Kataloge

Gerhard-Marcks-Haus Bremen (Hrsg.): ... sich dem Stein stellen. Steinbildhauer des 20. Jahrhunderts, 2004.

Mit dem Katalog zur Steinbildhauerei des 20. Jahrhunderts präsentiert das Gerhard-Marcks-Haus dem Publikum eine traditionsträchtige bildhauerische Technik und zugleich einen fotografischen Augenschmaus.

Der großformatige Katalog legt ganz offensichtlich allerersten Wert auf die schwarz-weiß Fotografien, die den haptischen Reiz des Steins und seiner unterschiedlichen Bearbeitungsspuren den Betrachter erleben lassen wollen. Dem Katalogverzeichnis lässt sich entnehmen, dass es sich um so unterschiedliche Steinsorten handelt wie den graurosa oder weißblauen Granit, den Parischen Marmor oder den Perlakalkstein. Die topografische „Verschlüsselung“ der Gesteine erzielt Neugier, warum denn dieser oder jener Künstler sich etwa für den Untersberger Marmor, den Carrara-Marmor oder den Kubanischen Marmor entschieden hat.

Dass das 19. Jahrhundert durch die arbeitsteilige Produktion an Steinbildwerken eine quantitative Steigerung erreichen konnte, die jedoch der Skulptur im Hinblick der künstlerischen Handschrift einer gewissen Beliebigkeit zuführte, erfahren wir im ersten Teil des einführenden Textes. Der Künstler Hans von Marées empfahl das direkte Arbeiten in Stein und hat seine Protagonisten dieses Arbeitsverfahrens in Reinhold Begas und Adolf von Hildebrand. Max Sauerlandt wird in einem Text von 1931 über den Bildhauer Gustav Heinrich Wolff zitiert, in dem er das von den Bildhauern favorisierte Modellieren des Tonmodells, dessen Abguss in Gips und den Übertrag des Gipsmodells mit Hilfe des Raumzirkels in Stein, kritisiert, weil es zu einer unlebendigen „Faksimilereproduktion“ führe.

Die Attraktivität des taille-directe-Verfahrens, des direkten Arbeitens in Stein, liegt für die Bildhauer des 20. Jahrhunderts in einem veränderten Zugang zum Material Stein begründet. Die Annäherung an das schwer zugängliche Material, das zu bearbeiten einen nicht geringen körperlichen Kraftaufwand erfordert, geschieht nun über das Zugeständnis an den formalen „Eigensinn“ des Materialblocks, wobei einhellig die kubische Gestalt betont wird.

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Ein Blick über die deutsche Grenze hinaus lässt Joseph Bernard, Constantin Brancusi und Ossip Zadkine noch vor dem Ersten Weltkrieg als taille-directe-Arbeiter ausmachen und schließlich Henry Moore und Jacob Epstein im angelsächsischen Raum. Gustav Heinrich Wolff kam der Stein als Werkmaterial insofern entgegen, als er der künstlerischen Vorstellungskraft ein größtmögliches Maß an Eigengesetzlichkeit entgegensetzt, was die freie Imagination zu größtmöglicher Disziplin führt.

Joachim Utech, der den Granit seiner pommerschen Heimat bevorzugte, hielt nach eigener Aussage, als er das Granithandwerkszeug seines Großvaters überreicht bekam, „wirkliche Waffen in den Händen“. Der Eindruck einer „kriegerischen“ Auseinandersetzung mit einem der härtesten aller Naturstoffe prägt sich beim Lesen ein. Ob sich mit dieser Äußerung des Künstlers aus dem Jahr 1939 auf eine zeittypische Haltung gegenüber einer Materialität schließen lässt, die das Maskuline oder gar Heroische des künstlerischen Arbeitsprozesses betont wissen will, bleibt offen.

Mit Gerhard Marcks wird ein Steinbildhauer vorgestellt, der sich nur eingeschränkt dem widerstandsfähigen Material zuwandte, um sich über tektonische Gesetzmäßigkeiten Klarheit zu verschaffen. Die Orientierung am Naturvorbild spielte in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Mit den Bildhauern Alfred Hrdlicka, Werner Stötzer und Michael Schoenholtz werden drei zeitgenössische Bildhauer vorgestellt, deren Traditionsverbundenheit in der Wahl der menschlichen Gestalt und in der eigenhändigen Bearbeitung des Steins angesetzt wird.

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Alfred Hrdlicka, so die Autorin, dient „das dauerhafte Gestein“ dazu, „Gewalt, Leid und Endlichkeit der Kreatur darzustellen“, wobei der Künstler vor der „Zerstörung des bereits Geschaffenen nicht Halt macht“. Als ungleich behutsamer wird Werner Stötzers Zugang zum Steinbildwerk beschrieben, dessen Bearbeitungsspuren während des Herstellungsprozesses belassen werden und dessen Figuren „selbstgenügsam“ die „Vorstellung des sich in der Natur Behauptens“ anklingen lassen. Mit Michael Schoenholtz kommt ein dritter Zugang zum Steinmaterial hinzu. Schoenholtz gilt als kühler Tektoniker, dessen anthropomorphe Bezüge seit den 1980-er Jahren in einem „Höchstmaß an Abstraktion“ aufgehen.

Anhand von diesen sechs beispielhaft ausgewählten Bildhauern zweier Generationen des 20. Jahrhunderts vermittelt der Katalog die Kontinuität und Aktualität dieser ältesten und urständigsten Bildhauereitechnik. Ausgiebige biografische Textbeiträge zu Gustav Heinrich Wolff (1886-1934), Joachim Utech (1889-1960), Gerhard Marcks (1889-1981), Alfred Hrdlicka (geb. 1928), Werner Stötzer (geb. 1931) und Michael Schoenholtz (geb. 1937) begleiten die zum Teil ganzseitigen Fotografien ihrer Arbeiten. Ihre Repräsentativität beziehen die sechs Künstler aus der Unterschiedlichkeit ihres Umgangs mit dem Stein. Die Motivation ihres individuellen Umgangs mit dem steinernen Material, ihr Standort innerhalb der großen Traditionslinie der Steinbildhauerei, so wird deutlich, bleibt für die Zukunft ein noch zu erkundendes Feld, dessen Erforschung mit dieser Publikation eröffnet wurde.

Was die äußere Gestaltung des Katalogs nahe legt, nämlich die Wahrnehmung der reichhaltigen Palette von Bearbeitungsspuren an unterschiedlichen Steinmaterialien, bleibt der Text schuldig: Wo bleibt die Erläuterung der unterschiedlichen Bearbeitungstechniken, wenn wir uns schon optisch auf eine derartige Nähe der Steinbildhauerei einlassen? Wie und warum hat zum Beispiel Gerhard Marcks den Spitz- oder Rundmeißel verwendet, die Raspel, den Holzhammer, das Flach- oder Zahneisen angesetzt?

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Der theoriegeschichtliche Text zu Beginn des Artikels hebt ab auf verbreitete Ansichten im 19. Jahrhundert, deren Zusammenhang mit den Entwicklungen des folgenden Jahrhunderts etwas vage bleiben, zumal man gerne etwas Näheres zu den eingangs erwähnten Theoremen erfahren hätte. Nämlich, dass es dem Bildhauer des 20. Jahrhunderts im Gegensatz zum Kollegen des 19. Jahrhunderts stets um das eigenhändige Bearbeiten des Steinblocks geht. Dass keine vorbereitenden Studien oder Modelle für das auszuführende Werk mehr hergestellt werden, sondern dass die künstlerische Imagination Vorherrschaft bei der Bildfindung erlangt. Und: dass diese Imagination wesentlich von der ursprünglichen Form des Steinblocks mit auf den Weg gebracht wird.

 

Bibliographische Angaben

Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen (Hrsg.): ... sich dem Stein stellen. Steinbildhauer des 20. Jahrhunderts. Gustav Heinrich Wolff, Joachim Utech, Gerhard Marcks, Alfred Hrdlicka, Werner Stötzer, Michael Schoenholtz ; Katalog zur Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, 23. Mai bis 15. August 2004, Konzept und Katalog: Veronika Wiegartz Gerhard-Marcks-Stiftung, Bremen 2004.
ISBN 3-924412-47-2 - ISBN 978-3-924412-47-0

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