Ausstellungsbesprechungen

Holderried Kaesdorf, Die Fahrt der Linie

Was Romane Holderried Kaesdorf in sechs Jahrzehnten abseits aller Moden und Ismen geschaffen hat, strotzt nur so vor lakonischem Witz. Bedenkt man, dass die 1922 in Biberach geborene Künstlerin seit 1945 unermüdlich bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 dem unbekannten Wesen Mensch auf die Spur zu kommen suchte, entstand so das zeichnerische Panoptikum einer ach so liebreizenden Gattung.

Einfach war die Künstlerin nicht und sie machte es den Mitmenschen nicht leicht. Ihre Bilder sind allerdings in fast schon charmanter Weise unzugänglich – Glätten lehnte Holderried ab, was bis ins Bildformat reichte: Keines gleicht dem anderen.  

 

In den vergangenen Jahren begegnete man ihren Zeichnungen immer wieder in Gruppenausstellungen, Privatsammlungen wurden auf sie aufmerksam, zumal seit ihr spät, 1992, noch Professorenehren zuteil wurden. Selten waren aber so viele ihrer Arbeiten zu sehen wie in der Böblinger Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem Museum Biberach entstanden ist. Bedauerlich ist allerdings, dass offenbar kein Interesse bestand und besteht, diese faszinierenden Zeichnungen noch näher ans Publikum zu bringen, etwa seitens des Stuttgarter Kunstmuseums, das genügend Möglichkeiten hätte, eine Kabinettausstellung zu organisieren. So bleibt immerhin noch der Pilgerweg nach Böblingen und Biberach, der sich auf jeden Fall bezahlt macht. 

 

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Holderried Kaesdorf hat die Geschlechter feinsäuberlich in »Männerzeichnungen« und »Frauenzeichnungen« getrennt, wobei aber die Differenz häufig nur im Farbanteil auf der weiblichen Seite zu verzeichnen ist. Wenn nicht gerade die Hutträger mit den Lockenwicklerköpfen konkurrieren, nähern sich gelegentlich die Protagonisten an, wenn sich etwa ein Mannweib mit Stahlhelmfrisur prüfend an einer Frau mit strammer Dauerwelle zu schaffen macht. Ansonsten vollführen die bodenlosen Figuren meist einen Kick pathetischer als eigenschaftsreich banale Handlungen, die sich oft erst über die urkomischen oder auch sperrigen Titel erschließen: »Zwei Männer mit Schemeln, einer sitzt für den Kopf ungeschickt«, »Nur am Morgen werden die Blumenvasen über den Knien angelegt«, »Kniende Matrosin mit Taschenlampe am Kopf« usw. Nicht zuletzt die Ignoranz jeglicher Größenperspektive gibt Anlass zum Schmunzeln, wenn man auch irritiert feststellt, dass die Generationenfolge damit aufgehoben wird: Ob kleine Figuren im Arm einer größeren auf eine Vater/Mutter-Kind-Gruppe hinweisen, oder ob da nicht nur ein kleiner Erwachsener von einem größeren gehalten wird, bleibt unbestimmt.

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Ihre Wurzeln hat Romane Holderried Kaesdorf in der politischen Grafik der 1920er Jahre. George Grosz ist wie ein Ahnherr überall präsent, auch wenn die kulturellen Kontexte verschieden waren. Beide führten einen karikaturesken Strich, doch wird man weder Grosz noch Holderried Kaesdorf gerecht, wenn man ihre Arbeiten nur unter der Rubrik Karikatur betrachtet oder gar ein Abhängigkeitsverhältnis konstruiert –
im Grunde überzeichnen sie nicht wirklich, um eine Szene ins Lachhafte zu ziehen. Häufig ist es gerade die verfehlte Anmut, mit der die Herren einen Schemel mit sich führen oder die Frauen im Stuhldurcheinander Papierschiffchen manövrieren.

 

Darüber hinaus liegt die Komik auch nur im Einfall, der in einer nüchternen, selbstverständlichen Situationsbeschreibung ausläuft – man denke an groteske Szenen wie die, in der eine Frau – oder ist’s ein Mann? – zwischen einem Stuhl und dem geschriebenen (!) Begriff »einem Wort« hindurchrudert (übertitelt als »mit dem Boot durch zwischen einem Stuhl und einem Wort«). Wenn in diesen heiteren bis unheimlichen Alltagskämpfen eine Philosophie des Scheiterns zum Vorschein kommt, spannt sich im Werk von Holderried Kaesdorf der Bogen von Grosz bis hin zu Loriot, der die Grenzen bei näherer Betrachtung auf ähnlich doppelbödige Weise ausreizte.

 

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Wer noch eine sachkundige Führung nutzen will, sollte den Termin am 17. Februar, 15 Uhr, wahrnehmen, wenn die Leiterin der Städtischen Galerie, Dr. Eva-Marina Froitzheim, über eine der originellsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts spricht. Empfehlenswert ist auch der qualitativ bestechende Katalog aus dem Josef Fink Verlag, der dem Werk über die Ausstellung hinaus eine wünschenswerte Verbreitung sichert.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Mittwoch, Donnerstag, Freitag 15 – 18 Uhr

Samstag 14 – 18 Uhr

Sonntag + Feiertage 11 – 18 Uhr

 

Weitere Stationen 

Museum Biberach, 10. Mai bis 31. August 2008

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