Für das freie Kunststudium entschied sich Christian Schmuck (*1981) nach einem Praktikum in einem Grafik-Design-Büro, das ihn von seinem frühen Berufsziel in diesem Metier abbrachte. Bereits im Alter von neun Jahren fand er in Comiczeichnungen einen ersten Zugang zur Kunst, in den Sommerferien entstanden Dutzende Zeichnungen von Phantasieköpfen und Porträts. Durch seine Kunstlehrerin wurde er an die freie Künstlerin Hannah Stütz-Mentzel (*1943) vermittelt, die als Bildhauerin in Ulm lebt und arbeitet. Von ihr wurde er „nicht unterrichtet, aber in der eigenen Suche unterstützt“. Er lernte Bildaufbau, Komposition, verschiedene Zeichentechniken, das Pigmentieren, den Umgang mit verschiedenen Materialien und das Vergegenwärtigen und Lösen von künstlerischen Problemen. Nach Bewerbungen in Stuttgart und Karlsruhe, wurde Christian Schmuck von der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe angenommen und studiert seitdem dort bei dem Maler und derzeitigen Akademie-Rektor Erwin Gross.
Im August 2004 hat der Student in 350 Arbeitsstunden einen Ausschnitt des "Passage-Hofs" in Karlsruhe auf vier Blätter mit einer Gesamtfläche von 200 cm x 140 cm gezeichnet. Zentrale Motive des Bildes sind ein riesiger verästelter Baum mit unzähligen Blättern, ein Treppenaufgang des "Passage-Hof", eine Durchfahrt und ein Hochhaus im Hintergrund, das von einem Baum verdeckt wird.
Passage-Hof, so der Titel der Arbeit, bildet für Christian Schmuck eine wichtige persönliche Auseinandersetzung mit der Stadt Karlsruhe, die er als „langweilig und neurotisch“ empfindet. Die Auswahl der Motive drücken seine Wahrnehmung von dieser Umgebung aus. Durch Radierungen und Zeichnungen versucht der 23-Jährige, Orte wie die Stadt Karlsruhe, zu „kartografieren“ und spricht, bei gelungener Arbeit, von einem „Sieg über die Orte“.
Ziel und Motivation des Künstlers an der Arbeit zu Passage-Hof ist es, ein komplexes Motiv umzusetzen und „das bewusste Sehen zu schulen“. Im Akt des Zeichnens wird der dreidimensionale Raum auf Papier komprimiert, was für ihn die „Erkämpfung eigener Realität“ bedeutet. Er begibt sich an den Ort des Motivs, um im Prozess des Zeichnens in der Natur das Motiv selbst erfahren und analysieren zu können.
Die Arbeit an Passage-Hof gliedert sich in drei verschiedene Abschnitte, deren jeweiliges Produkt ein eigenständiges künstlerisches Werk darstellt.
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Zunächst wird das Motiv gezeichnet – dazu dient unter anderem eine selbstgebaute, überdimensionale Staffelei. Während seiner täglichen Arbeit hat der Student häufig mit Bewohnern des gezeichneten Hauses und sonstigen Anwohnern gesprochen. Die „Live-Atmosphäre“ ist für diesen ersten Schritt sehr wichtig gewesen, um „den Ort aufzunehmen“. Das Vorgehen ist dadurch „viel unmittelbarer als in einem Atelier“. Christian Schmuck hat versucht, möglichst realistisch vorzugehen, also Blatt für Blatt zu erarbeiten, wobei immer mehr kleine Änderungen entstanden – ein Schild, eine Litfass-Säule wurden weggelassen. Diese Verfremdungen sind wichtiger Bestandteil der Zeichnung.
Die zweite Arbeitsstufe am Passage-Hof ist die Radierung, die das Hauptwerk bilden soll. Arbeitet der Student bei der Zeichnung auch flächig und mit Schraffuren, so geht es bei der Radierung um die reine Linie. Bei der Übertragung der Zeichnung auf Zinkplatten entstehen weitere kleine Änderungen. Die mühsam abgezeichneten Blätter beispielsweise überträgt er nun frei, nachdem sich das Durchpausen als unbefriedigend erweist. Anschließend wird die Radierung in einem Salpetersäurebad geätzt.
Die Malerei ist das eigentliche, langfristige Ziel des Künstlers. Zu deren Problemen und ihrer Lösung versucht er aber über den Umweg der Grafik zu gelangen, insbesondere der Radierung, die zusammen mit der Zeichnung für ihn „die Krücke der Malerei“ bildet. Zur Technik der Radierung fand er während seines Studiums in Karlsruhe. Einer seiner Professoren, der ihn beim Kratzen in belichtetes Fotopapier beobachtete, schickte ihn sogleich in die Radierwerkstatt. Das war im ersten Semester. Mittlerweile studiert Christian Schmuck im fünften Semester und befasst sich intensiv mit der Radierung.
Die selbstgesetzten Regeln, die er bei der Herstellung seiner Arbeit anwendet, sind ihm als Teil seiner „künstlerischen Freiheitssuche“ sehr wichtig. Durch das Aufstellen von Regeln und Verwenden von technischen Finessen, die zunächst die Freiheit einschränken, entsteht für ihn eine „neue Art von Freiheit“. „Dinge auch stehen zu lassen“, wenn sie nicht nach diesen Regeln entstanden, das Scheitern am eigenen Anspruch gehört mit zum Werkprozess.
Der letzte Arbeitsschritt am Passage-Hof wird die malerische Übertragung des Motivs auf eine Plexiglasplatte sein. Diese soll bis zum Winter 2005 am Entstehungsort aufgestellt werden und „transparent, schlicht, freistehend und öffentlich sein“. Für den Künstler ist diese Präsentation des Werks am Ort des Motivs ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit am Passage-Hof. Hierdurch kann das Werk Betrachtern auch fern der Akademie präsentiert und so die Kunst zu den Menschen gebracht werden, bei denen sie entstanden ist. Zudem gibt es die Überlegung, am Bild nachts vor Ort weiterzumalen und so den Prozess dieser langwierigen und aufwendigen Arbeit weiter auszudehnen.
Mit welcher Technik er das Motiv auf die Scheibe übertragen wird, weiß Christian Schmuck noch nicht genau. Aber zu solchen Problemen findet er, wie er optimistisch mitteilt, eigentlich immer eine Lösung. Auf die Frage, was ihn an diesen technischen Fragen als Künstler reize, antwortet er strahlend: „Ich bin Bastler“.
Dieses Porträt entstand im Rahmen der von Dr. Kirsten Claudia Voigt geleiteten Übung "Akademie, Atelier, Ausstellung - eine Schreibwerkstatt" im SS 2004 am Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe.