Ausstellungsbesprechungen

Jugendstil am Oberrhein - Kunst und Leben ohne Grenzen, bis 9. August 2009

Die große Reformbewegung der Moderne, zu deren Zentren unter anderem Brüssel, Wien, Barcelona, Darmstadt und München zählten, steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Sie stellt die Kunst um 1900 in ihrem vielschichtigen Erscheinungsbild und ihren regionalen Ausprägungen im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz vor und zeichnet das Porträt einer Kulturlandschaft, in der Kunst, Politik, Geschichte und Wirtschaft eng miteinander verflochten sind.

Kleemann. Brustschmuck
Kleemann. Brustschmuck

Markierte der Oberrhein einst bis ins 20. Jahrhundert hinein eine nicht nur natürliche Grenze, sondern politisch auch einen – wenn auch wasserhaltigen –  Graben zwischen Deutschland und Frankreich, so öffnete er sich zwischendurch – vorwiegend kulturell – auch mal nach beiden Seiten. Sieht man von den neueren und stets stärker werdenden binationalen Annäherungen seit Konrad Adenauer ab, nimmt man um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein recht kleines Zeitfenster wahr, das einen lebhaften Kulturaustausch ermöglichte und das in einer großen Landesausstellung im Schloss Karlsruhe, initiiert vom Badischen Landesmuseum, geöffnet worden ist: Unter dem Titel »Jugendstil am Oberrhein – Kunst und Leben ohne Grenzen« zieht sich programmatisch eine Spur beiderseits des Rheins entlang, wobei der Betrachter Zeuge einer ästhetischen Reise wird. Anlass ist eigentlich nur das zehnjährige Jubiläum des trinationalen Oberrheinischen Museumspasses, aber die »Festgäste« sind zahlreich erschienen: Über 700 Exponate aus allen Bereichen des Lebens – und das heißt im Jugendstil allemal: der Kunst – vermitteln ein faszinierendes Bild aus der Zeit vor knapp 100 Jahren. Für optische Genuss-Sprünge sorgen Beispiele aus den facettenreichen Bereichen Bilderbuch, Dokumentationsobjekt, Fotografie, Glas(fenster)kunst, Grafik, Innenarchitektur, Intarsien, Keramik, Malerei, Metallkunst, Möbel, Mode, Musik, Schmuck, Textil – mit Blick auf Leben, Wohnen im Allgemeinen, sowie im Besonderen auf Essen, Arbeiten, Schlafen, Rauchen (ja, auch das nimmt einen auffallenden Raum, in jeder Hinsicht, ein) usw. Leider kommt die Literatur etwas zu kurz, die vielleicht wegen ihrer Nähe zum Symbolismus Winkelgänge eröffnet hätte, die man vermeiden wollte.

Zwar will man auf Anhieb diese Jahrhundertwende-Revolution des schönen Scheins zwischen Darmstadt und München nicht so recht auch in und um Karlsruhe verorten, wird aber schnell eines besseren belehrt. Das dortige Landesmuseum verfügt über eine der größten deutschen Sammlungen für Jugendstilstücke aller Couleur. Dazu kommen noch etliche markante Bauten im Karlsruher Stadtbild, die manchem Nicht-Karlsruher durchaus Überraschendes zu bieten hat. Nebenbei bemerkt, beschränkt sich die übergeordnete Ausstellungsreihe über den »Oberrhein um 1900« nicht auf die badische Hauptstadt, sondern sie erstreckt sich über die ganze Region – mithilfe von etwa 20 Museen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Was die Karlsruher Schau im Schloss angeht, werden die zuweilen verkannten Jugendstilzentren Straßburg, Karlsruhe und Basel beleuchtet, personell greifbar wird die Zeit mit den Künstlern Hermann Billing, Curjel & Moser, Max Laeuger und anderen mehr. Einige fast verschollene Namen wie die des Hans Sandreuter oder Charles Spindler erhalten in der Ausstellung ein Profil, Letzterer gemeinsam mit Jean-Jacques Waltz (»Hansi«) als Vermittler im Elsass.

Daneben puzzeln sich zeithistorisch wichtige technische Erfindungen (die Kaffeemaschine, der Staubsauger) oder geisteswissenschaftliche Errungenschaften (wie die Psychoanalyse oder die Frauenemanzipation) mit den unzähligen Details und einem außergewöhnlich guten Filmbeitrag zu einem beeindruckenden Gesamtbild der damaligen Gesellschaft, das nicht zuletzt durch die – familienfreundlichen – Stadtspaziergänge und Aktionsräume für Kinder (denen eigene Erläuterungstäfelchen hergerichtet wurden) noch einmal differenziert werden kann.

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