Ausstellungsbesprechungen

Emil Schumacher – Beseelte Materie, Kunsthalle St. Annen, Lübeck, bis 8. September 2013

Dieser Tage wird die Kunsthalle St. Annen zehn Jahre alt, und natürlich muss das Jubiläum mit einer Ausstellung gefeiert werden. Sie ist mit Emil Schumacher (1912–1999) einem großen Meister der informellen Malerei gewidmet. Das St. Annen-Museum in Lübeck, in dem einerseits die sakrale Kunst des Mittelalters, andererseits die Moderne präsentiert wird, zeigt damit ein Werk, das ihrem eigenen Profil perfekt entspricht, denn Schumachers Spätwerk umfasst auch religiöse Momente. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.

In den ganz wunderbaren spätmittelalterlichen Räumen des St. Annen-Museums findet sich bedeutende sakrale Kunst derselben Epoche, aber zum Haus gehört auch die Kunsthalle St. Annen, die erst vor zehn Jahren an dem Platz der bereits 1843 niedergebrannten Klosterkirche errichtet wurde. Die Kunsthalle ist ein moderner eckiger Betonbau, den nicht jeder Besucher mag, den aber Künstler schätzen und der sich für die Ausstellung der oft sehr großen abstrakten Ölbilder Emil Schumachers hervorragend geeignet ist. Denn die meisten seiner Arbeiten brauchen Platz um sich herum, um sich nicht gegenseitig zu erdrücken, und mit gemauertem spätgotischem Gewölbe würden sie sich beißen.

Ausgestellt wird das Spätwerk des 1999 verstorbenen Schumachers seit 1980. Berühmt geworden war der vielfach ausgezeichnete Maler in den fünfziger Jahren, aber im Gegensatz zu anderen Meistern jener Jahre blieb er auch weiterhin erfolgreich und dazu seinem Stil treu, auch wenn sich später gewisse figurative Elemente in seine Bildern schlichen. Bis in sein hohes Alter hinein schuf er kraftvolle Gemälde. Thorsten Rodiek, Museumsdirektor und Kurator der Ausstellung, fand angesichts von »Falacca VIII«, eines sehr großen, den Besucher mit seinem heftigen Gelb-Schwarz fast erschlagenden Gemäldes: »da geht die Post ab«. Man könnte auch sagen, dass die Bilder gepfeffert sind.

Typisch für Schumacher ist eine gelegentlich extrem pastose Malerei, die manchmal auch fremde Materialien einarbeitet – Gräserbüschel zum Beispiel – und dadurch ins Dreidimensionale hineinwächst; um ihre Strukturen ganz zu erfassen, muss man sie deshalb auch von der Seite anschauen. Immer wirken diese Gemälde energiegeladen und dynamisch, lebendig und emotional.

Der Künstler selbst sprach sich wiederholt für eine offene Malerei aus, die nicht zu schön sein dürfe und auch kein Zentrum und keine übergeordnete Strukturen kennen solle. Generell wird die Bedeutung der Kriegserlebnisse – insbesondere der Städtebombardements – für Schumachers Leben und damit für seine Kunst betont, aber es scheint mir überdeutlich, dass für eine solche Kunst der Gegensatz zum Nationalsozialismus und seinem Kitsch, vielleicht aber auch noch zu der gelegentlich agitatorischen Kunst der zwanziger Jahre mindestens ebenso wichtig ist. Schumachers Kunst ist nicht allein unklassisch, sondern in ihrer Subjektivität, Zentrumslosigkeit und assoziativen und emotionalen Anlage geradezu antiklassisch.

Kann es in einer derart subjektiven Kunst Symbole geben? Angesichts von Strukturen, die an Häuser oder Pferde erinnern, wird diesen gelegentlich eine Bedeutung zugesprochen; das Haus soll Wärme und Schutz, der Pferdekopf die leidende Kreatur symbolisieren. Schumacher hat so gearbeitet, dass er sich von den visuellen Eindrücken, die er auf seinen täglichen langen Spaziergängen sammelte, zu eigenen Bildern anregen ließ. Aber wie sollte ein Betrachter diese Vorgänge im Inneren eines Malers nachvollziehen können? Ohne ein Mindestmaß an Konvention ist das eigentlich nicht vorstellbar. Hier liegt ein Widerspruch, der wohl jede radikal subjektive Kunst auszeichnet: ihre Subjektivität, wenn sie wirklich total wäre, verhinderte jedes Verständnis. Subjektiv ist sogar noch das Format der einzelnen Bilder, die niemals 2,50 Meter überschreiten durften: »So weit meine Arme reichen«, sagte Schumacher, größer dürfe ein Bild nicht sein.

Das Unklassische und Assoziative von Schumachers Bildern spiegelt sich auch in den Titeln – Titel zu finden ist ja generell ein Problem eines jeden abstrakten Künstlers. Schumacher fand seine Titel immer erst später und vergnügte sich gelegentlich mit Wortspielen und Lautmalereien (auffällig oft finden sich Anklänge an Arabisches), griff aber gern auch auf die griechische Mythologie zurück – im Rahmen einer antiklassischen Kunst zweifellos ein besonders ironischer Vorgang. Ein Titel wie »Gaia« schließlich könnte sich sehr gut auch über einem klassischen Bild finden.

Die Strukturen mancher Bilder erinnern an Höhlenmalerei, an die schwarzen Silhouetten von Wildtieren, und überhaupt steckt in einer so modernen Malerei viel Atavistisches und Archaisches.

Die Ausstellung von insgesamt 31, teils sehr großen Ölgemälden wird ergänzt durch 13 Gouachen sowie den Illustrationen, die der greise Künstler im Jahr vor seinem Tod für eine in Israel gedruckte Ausgabe der »Genesis« geschaffen hat. Zusammen mit dem hebräischen und dem deutschen Text ergibt sich auf den einzelnen, sehr großen Buchseiten ein bizarres und überaus eindrucksvolles Bild, wobei besonders der ästhetisch ansprechende Druck der akkuraten hebräischen Zeilen einen Widerpart zu den Bildern Schumachers darstellt. Schumachers Illustrationen sind immer noch abstrakt, aber doch nicht ganz, und die Lektüre des nebenstehenden Bibeltextes sowie ein Beitrag des Schumacher-Biografen Ernst Gerhard Güses im Katalog gibt einige Hinweise, wie man die Bilder zu verstehen hat.

Auch wer abstrakter Malerei, dazu noch in derart subjektiver Manier, kritisch oder sogar ablehnend gegenübersteht, kann sich kaum der Kraft dieser Bilder entziehen. Sie wirken mit einer manchmal prachtvollen, manchmal sehr erdigen Farbigkeit, mit ihrer Materialität und Haptik, mit ihrer Expressivität und vitalen Kraft. Wenn man von Schumacher liest, er sei lange spazieren gegangen und habe später seine Eindrücke verarbeitet, so ist eben dies wohl eine Möglichkeit, die sich auch dem Besucher dieser Ausstellung eröffnet. Die Bilder wirken nach.

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