Ausstellungsbesprechungen

Diether Kressel – Bin im Garten. Blumenbilder, Kloster Cismar, bis 30. Oktober 2016

Ein großartiger Künstler an einem wunderschönen Ort: das ist die diesjährige Sommerschau im holsteinischen Kloster Cismar. Stefan Diebitz hat die durchdachte Gedächtnisausstellung besucht, die dem im vergangenen Jahr verstorbenen Diether Kressel gewidmet ist.

Es ist ein doppeldeutiger und ein wenig schwarzhumoriger Titel, den die Ausstellung in Cismar trägt, denn »Bin im Garten« kann zweierlei bedeuten: Es ist das Schild, das der begeisterte Hobbygärtner an die Haustür hängt – und ein solcher Gärtner scheint Kressel gewesen zu sein –, aber es ist auch eine Ortsangabe, denn Kressel verstarb im vergangenen Jahr im Alter von 89 Jahren. So ist diese Schau viel mehr als bloß ein Anhängsel an die diesjährige Landesgartenschau, nämlich vor allem ein Rückblick auf das Werk eines großen Künstlers. Teils aus dem Bestand des Museums, teils von privaten Leihgebern unterstützt, gibt sie einen schönen Überblick besonders über das Spätwerk.

Kressel war ein Norddeutscher mit rheinländischem Migrationshintergrund; in Düsseldorf geboren, verschlug es die Familie schon früh nach Hamburg. Nach Krieg und Gefangenschaft studierte er dort an der Landeskunstschule in Hamburg und arbeitete schon bald für die Presse oder schuf »Kunst am Bau«, fertigte also großformatige Wandbilder. Später wandte er sich auch Holzschnitt und Radierung zu. Er war ein Realist mit viel Witz, der seine Sujets einerseits systematisch verfremdete (zum Beispiel mit einer irritierend verfälschten Perspektive), andererseits aber auch hintersinnig und witzig arbeitete.

Besonders auffällig ist seine eminente zeichnerische Begabung – die Farbe seiner Bilder mag nicht gleichgültig sein, doch steht das Zeichnerische immer im Vordergrund. Er konnte so exakt mit dem Bleistift arbeiten, dass ihm sogar die fotorealistische Imitation eines Schwarzweißfotos gelang. Das scheinbare Foto zeigt eine alte Jazzkapelle (Kressel liebte Swing), eine Ecke des Bildes ist umgebogen, und darüber liegen verwelkte Blumen.

Kressel ging grundsätzlich so vor, dass er die Stillleben in seinem Atelier arrangierte, um sie dann abzuzeichnen. Selbst dort, wo man das keinesfalls vermuten würde, hat er eben so gearbeitet: er malte und zeichnete nur das, was vor ihm lag oder stand. Zu den originellsten, aber wegen seiner Entstehungsgeschichte für ihn auch typischsten Arbeiten gehört »Gespräch«, in dem der Betrachter so auf Hosen und Schuhe eines telefonierenden Unbekannten schaut, als blickte er an sich selbst hinunter.

Tatsächlich waren es nicht einmal die Beine des Künstlers, sondern dieser ließ sich die Beine von einem befreundeten Chirurgen aus Gips modellieren! Auch die extravaganten Schuhe wurden eigens angeschafft – Kressel sah sie in dem Schaufenster eines Schuhladens und erwarb sie spontan. Auf die Frage nach der Größe soll er »Egal!« geantwortet haben – wahrscheinlich zu der nicht geringen Verblüffung des Verkäufers. Mit diesen Gegenständen arrangierte er zunächst die Vorlage und fertigte daraufhin eine Collage an, die als Vorbild für das Ölbild diente. In Cismar ist für »Gespräch« auch diese Vorstudie in gleicher Größe ausgestellt.

Wie manche andere Bilder ist »Gespräch« perspektivisch nicht korrekt, denn der Blick auf den Tisch entspricht nicht der Position des Telefonierenden, der viel schräger auf ihn schauen müsste. Derartige Verzerrungen, besonders aber die übertrieben steile Aufsicht scheint dieser Künstler geliebt zu haben. Auf der anderen Seite arbeitete Kressel derart akkurat, dass in vielen Fällen eine Nähe zum Fotorealismus gegeben ist. Aber er unterläuft die Erwartungen des Betrachters in eigentlich jedem einzigen Fall. Dabei ist seine Vorliebe für das Kaputte, Zerstörte und gelegentlich auch Schmutzige ebenso auffallend. So kann die uralte Schreibmaschine, auf der er einen Brief an seine Tochter »Adele« (so auch der Titel des Bildes) zu tippen angefangen hat, kaum zum Schreiben eingeladen haben, denn die Typen haben sich hoffnungslos verheddert, und an vielen Stellen ist das gute, unglaublich plastisch gemalte Stück auch sonst lädiert. Oder Kressel zeigt uns das Badezimmer eines überzeugten Nassrasierers – die Kacheln sind schmuddelig, und das Handtuch ist sogar mit einem Blutfleck verziert. Das ovale Gemälde ist auf unserer Ausstellungsansicht zu sehen.

Hintersinnig wie vieles andere ist auch das Gemälde, das zwei schwarze Stiefel zusammen mit Messer und Gabel auf einem Teller zeigt: »Charleys Dinner« – natürlich mit Bezug auf Chaplins »Goldrausch«. Und zu diesen Späßen, die auch dem Betrachter viel Spaß machen, gehört die Leidenschaft des Künstlers zum Trompe-l’œil – illusionistische Malerei findet sich in Menge, und sie ist meist ironisch-verspielt. Eines dieser Bilder heißt »Trauben und Pflaumen« – der obere Teil zeigt die Trauben, der untere Teil ein (täuschend echt gemaltes!) Stück Papier, auf dem der Titel oder der angebliche Inhalt dieses Bildes steht: Pflaumen. Und immer wieder krabbeln Insekten auf dem Bildrand umher, einmal eine Fliege innerhalb einer Käseglocke. So kann man wirklich sehr oft von einem Trompe-l’œil sprechen; auch das Foto der Jazzband gehört in diese Reihe, oder das Blick von außen (!) auf ein Fenster (»Ostseite«), das ein norddeutsches Reetdachhaus in einem sehr gepflegten Garten zeigt: ein Spiegelbild? Die Umkehrung des Blickes von innen nach draußen?

Wie sehr spielt die Geschichte in diese Bilder hinein? In einem Buch von Ernst Mach gibt es eine berühmte Zeichnung, welche die richtige Anschauung des Ich demonstrieren möchte und auf der man so an einem Körper hinunterschaut, als wenn man selbst flach ausgestreckt liegt und außerdem ein Auge zukneift, so dass auch die Nase mit ins Bild kommt; ja, bei Mach kann man sogar die Haare des Oberlippenbartes sehen. Bezieht sich Kressels »Gespräch« mit dem Blick auf die Gipsbeine darauf? Wahrscheinlich nicht, aber sein Bild ist viel realistischer als das von Mach. Wenn man dagegen auf der linken Seite eines Bildes drei Äpfel, auf der rechten zwei Birnen sieht und darunter »Kein Vergleich« liest, dann wird man ganz unbedingt an ein berühmtes Bild von René Magritte denken müssen (»Ceci n’est pas une pipe«). Wie Magritte war auch Kressel ein äußerst sorgfältiger Arbeiter.

Wer solche Bilder in Angriff nimmt, der muss sehr viel können, und ein Könner war Diether Kressel zweifellos. Das zeigt sich auch in dem zweiten Teil der Ausstellung. Die eben angesprochenen Bilder hängen im ersten Stock, also in großzügigen bürgerlichen Zimmern des 18. Jahrhunderts; die Gartenbilder, die der Ausstellung den Titel geben, sind in den spätgotischen Gewölben darüber ausgestellt. Hier finden sich Blumensträuße aller Art, oft in Gläsern und Vasen (Glas zu malen war eine andere Leidenschaft dieses Virtuosen), aber weil wenn nicht fast alle, so doch sehr viele Arbeiten des Künstlers vom Vanitasmotiv geprägt sind (oder weil ihn vielleicht hin und wieder eine morbide Anwandlung überkam), sind es sehr oft, ja fast immer verwelkte Blumen in matten und blassen Farben, die in einem Kristall die Köpfe hängen lassen oder einfach nur noch schlapp herumliegen. Dabei scheint Kressel auch von der Materialität dieser verwelkten Pflanzen angezogen oder als Maler angesprochen worden zu sein.

Seit den achtziger Jahren wurde Kressel in Schleswig vom Landesmuseum gesammelt, und 2013 wurde er als »Baumkünstler« geehrt – das ist ein Kreis, zu dem das Museum unter anderem Klaus Fußmann, Bernhard Heisig und Johannes Grützke zählt und dem es einen eigenen Raum auf der Schlossinsel gewidmet hat. Mit seinem Bild »Borke« hat Kressel sich dafür revanchiert, und dieses Bild steht jetzt in Cismar im spätgotischen Obergeschoss neben zahlreichen anderen, die in irgendeiner Hinsicht mit der Natur verbunden sind. Dazu zählt »Selbst mit Stein-Glashaus«, ein Selbstporträt, das ein Gewächshaus in einer Wüste zeigt.

Sehr groß ist die Anzahl seiner Selbstporträts, viele davon, dem Temperament dieses Künstlers entsprechend, ironisch eingefärbt: einmal kann man Kressel als Laokoon in einem Gewächshaus bewundern, von einem Gartenschlauch umwunden. Sein Abschieds-Selbstporträt, vom Museum schlicht »Sein letztes Bild« genannt – er konnte es noch fertigstellen, aber nicht mehr signieren – ist weniger der Natur als vielmehr dem Tod und dessen Vorboten gewidmet; der Mann, der an einem Strohhalm saugt, um eine wenig erfreuliche grünliche Flüssigkeit zu sich zu nehmen (eine Medizin?), sieht aber nicht unbedingt todkrank aus. Seine rechte, einfach auf dem Tisch abgelegte Hand scheint ganz unproportioniert, aber die toten Insekten auf dem Tisch zeigen ganz die Eigenart wie auch die Meisterschaft eines großartigen Künstlers, an den diese Gedächtnisausstellung erinnert.

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