Ausstellungsbesprechungen

Dionysos. Rausch und Ekstase, Bucerius Kunst Forum Hamburg, bis 12. Januar 2014

Seit jetzt zwölf Jahren zählen die jährlich vier Ausstellungen im Bucerius Kunst Forum zu den Höhepunkten des norddeutschen Kunstgeschehens. Für diesen Herbst gilt dies besonders, denn es werden Kunstwerke der höchsten Kategorie aus zweieinhalb Jahrtausenden präsentiert. Stefan Diebitz hat die fulminante Dionysos-Ausstellung besucht.

In seinen eigenen Worten hatte Michael Philipp, der Kurator der Dionysos-Ausstellung, während der insgesamt fünfjährigen Vorbereitung mit einem Luxusproblem zu kämpfen. Dionysos mit den zahlreichen um ihn rankenden Geschichten bildete über mehr als zwei Jahrtausende hinweg eines der beliebtesten Themen für Künstler aller Art, und so gibt es eine schier unendliche Zahl von hochkarätigen Kunstwerken. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die vom 5. Februar an dieselbe Ausstellung präsentieren werden und dank gewisser Umbauarbeiten in diesem Herbst Kunstwerke auf Reisen zu schicken bereit waren, die sie sonst keinesfalls missen mögen.

Die Beliebtheit des Dionysos bei Künstlern ist leicht zu verstehen, denn abgesehen von der Sympathie, die manch Maler oder Bildhauer für den Zuständigkeitsbereich des Gottes hegen mag, war der Gott des Weines und der sinnlichen Ausschweifung auch ein Gott mit etlichen Kindheitsanekdoten und, als sei das noch nicht genug, einer romantischen Liebesgeschichte mit einer Dame namens Ariadne. Wie dankbar die dionysischen Themen für einen Künstler sind, machen bereits die im (wie üblich silberfarbenen) Katalog versammelten Aufsätze deutlich. Die erotischen Kunstwerke werden unter dem Titel »Gemeinsame Sache« von Bernhard Maaz besprochen, und dazu gesellen sich Kapitel, die sich mit dem Mythos von Dionysos und Ariadne, mit tanzenden Mänaden oder auch mit kultur- und religionsgeschichtlichen Aspekten beschäftigen.

Es wäre eher fragwürdig gewesen, Kunstwerke über einen so langen Zeitraum einfach nur chronologisch zu präsentieren und also Bilder oder Plastiken zum Thema »Dionysos und die Mänaden« oder »Dionysos und Silenos« wie auf einer Perlenkette aneinanderzureihen. Natürlich ließe sich so sehr schön der Wandel des einstmals bärtigen und erwachsenen Gottes zu einem zwar recht hübschen, aber doch auch etwas weiblichen, gelegentlich sogar weibischen Jüngling schon zu griechischen Zeiten verfolgen, aber trotzdem wäre eine derartige Aneinanderreihung eher langweilig. Dazu gäbe es in ihr große Lücken, denn im christlichen Mittelalter war Dionysos den meisten Künstlern unbekannt und auf jeden Fall kein Thema der Kunst. Der Gott des Weines musste erst von der Renaissance wiederentdeckt und in der Folge zu einem Gott der Lebensfreude umgeschaffen werden.

Die Konsequenz für den Kurator bestand darin, thematisch verwandte Arbeiten auch aus verschiedenen Epochen nebeneinander zu präsentieren, um so Bezüge erlebbar zu machen. In manchen Fällen ist sogar eine direkte Beeinflussung nachweisbar, und man sieht das antike Vorbild neben einem Kunstwerk der Renaissance oder des Barock und kann unmittelbar erleben, wie die Antike durch einen neuzeitlichen Menschen erfahren und umgedeutet wurde. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet Jusepe de Riberas (1591–1652) Bild eines bärtigen und efeubekränzten, müde das schwere Haupt senkenden Dionysos, und gleich daneben findet sich ein römisches Marmorrelief, das die »Einkehr des Dionysos« zeigt. »Einkehr« meint hier, dass der Gott ein Symposion besucht, also zu den Menschen ins Haus kommt, um an ihrem Gastmahl teilzunehmen – und dass der Ehrengast bereits angetrunken ist und gestützt werden muss, kann uns nicht weiter überraschen. Auf dem antiken Relief wie auf dem um so vieles späteren Ölbild wird derselbe Menschentyp abgebildet.

Besonders schön sind die Abbildungen der Mänaden (den »manischen« Mädchen und Frauen, die Dionysos begleiteten), die sich gelegentlich wirklich manisch gebärdeten und Männer zerfetzten oder zerstückelten – das allerdings war mehr ein Thema für die Literatur als für das Bild, wenngleich die Ausstellung mit dem »Tod des Orpheus« von Nikolaus Knüpfer (1609–1655) auch ein solches Gemälde zu bieten hat. Auf friedlicheren Bildern werden die Mädchen und Frauen auf dem Rücken eines Satyrn oder Fauns gezeigt; die Ausstellung (und mit ihr natürlich der Katalog) zeigt zum Beispiel eine attische Amphore aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert, eine kleine attische Terrakotta-Figur und ein Ölbild Franz von Stucks von 1918 (»Faun und Nixe«). Dreimal dasselbe Motiv, aber bereits zwischen der Amphore und der Terrakotta liegen Welten – das nur wenig spätere Kunstwerk ist uns unendlich viel näher, denn auf der Amphore sieht man ein ganz und gar fremdartiges Menschentum, zu denen uns jeder Zugang zu fehlen scheint. Dagegen könnte man glauben, der reitenden Terrakotta-Dame auch bei uns jederzeit begegnen zu können.

In der Ausstellung sind zahlreiche Bildpaare dieser Art zu bewundern. Dem Titelbild der Ausstellung von Caesar Boëtius van Everdingen – »Bacchus und Ariadne«, aus der Mitte des 17. Jahrhunderts –, ist ein römischer Reliefspiegel mit demselben Motiv beigesellt. Oder die Zeichnung von Peter Paul Rubens, die einen »Silen, an einem Baumstumpf lehnend« zeigt (aus dem ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts), hängt neben der Vorlage des Künstlers, einer römischen Brunnenfigur (»Silen mit Weinschlauch«). Ganz nebenbei kann man bei dieser Gelegenheit auch der zeichnerischen Virtuosität und künstlerischen Souveränität eines der ganz Großen huldigen.

So kann diese Ausstellung zu kunsthistorischen Einsichten führen, aber sie ist auch kultur- und religionsgeschichtlich interessant. In der ältesten Zeit war Dionysos der fremde Gott, einer, der erst akzeptiert und in den Olymp aufgenommen werden musste. Aber zugleich war kein anderer Gott den Menschen näher als er, der sie sogar in ihren Häusern besuchte und den man deshalb auf Reliefs sehen kann, wie er – damals noch dickbäuchig und vollbärtig, ein würdiger, wenngleich nicht ganz nüchterner Herr – ein Symposion besuchte. Dionysos trat direkt in die häusliche Welt ein und wurde zu einem Teil von ihr.

Schon in der Antike wandelte sich der Gott von einem bärtigen Erwachsenen zu einem hübschen, aber auch etwas weibischen Jüngling – und es kann natürlich nicht überraschen, dass eben diese Vorstellung auch zu Beginn der Neuzeit und besonders im Barock wieder aufgegriffen wurde, wenngleich es zahlreiche Darstellungen des Bacchus gibt, in denen wieder der angetrunkene, nicht auffallend schlanke und zumeist unbekleidete Gott auftritt, der dringend gestützt werden muss. Auf einigen Bildern – zum Beispiel auf Garofalos (1481–1559) sehr großem Ölgemälde »Der Triumph des Bacchus« - erscheint Dionysos als eine Mischung aus »triumphierendem Friedensstifter und harmonischem Heilsbringer« (so der Katalog) und entspricht damit sehr genau dem Bild, das die Fürsten der Renaissance von sich selbst besaßen.

Im 19. Jahrhundert entpersonalisierte sich Dionysos und verwandelte sich in das »Dionysische«, besonders natürlich in der bekannten Schrift Friedrich Nietzsches, die aber nicht allein von verbohrten Zeitgenossen des Philosophen, sondern auch bis heute von Altphilologen und Kulturhistorikern als historisch ganz verfehlt angesehen wird. Den von Nietzsche beschriebenen Gegensatz zwischen Apoll und Dionysos oder dem Apollinischen und dem Dionysischen hat es nie gegeben – man kann das unter anderem daran sehen, dass gelegentlich beide Götter auf einem Bild erscheinen.

Es gibt nicht oft Ausstellungen mit derart hochkarätiger Kunst – denn noch längst sind nicht alle wirklich schönen Arbeiten genannt. Nur zwei noch! Von Picasso findet sich eine Radierung, die einen Faun zeigt, der sich einer schlafenden Frau nähert und diese unsittlich enthüllt – damit nahm Picasso ein Motiv aus dem Umfeld des Dionysos auf, ähnlich wie Gustave Courbet, der eine schlafende »Bacchantin« malte. Überraschender wird man vielleicht zwei große Ölgemälde von Lovis Corinth finden, deren zweites - »Heimkehrende Bacchanten« - als Abschluss der großartigen Ausstellung gemeint ist. »Mit den unidealisierten Körpern seiner Akteure«, kommentiert Philipp, »und ihrer grotesk überzeichneten Emotionalität unterlief Corinth alle […] Erwartungen. Dabei trieb er allerdings die Überzeichnung so weit, dass sie ihren Gegenstand desavouierte. Die Gegenwelt des Dionysischen blieb eine Gegenwelt, aber sie erschien nun weder als schön noch als erstrebenswert. Mit Corinth hatte die Utopie vom glückseligen Leben in Dionysos ihren Glanz verloren.«

Weitere Informationen

Die Ausstellung wandert im Anschluss nach Dresden, wo sie vom 6. Februar bis 10. Juni 2014 im Residenzschloss gezeigt wird.

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