Ausstellungsbesprechungen

Johann Christian Reinhart. Ein deutscher Landschaftsmaler in Rom, Hamburger Kunsthalle, bis 27. Januar 2013

Einen ebenso großartigen wie – noch? – unbekannten Maler kann man jetzt in Hamburg entdecken: In einer umfangreichen Schau würdigt die Kunsthalle den halbvergessenen Landschaftsmaler Johann Christian Reinhart (1761–1847), der fast sechs Jahrzehnte seines Lebens in Rom gelebt und vor allem gearbeitet hat. Sein in Thematik wie Techniken erstaunlich vielseitiges und interessantes Werk füllt eine ganze Flucht von Räumen. Stefan Diebitz hat die Ausstellung durchwandert.

Johann Christian Reinharts Leben umspannt nicht allein 86 bis zum Ende produktive Jahre, sondern auch so verschiedene Orte wie das fränkische Hof, einen winzigen Fürstenhof in Meiningen und endlich das Zentrum der Kunst jener Jahre, Rom, wo er über Jahrzehnte als freischaffender Künstler eine wichtige Rolle in der umfangreichen deutschen Künstlerkolonie spielte. Der Verschiedenheit dieser Orte und künstlerischen Anforderungen entspricht die stilistische und thematische Vielfalt seiner Landschaftsbilder, in denen man den Übergang von den idealen Landschaften des 18. Jahrhunderts zu einer realistischen Darstellung ohne mythologische Figuren und pittoreske Ruinen erleben kann. Bezüge auf griechische Götter, Shakespeare oder Ossian kommen also immer wieder vor. Besonders typisch für seine Zeit ist »Fingals Kampf mit dem Geist von Loda«, ein sehr großes Bild mit einem wildromantischen Thema.

Sehr oft verzichtete der Maler jedoch auf jede Personalstaffage, um einfach nur schöne oder doch wenigstens pittoreske Gegenden bei gutem Wetter abzubilden. Und später schuf er auch einige ziemlich eindrucksvoll aquarellierte oder radierte Sturmlandschaften. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Reinhart eng mit dem Sohn des Schweizer Idyllendichters Salomon Gessner, Konrad Gessner, befreundet war, wie er selbst ein Maler. Viele von Reinharts Radierungen wird man spontan dem 18. Jahrhundert und seiner Feier des locus amoenus zuordnen, und der Einfluss des alten Gessner ist auf mancher Arbeit zu sehen.

Reinhart war vor allem ein Landschafter, aber auch ein bissiger Karikaturist und endlich ein begabter Tierzeichner. Die Hamburger Kunsthalle präsentiert 30 Gemälde (von etwa 40 bekannten), fast 100 Zeichnungen, 30 Aquarelle und 75 Radierungen. Ohnehin die erste diesem Künstler gewidmete Retrospektive, ist diese Schau also nichts weniger als eine Ausstellung seines Gesamtwerks und wird damit allen Facetten seines künstlerischen Wirkens gerecht. »Gesehen hat ihn noch keiner richtig«, sagte Kurator Andreas Stolzenburg selbstbewusst in seiner Einführung – wahrscheinlich hat er damit wirklich Recht, denn vieles ist erst in den letzten Jahren entdeckt worden.

Schon bei der großen Runge-Ausstellung des Frühjahrs 2011 arbeitete die Kunsthalle mit farbigen Wänden – bei Runge waren sie dunkelrot, der seinerzeit in Bürgerhäusern dominierenden Farbe. Bei Reinhart sind sie zunächst – bei den Bildern seiner ersten Schaffensphase – in einem giftigen Grün gehalten, das an die Tapeten der Duodezhöfe erinnern soll, später aber symbolisiert ein weißliches Gelb das heitere Leben in Italien, das der Künstler so lange genoss.

Begonnen hat Reinhart als Hofmaler, der im Auftrag seines Landesherrn Orte dessen Landes abbildete. Ein besonders schönes, für Reinharts künstlerisches Temperament absolut typisches Beispiel ist »Die Mühle bei den großen Eichen« von 1788. Schon die Mühle ist als Sujet für ihn charakteristisch, aber mehr noch sind es die Bäume. In seinem Katalogbeitrag schreibt David Klemm treffend, dass Reinhart wie kaum einer seiner Zeitgenossen »den Baumschlag wirklichkeitsnah und wirkungsvoll zugleich« wiedergeben konnte. Bäume ziehen sich durch Reinharts gesamtes Werk, und es gelang ihm immer wieder, zunächst ihre charakteristische Gestalt, aber auch ihre rauschende Krone einzufangen. Die Anfänge seiner Technik hat er von Adam Friedrich Oeser gelernt, für dessen Schule »das getüpfelte Laub« charakteristisch ist, wie der zweite Kurator, F. Carlo Schmid, in seinem Katalogbeitrag erläutert.

Reinhart war ein Naturfreund und vor allem ein Jäger, der sich offensichtlich sehr gern im Wald aufhielt und ein gutes Auge für Tiere besaß, die er naturgetreu und oft geradezu liebevoll porträtierte. Die Ausstellung zeigt in einem eigenen Saal eine ganze Reihe von Tierstudien – teils Zeichnungen, teils mit großer Sorgfalt ausgeführte Radierungen. Meist waren es Haustiere wie Ziegen, Schafe oder Kühe, die er abbildete.

In etlichen Fällen kann die Ausstellung Tuscheskizzen neben der ausgeführten Radierung zeigen, so dass Reinharts Sicht- und Arbeitsweise deutlich wird. Das gilt besonders für eine Rheinreise, auf welcher der noch junge Künstler seinen Landesherrn begleiten durfte, um die berühmtesten Punkte in Skizzen zu erfassen, die er später mit großer Sorgfalt ausarbeitete.

Nur wenig später ging er achtundzwanzigjährig nach Rom, um für immer dort zu bleiben. Anfangs konnte er von einem Stipendium leben, aber das war nach nur zwei Jahren vorbei, und es scheint, dass ihn fortan die Geldnot niemals ganz verlassen hat. Geld verdient hat er offensichtlich weniger mit Ölbildern als vielmehr mit Radierungen, welche die schönsten und berühmtesten Stellen der ewigen Stadt oder die schöne Umgebung zeigen. Ein ganzer Raum ist »Topographische Ansichten der Stadt Rom« überschrieben, die er in Deutschland veröffentlichte.

Im Zentrum der Ausstellung steht das Ölbild »Ansicht des Tibers an der Quelle« von 1808, das die Kunsthalle bereits vor zehn Jahren erworben hat und das als eines der Schlüsselwerke Reinharts gilt. Das Gemälde, das Plakat wie Katalogumschlag ziert, zeigt eine ganz unspektakuläre, ruhige Landschaft ohne Ruinen und auch ohne mythologische Figuren. Links im Vordergrund sitzt ein Jäger (also wahrscheinlich der Künstler selbst) und schaut bis zu den fernen, im Blau verschwimmenden Bergen. Anders als viele andere seiner Landschaftsbilder, die von drei Bäumen links und einem schrägen Baum rechts gerahmt werden, findet sich hier kein Rahmen, sondern allein auf der linken Seite steht ein Baum, unter dem der Betrachter sitzt. Schon diese Asymmetrie deutet auf die Wahrhaftigkeit in der Wiedergabe des Ortes.

Die Ausstellung ist sehenswert, weil viele Arbeiten schlicht schön sind, aber auch, weil in der Person und dem Lebenswerk Johann Christian Reinharts Kunstgeschichte greifbar wird. Besonders in seinen Landschaften zeigt sich eine weit gespannte Entwicklung vom 18. bis zum 19. Jahrhundert. Am Ende seines Lebens begegnete er Carl Blechen, der ihn einfach als einen Vertreter längst vergangener Zeiten wahrnahm. Aber so einfach ist es eben nicht, sondern schon in seinen frühen Bildern werden Entwicklungen sichtbar, die sich erst wesentlich später durchsetzten.

Als letztes müssen noch seine großformatigen römischen Veduten angesprochen werden, die, weil mit Tempera gemalt, nicht transportabel waren und deshalb in Hamburg nicht im Original ausgestellt werden. Die Ausstellung behilft sich mit Kopien auf einer weißen Wand. Bei Reinhart bestellt waren die Gemälde von Ludwig I. von Bayern, der die Aussicht vom Turm der Villa Malta aus dargestellt zu sehen wünschte. Auf den ersten Blick sehen die Bilder aus wie Fresken – wahrscheinlich wegen der matten Farbgebung, mit welcher der Künstler eine illusionistische Darstellung eines Blicks durch ein Fenster in die Umgebung erreichen wollte. In München sollte man glauben, auf die Dächer Roms zu schauen. Aber aus diesen Plänen wurde nichts, sondern die Gemälde wurden, in mächtige goldene Rahmen gezwängt, in die Alte Pinakothek verbracht.

Der buchstäblich gewichtige Katalog entspricht dem Anspruch der Ausstellung – das gilt für Zahl und hohe Qualität der Abbildungen wie für die einzelnen Aufsätze, die für lange Zeit den Stand der Forschung darstellen werden. Also wohl ein Standardwerk. Carlo Schmid stellt in einem konzentrierten Beitrag den Zeichner und Radierer Reinhart dar, Herbert W. Rott den Maler (»Erdichtete Landschaften«); Andreas Stolzenburg und Hermann Mildenberger folgen den biografischen Spuren des Künstlers; und Markus Bertsch analysiert die Bildstruktur von Reinharts Landschaftsbildern. Der Katalog ist ebenso bedingungslos zu empfehlen wie die Ausstellung.

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