Ausstellungsbesprechungen

Käthe Kollwitz, Die beste Lösung ist, daß die Kriege überhaupt aufhören!

Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg zeigt mit 47 Kollwitz-Grafiken eine weibliche Sicht auf Krieg und Revolte. Begonnen hat das Ausstellungsjahr im Friedrich-Ebert-Haus im Januar mit der „Kriegs“-Mappe des Geraer Künstlers Otto Dix, der authentisch wie kein anderer erlebte Bilder der Weltkriegshölle auf das Blatt radierte. Zum Jahresende rückt nun eine Kollwitz-Ausstellung die spezifisch weibliche Sicht des Krieges und die Mutterschaft ins öffentliche Interesse.

 

 

Freilich – der MG-Truppführer Dix hat es schonungslos geschildert – waren es Soldaten, die millionenfach im „Menschenschlachthaus“ des Ersten Weltkrieges ihr Leben ließen oder als Krüppel von den barbarischen Stellungskämpfen zurückkehrten. Man sollte jedoch nicht vergessen: Die Folgen der Kriegs-Katastrophe von 1914-18 lasteten auch auf den Schultern der Witwen und Mütter, die ihre Männer und Söhne verloren hatten. Käthe Kollwitz hat nie vergessen. Mit Enthusiasmus und mütterlicher Unterstützung dem Hurra-Patriotismus bei Kriegsausbruch folgend, fiel ihr Sohn Peter bereits in den ersten Wochen an der belgischen Westfront. Der traumatischen Erfahrung verleiht die verzweifelte Mutter in den Folgejahren in Werken wie der 1923 vollendeten Holzschnittfolge „Krieg“ wirkungsvoll Ausdruck. Neben diesem siebenblättrigen Zyklus versammelt die Ausstellung 46 weitere grafischen Arbeiten aus dem Berliner Käthe Kollwitz-Museum.

 

 

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Die pazifistische Forderung „Nie wieder Krieg!“, welche die Kollwitz im internationalen Antikriegsjahr 1924 auf das gezeigte Plakat des „Mitteldeutschen Jugendtags“ in Leipzig bannte, gründet in einem schmerzlichen Reflexionsprozess und einer bis dato noch nicht abgeschlossenen Trauerarbeit. Der enthusiastischen Kriegsbegeisterung der Bevölkerung konnte sich 1914 auch die parteilose Sozialistin Kollwitz nicht entziehen: „Zum ersten Mal in meinem Leben empfand ich die absolute Gemeinsamkeit des Volkes“, überliefert ein Tagebucheintrag. Im blinden Glauben an die Katharsis-Funktion des Krieges und die Abrechnung mit dem wilhelminischen Obrigkeitsstaat taumelten die „Freiwilligen“, die das zweite Blatt der „Krieg“-Folge zeigt, in die Schlachten. In einer Art Trance werden die jungen Männer von dem personifizierten Tod als trommelnder Anführer mitgerissen. Sie folgen ihm knechtselig, mit offenen Mündern singend oder klagend: Der Begeisterungssturm entpuppt sich als Klagemarsch, als Totentanz anno 1914.

 

 

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Die „Krieg“-Blätter dokumentieren die durch objektive Kriegsgräuel und durch das subjektive Schicksal veränderte Haltung der Künstlerin zu Patriotismus und Opferbereitschaft: „Meine widerspruchsvolle Stellung zum Krieg. Wie ist die gekommen? Durch Peters Opfertod“, schreibt die 49-jährige Kollwitz 1916 in ihr Tagebuch. Die Mutter des ersten Blattes bringt ihr Neugeborenes als „Opfer“ dar, so wie die Künstlerin ihren Sohn der Idee der Vaterlandsliebe opfern musste. Trauer, Schmerz und Verzweiflung zeichnen nicht nur die „Eltern“ und die „Witwen“ der Holzschnittfolge, sondern auch das Antlitz der Künstlerin in mehreren gezeigten Selbstbildnissen der Nachkriegsjahre. Die Leid tragenden Mütter und Witwen der Holzschnittfolge repräsentieren das geschundene Volk, die Kriegsopfer, aus weiblicher Perspektive. Das in Angst erstarrte Mütterkollektiv des sechsten Blattes verweigert schließlich das kindliche Opfer. Die Künstlerin formuliert 1923 eindeutig ihre pazifistische Position und überwindet die Furcht, dadurch Peters Idealismus zu verraten.

 

 

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Die Stiftung Friedrich-Ebert Gedenkstätte konnte mit dem „Bauernkrieg“ (sieben Radierungen, 1902-08) und dem „Weberaufstand“ (Folge von drei Lithos und drei Radierungen, 1897/98) zwei weitere bedeutende Grafikfolgen vorübergehend nach Heidelberg holen, in denen die Kollwitz historische Ereignisse aus dem Blickwinkel einer Frau behandelt. In den früheren Arbeiten sind die Frauen nicht nur Er-Leidende, die „Vergewaltigt“ zurück gelassen wurden oder auf dem „Schlachtfeld“ den toten Sohn wieder finden. Kollwitz misst dem weiblichen Geschlecht gleichermaßen aufrührerisches Potenzial bei: Mütter mit Kindern auf dem Rücken oder an den Händen reihen sich kampfbereit in den „Weberzug“ oder den „Sturm“ auf ein patrizisches Fabrikantenhaus ein. Eine Frau gibt der entschlossenen Bauernhorde das Zeichen zum „Losbruch“, dessen aufgeladene Dynamik das Bildformat zu sprengen droht.

 

Gewalt und Opfer erschienen der in einer sozial-liberalen Maurerfamilie aufgewachsenen Künstlerin um die Jahrhundertwende noch als notweniges Übel, um revolutionäre Ideen zu verwirklichen und die Not der Unterprivilegierten zu schmälern. Der sinnlose Verlust des Sohnes verändert ihre Anschauung: „Die beste Lösung ist, daß die Kriege überhaupt aufhören“, lautet 1917 eine Tagebuchnotiz, die der kleinen Heidelberger Ausstellung ihren Namen leiht und bis heute Aktualität besitzt.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten
Bis 9. Januar 2005 täglich geöffnet (außer montags) 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Eintritt frei.

Literaturempfehlung zum Thema:

Käthe Kollwitz. Zeichnung, Grafik, Plastik. Bestandskatalog des Käthe Kollwitz-Museums Berlin, herausg. Von Martin Fritsch, Leipzig 1999 (Fotonachweis: S. 137, 237, 247, 319)

Annegret Jürgens-Kirchhoff: Schreckensbilder. Krieg und Kunst im 20. Jahrhundert, Berlin 1993.


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