Ausstellungsbesprechungen

Edvard Munch - Holzschnitte, Behnhaus Lübeck, bis 4. September 2011

Die 45 Holzstiche und eine Lithografie umfassende Munch-Sammlung eines anonymen norwegischen Privatsammlers, die zuvor erst ein einziges Mal in Lillehammer präsentiert wurde, wird in diesem Sommer im Lübecker Behnhaus gezeigt. Für eine Ausstellung dieser Art scheint kaum ein deutscher Ort geeigneter, denn Lübeck ist ein mit Edvard Munch seit langem eng verbundener Name, und zuletzt war deshalb erst 2003 am selben Ort, im Behnhaus, eine Ausstellung ganz dem Verhältnis des großen Norwegers zu Lübeck gewidmet. Die diesjährige Ausstellung hat sich Stefan Diebitz für das Portal angesehen.

Die besondere Bedeutung der Stadt Lübeck für Edvard Munch (1867 – 1944) ist mit zwei Namen verknüpft, mit dem Augenarzt Max Linde und dem ehemaligen Direktor der Lübecker Museen, Carl Georg Heise. Linde, ein enthusiastischer und sehr bemittelter Kunstsammler, erteilte mehrfach größere Aufträge an Munch, der bei seinen Lübeck-Aufenthalten in seinem Haus wohnte, und veröffentlichte 1903 die Broschüre »Edvard Munch und die Zukunft«, in dem er besonders die Bedeutung von Munchs Holzschnitten hervorhob. Und auch der andere von Munchs Förderern, Carl Georg Heise, in den zwanziger Jahren bis 1933 Direktor der Lübecker Museen und den expressionistischen Malern gegenüber sehr aufgeschlossen, publizierte über ihn.

Als Ende der zwanziger Jahre Linde in finanzielle Schwierigkeiten kam, konnte Heise »Die vier Söhne der Familie Linde« erwerben, eines der wirklich wichtigen realistischen Porträts dieser Zeit und damit eines der Glanzstücke nicht nur in dem Raum des Behnhauses, der den Werken des norwegischen Malers gewidmet ist, sondern eines der schönsten, wichtigsten und populärsten Werke der ohnehin reich bestückten Lübecker Museen. Wohl selten wird bei einem Gruppenporträt so sehr die Individualität der einzelnen Personen getroffen, und das im Grunde mit einfachsten Mitteln, etwa mit der Körperhaltung.

Von Heises weitsichtiger Einkaufspolitik profitiert das Behnhaus bis heute, denn es besitzt eine sehr hochwertige, mit großen Namen gespickte Sammlung der klassischen Moderne, deren Pflege sich das Haus auch weiterhin verpflichtet fühlt. Seine Ausstellungen versuchen zumeist an den eigenen Bestand anzuknüpfen – im letzten Sommer gab es deshalb eine Schmidt-Rottluff-Ausstellung, im Februar wurde der in Lübeck auch sonst sehr präsente Ernst Barlach gezeigt, und jetzt werden die Holzschnitte Edvard Munchs vorgestellt. Die Ausstellung kann dabei Holzschnitte Munchs aus fast seiner gesamten Schaffenszeit zeigen. Erst 1896 begann der Norweger mit Holzschnitten, und die letzte gezeigte Arbeit stammt von 1931.

In die Augen fallend ist das Überformat der Rahmen, denn Munch hat fast immer mit kleinen Stöcken auf sehr großen Bögen gedruckt. Auf den meisten Blättern ist die Holzmaserung vertikal, nur in einem einzigen Fall ist sie horizontal, beim »Kuss«. Dieses Motiv, das wie manch anderer Holzschnitt auch als Bild vorliegt, zeigt deutlich, wie Munch bei seinen Holzschnitten alles Erzählerische und überhaupt alles Beiwerk wegließ, um sich ganz auf das Wesentliche zu konzentrieren. Holzschnitte sind ja Negative, so dass das weiße Papier formgebend wurde, das Munch direkt vor dem Druck noch zusätzlich ein wenig anfeuchtete. Dadurch entstand in den Worten des Kurators Alexander Bastek der (trügerische) Eindruck von »Deckweiß auf schwarzem Papier«.

Bemerkenswert, dass fast alle Arbeiten Unikate sind, denn Munch druckte von seinen Holzstichen nur verhältnismäßig wenige Blätter, die er oft von Hand nachbearbeitete. Bei der Herstellung der Druckstöcke ging der Autodidakt Munch ganz eigene Wege, wie der norwegische Munch-Spezialist Gerd Woll in seinem Beitrag für den zweisprachigen Katalog zeigt, und es gelang ihm insbesondere, das Druckverfahren wesentlich zu vereinfachen.

Munch hat auch eine Reihe zweifarbiger Drucke angefertigt, bei denen er den Druckstock entzweisägte und gern Komplementärfarben benutzt, etwa Orange und Grün bei »Kopf bei Kopf«, einer sehr schön ambivalenten Darstellung eines Liebespaares. Sie küsst ihn von der Seite, aber er scheint bereits zurückzuweichen, denn der Welt der Frauen stand dieser Künstler doch eher skeptisch gegenüber. Die schönsten der Ausstellung sind in meinen Augen die farbigen Holzschnitte. Das beeindruckendste Bild ist »Mädchen auf der Brücke« von 1920, eine nur ganz zurückhaltend eingefärbte Variation eines von Munch häufig gewählten Themas, dessen Ausführung in Öl von 1899 wohl zu seinen bekanntesten Bildern überhaupt zählt und heute im Nationalmuseum in Oslo hängt.

Die vom Holzschnitt geforderte Reduktion des Künstlers auf das Wesentliche, auf den puren Ausdruck, ist Munch offensichtlich ebenso entgegengekommen wie späteren expressionistischen Künstlern. Es ist erstaunlich, dass er selbst Landschaften einzufangen wusste.

Leitmotiv des Munchschen Gesamtwerks ist nach einer Formel Basteks »Variation und Zyklus«, und letzteres zeigte sich besonders im ersten Raum, der dem Projekt eines »Lebensfries« gewidmet ist. Schon 1902 hatte es in Berlin eine Aufsehen erregende, nach nur wenigen Tagen geschlossene Ausstellung mit diesem Titel gegeben, und kurz darauf bestellte Max Linde bei Munch eine heute »Linde-Fries« genannte Arbeit für sein Kinderzimmer, lehnte diesen Fries aber aus verschiedenen Gründen ab. Im Grunde wirkt die Thematik, die Munch auch weiterhin in seinen Holzschnitten bearbeitete, fast schon existentialistisch, denn es werden die Grundthemen des Menschen überhaupt dargestellt, und meist in sehr pessimistischer, düsterer Form, die für ein Kinderzimmer allerdings kaum geeignet gewesen wäre. So könnte die Überschrift »Angst, Einsamkeit und Tod« über einem Raum auch über der ganzen, atmosphärisch sehr dichten Ausstellung oder gar über dem Gesamtwerk Munchs stehen, denn was sonst stellt »Der Schrei« dar, wenn nicht Angst und Einsamkeit?

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