letzte Objekt folgt eine offene Tür, durch die gleißendes Licht einfällt: Ein starker Hell-Dunkel-Kontrast, hervorgerufen durch den Gegensatz zwischen dem tiefen Blau von Wänden und Boden und dem hellen Sonnenlicht draußen. Beim Hinsehen blendet, überstrahlt das Rechteck. Ein beinahe mystischer Moment. Der Lauf des Lebens ist an dieser Stelle unterbrochen. Hier geht es nicht mehr weiter und immer weiter, in einer nicht endenden Bewegung. Hier ist Schluss. Die Tür als Durchgang von einem Raum in den nächsten, vielleicht auch von der einen in eine andere Daseinsform. Verstärkt wird dieser Eindruck von sphärischen Klängen, deren ironische Brechung durch unregelmäßig eingestreutes Räuspern und Husten allerdings eher zaghaft daher kommt.

In einem Nebenraum, als Single Channel Projection, auf einer Leinwand von 5x3 Metern, das auf der Biennale von Venedig mit dem silbernen Löwen prämierte Video »Grosse Fatigue«. Zentrales Thema: die Schöpfung, oder vielmehr Schöpfungsmythen verschiedener Kulturen – die der Dogon, die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte, auch ein kleiner Darwin hat seinen Platz. Wieder ein Sammelsurium. Fundstücke, naturkundliche Objekte aus der Smithonian Institution in Washington, dem größten Museumskomplex der Welt, in dem mehr als 142 Millionen Objekte lagern; Fossilien, Tierpräparate, Knochen und Karten, kategorisiert, katalogisiert, konserviert. Für »Grosse Fatigue« hat die Künstlerin während eines Arbeitsstipendiums einen Bruchteil davon ausgewählt.

Das Video hat keinen Kommentartext, keine O-Töne, auf der auditiven Ebene ausschließlich Percussion und Sprechgesang. Eine männliche Stimme rappt über die Entstehung des Lebens auf der Erde. Bewegungen im Bild werden vom nachfolgenden Objekt aufgenommen, in einer Linie, einer Geraden, die sich fortsetzt. Diese Art der Referenzialität findet sich in der gesamten Ausstellung und auch im Video. Die Schnitttechnik des Videos bedient sich der Bild-in Bild-Montage. Es gibt auf der visuellen Ebene keine fortlaufende Handlung, kein Narrativ. Zeitliche Dauer wird nicht – wie im traditionellen Filmschnitt üblich – durch die Abfolge von ineinander greifenden Bewegungsfolgen dargestellt, die Montage gleicht in ihrer Struktur eher dem assoziativen Spiel der Ausstellung. Eine Muschel folgt auf eine Gruppe Vögel, deren Gefieder der Musterung und Farbigkeit der Muschel ähnelt. Eine Hand malt einen Kreis, im Anschluss ein Glatzkopf. Ein Spiel mit Analogien, mit Verweisen, mit Ähnlichkeiten optischer und inhaltlicher Art. Die Ausstellung kann als räumliche Erweiterung des zweidimensionalen Videos gelesen werden: Das digitale Bild materialisiert sich, findet seine analoge Fortsetzung im Raum und in den Dingen.

Die Fülle des Materials für Video und Ausstellung, extrem kleinteilig zuweilen, lässt die Schwierigkeit erahnen, die es für die Künstlerin bedeutete, auszuwählen, zu verknappen, zu verwerfen und dann zu arrangieren. Die gewählte Schematisierung birgt jedoch die Gefahr der Simplifizierung, der Vergröberung. Hier zeigt sich der – wahrscheinlich allzu menschliche – Impuls, der Objekt- und Bilderflut des digitalen Zeitalters Einhalt zu gebieten, oder zumindest einen leicht verständlichen Rahmen, eine nachvollziehbare Ordnung und damit einen Sinn zu geben. Ob der Rückgriff auf heidnische und religiöse Mythen, und ein esoterisches Alles-ist-in-Allem unter epistemologischen Gesichtspunkten allerdings weiterführt, sei als Frage an die Künstlerin, die sich explizit auf Foucault und Benjamin bezieht, gestattet.

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