Ausstellungsbesprechungen

Jost Heyders Welt. Malerei und Zeichnung. Kunstsammlungen Limburg, bis 18. November 2018

Limburg an der Lahn ist ein überaus attraktives Reiseziel – in erster Linie wegen seines weithin sichtbaren, erhaben über der Stadt thronenden spätromanischen Doms. Dass es in der Domstadt auch die kommunalen Kunstsammlungen gibt, untergebracht in zwei historischen Gebäuden am Fischmarkt, ist allerdings weniger bekannt. Kernstücke der umfangreichen Sammlung sind Arbeiten des bedeutenden Silhouettenkünstlers Ernst Moritz Engert sowie der künstlerische Nachlass des Expressionisten Josef Eberz, einem Schüler von Adolf Hölzel an der Stuttgarter Akademie, bei dem auch zwei spätere Bauhaus-Meister, Johannes Itten und Oskar Schlemmer, ihre Ausbildung erhielten. Regelmäßig veranstalten die Limburger Kunstsammlungen Wechselausstellungen mit Künstlern der Region wie auch mit überregional bekannten Kunstschaffenden, so wie jetzt mit dem in Erfurt lebenden Maler und Graphiker Jost Heyder. Rainer K. Wick hat die Ausstellung besucht.

In der ehemaligen DDR aufgewachsen und ausgebildet, verfügt Jost Heyder über einen ganz spezifischen sozial-kulturellen Hintergrund, der bis heute die Folie seines Schaffens bildet. 1954 in Gera geboren, studierte er von 1975 bis 1980 an der angesehenen Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig, und zwar bei so herausragenden Künstler-Lehrern wie den Malern Bernhard Heisig, Arno Rink und Sighard Gille. Von 1982 bis 1984 war er Meisterschüler von Gerhard Kettner an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und dann nochmals von 1989 bis 1991 Meisterschüler des Bildhauers und Zeichners Wieland Förster an der Akademie für bildende Künste in Ost-Berlin. Allein schon diese Aufzählung macht deutlich, dass er bei den besten Künstlern der früheren DDR studiert hat, die ihn forderten und förderten und deren Anregungen er zu einer eigenständigen Bildsprache zu verschmelzen verstand. Seit 1980 arbeitet Jost Heyder als freischaffender Künstler zunächst in Eisenach, dann, ab 1996, in Erfurt bzw. in Arnstadt einige Kilometer südlich der thüringischen Landeshauptstadt, wo er seit längerer Zeit in der „Kunsthalle“, einem ehemaligen Fabrikgebäude, sein Atelier hat.

Vor allem in Leipzig wurde zu DDR-Zeiten auf hohem Niveau eine gegenständlich-figurative Kunst kultiviert, für die souveränes handwerkliches Können eine Selbstverständlichkeit war. Namhafte Protagonisten dieser seit den 1970er/80er Jahren auch international erfolgreichen sogenannten Leipziger Schule waren der schon erwähnte Bernhard Heisig sowie Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, gefolgt etwa von deren Schülern Arno Rink oder Wolfgang Peuker. In der Tradition der ursprünglichen Leipziger Schule hat sich seit geraumer Zeit auch die nächste Malergeneration etabliert. Sie firmiert unter dem Sammelbegriff „Neue Leipziger Schule“, ihre Galionsfigur heißt Neo Rauch. Dieser sog. Neuen Leipziger Schule, die weder im soziologischen Sinne eine Künstlergruppe ist noch in ästhetischer Hinsicht auf einen einheitlichen Stil festgelegt werden kann, ist auch Jost Heyder zuzurechnen. Was die Leipziger Schule der Gründergeneration anbelangt, nennt der Kunsthistoriker Lothar Lang zwei Haupttendenzen, eine „expressiv-leidenschaftliche“ Tendenz, für die etwa Bernhard Heisig steht, und eine „formstrenge, dingpräzise, nüchtern-sachliche“, wie sie in unterschiedlichen Ausprägungen etwa von Wolfgang Mattheuer mit seiner neusachlichen Orientierung einerseits und dem altmeisterlichen Werner Tübke andererseits repräsentiert wird.

Versucht man, die in Limburg ausgestellten, brillant gemalten und gezeichneten Porträts und die mittelformatigen „figurativen Szenerien“ Heyders in dem angedeuteten Spektrum zu verorten, so lassen sie sich umstandslos dem „expressiven Flügel“ zuordnen. Obwohl sich der Künstler über Jahrzehnte intensiv mit einem zentralen Thema der abendländischen Kunst, nämlich dem Aktbild, auseinandergesetzt hat und dabei zu eindrucksvollen, das Sinnliche betonenden Bildformulierungen gelangt ist, und obwohl er faszinierende, gleichsam tektonisch gebaute, kristallin anmutende Landschaften gemalt hat, steht die Limburger Ausstellung mit dem etwas unspezifischen Titel „Jost Heyders Welt“ ganz im Zeichen des Porträts. Lässt man einmal die hoch entwickelten antiken Bildnisse etwa der Etrusker und Römer außer Betracht, so entfaltete sich die Porträtkunst in der frühen Neuzeit, sprich, in der Renaissance mit der schrittweisen Emanzipation des Individuums aus mittelalterlichen Bindungen, und bis ins frühe 19. Jahrhundert konnte sie ihren besonderen Status als Bildgattung unangefochten behaupten. Das änderte sich erst mit der Erfindung der Fotografie in den 1830er-Jahren, die dem gemalten Porträt freilich nicht das Ende bereiten konnte. Gerade in der DDR, in der, anders als in der BRD, tradierte ästhetische Normen und künstlerische Standards hochgehalten wurden, blieb der Stellenwert der Bildnismalerei unangetastet. In diesem Zusammenhang stehen auch die Arbeiten Jost Heyders. Scheinbar mühelos gelingt es dem Künstler, durch genaue Beobachtung, gepaart mit Einfühlungsvermögen und natürlich dank einer souveränen Beherrschung der künstlerischen Mittel, die Ähnlichkeit mit seinen Modellen herzustellen – meist Freunde und Bekannte, Familienmitglieder, auch Personen des öffentlichen Lebens –, ohne sich dabei in einem platten Abbildrealismus zu erschöpfen. Immer geht es ihm um die Sichtbarmachung dessen, was hinter der Oberfläche liegt, um das zu erfassen, was die Porträtierten in ihrem Inneren ausmacht oder in ihrer schicksalsbedingten Befindlichkeit charakterisiert („Mein kranker Vater“). Das erinnert an die psychologischen Porträts des großen österreichischen Expressionisten Oskar Kokoschka, und es ist sicherlich kein Zufall, dass Heyder vor einigen Jahren mehrere postume Kokoschka-Porträts gemalt hat, die zweifellos als Huldigungen an das verehrte Vorbild zu verstehen sind. Die bildnerischen Mittel emanzipieren sich bei Heyder vom Zwang zur peniblen, quasi-fotografischen Gegenstandsbeschreibung, machen sich gleichsam selbstständig, werden autonom, ohne dass die „Lesbarkeit“ des Bildes darunter leiden würde. Dies gilt sowohl für die Form als auch insbesondere für die Farbe, die über die Jahre deutlich an expressiver Kraft gewonnen hat. Dies zeigt ein Blick auf einige bisher selten ausgestellte frühe Porträts aus der Zeit um 1980, also aus der Endphase der Ausbildung des Künstlers in Leipzig, die in ihrer tonigen Farbigkeit noch sehr verhalten sind, im Hinblick auf ihre malerischen Qualitäten und ihre psychologische Intensität aber schon einen früh vollendeten Vollblutmaler sichtbar werden lassen.

Manche Arbeiten des Künstlers erinnern übrigens auch an Lovis Corinth, dessen zum Expressionismus neigendes Spätwerk Heyder besonders schätzt, und an Max Beckmann, dessen Patenschaft in einigen der komplex komponierten „figurativen Szenerien“ aufscheint. Erwähnt seien Kompositionen wie „Hinter dem Vorhang“ oder „Auf der Bühne“ – Bilder, die man als Gleichnisse des Theatrum Mundi deuten kann, in dem die Menschen nicht als freie, selbstbestimmte Subjekte agieren, sondern als Träger bestimmter Rollen funktionalisiert und wie Marionetten von unsichtbaren Fäden bewegt werden. Derartige Bilder konnten in der früheren DDR als versteckte Kritik am real existierenden Sozialismus gelesen werden, angesichts eines hemmungslosen, inzwischen gnadenlos operierenden Kapitalismus lassen sie sich aber ebenso gut als Metaphern für die fragwürdigen Umstände verstehen, unter denen viele Menschen im Zeitalter der Globalisierung leben und leiden. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass Heyder ein „politischer Künstler“ ist. Vor dem erhobenen Zeigefinger hütet er sich. Nie schwingt er die Moralkeule, als Weltverbesserer oder Wahrheitsapostel aufzutreten liegt ihm fern. Als Künstler ist er Künstler und nichts als Künstler. Was ihn primär interessiert, ist das Kunstwerk selbst, seine formale Gestalt, seine künstlerische Qualität. Hier leistet er Hervorragendes. Kein Wunder, dass Lena Naumann, Chefredakteurin des Münchner Kunstmagazins „mundus“, über das malerische Werk Jost Heyders kürzlich feststellte, dass „dessen handwerkliche, geistige und ästhetische Klasse heutzutage derart selten geworden ist, dass man lange suchen muss, um Vergleichbares zu finden.“

Weitere Informationen zum Künstler finden Sie auf dessen Homepage: www.jost-heyder.de.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns