Im Bilderwald von Lee D. Böhm findet sich so manche Ahnlehnung an Alice im Wunderland, Pinocchio oder die unendliche Geschichte. In der sju Galerie scheucht sie den Betrachter querfeldein durch eine repräsentative Auswahl ihres bisherigen Werks. Rowena Fuß war vor Ort.
Ganz verblüfft schaut ein Pinocchio auf die Figur, die an seiner Nase schaukelt. Dabei sollte diesen hölzernen Schelm eigentlich nichts mehr wundern. Selbst schon in verschiedene arge Geschichten verstrickt und von einer guten Fee gerettet, verwickelt er den Betrachter nun in einen Prozess der Selbstreflexion, ja des Staunens. Gemeint ist dabei die kindlich-naive Art des Stauens, wenn etwas fasziniert, ohne dass man auf den ersten Blick sieht, wie es funktioniert. Gleiches gilt für die Bilder von Lee D. Böhm.
Die gebürtige Mecklenburgerin studierte 1997 bis 2000 bei Ulrich Hachulla an der HGB Leipzig. Bei einem Lehrer und Vertreter der „Leipziger Schule“ ist es kaum verwunderlich, dass sich Böhm im Laufe ihres Studiums einer Spielart der „Neuen Leipziger Schule“ zuwandte. Sie selbst nennt Neo Rauch als großen Einfluss.
Autobiografisch gefärbt, zeigen ihre Werke vielfach Kindheitserinnerungen. Einen Blick darauf gewährt sie in »Erbschleicher«. Dort zieht ein Mädchen mit Turmfrisur den Vorhang über Krokodile, Greifvögel, einen Zyklopen sowie einen Alien im Blumentopf zu. Den Hintergrund bildet der Garten bei den Großeltern, der in vielen von Böhms Arbeiten zu sehen ist. Er ist, laut eigener Aussage, »ein Symbol der Schönheit und Wehmut, stellvertretend für alle Orte dieser Welt, an denen sich Menschen in ihrer Kindheit wohlgefühlt haben«.
Die alten Fantasiegestalten aus Kindertagen wollen bei »Erbschleicher« natürlich nicht so einfach von der Bühne gedrängt werden und schieben sich mit dem Vorhang weiter. Aber für einen Heranwachsenden schickt es sich natürlich nicht, diese beizubehalten. Somit werden die Erbschleicher wohl kein Erbe antreten. Dass es sich bei dem Bild nur um eine dialektische Metapher handeln kann, beweisen die vielen anderen Gestalten aus Kinderbüchern oder subtile Verweise auf solche in weiteren Bildern.
In »Balance« sitzt beispielsweise eine geschrumpfte kleine Malerin im Rasen. Sie malt zwei kleine Figuren in Rückansicht auf ihre Leinwand. Unwillkürlich fühlt man sich an Alice im Wunderland erinnert, die ebenfalls schrumpfte. Anschließend stand ihre eine wunderbare Fantasiewelt offen. Einen Blick in diese öffnet auch ein Zentaur in »Freier Fall«. Er scheint ein pummeliges Baby abwehren zu wollen, das seltsamerweise senkrecht zum rechten Bildrand in der Luft steht. Darunter finden sich drei weitere Kindergestalten, die ein Trampolin halten. Den Hintergrund bildet der bekannte Garten der Großeltern.
Der sprichwörtliche Vorrat an diesen Ideen wird in einem Bild mit demselben Titel auf die Leinwand gebracht. Es ist in mehrere Motive unterteilt: Rechts oben formt die Künstlerin einen roten Kegel, während sie nur wenige Millimeter weiter unten mit ihrer Tochter im Arm nach oben blickt. Zusammen symbolisieren sie den Werdegang zur Künstlerin, die Reifung. Unterhalb des Figurenensembles leitet ein kurviger Pfad in die parkähnliche Anlage des großelterlichen Gartens. Auf der linken Hälfte befindet sich oben ein rot schimmernder Fluss, der durch eine Schlucht fließt. Nach unten begrenzt wird diese durch eine Glasplatte, über die eine Person schaut. Hinzu kommen mehrere fuchs- und wolfsähnliche Figuren sowie ein Paar, das sich an die Glaswand gelehnt eng aneinander kuschelt. Präzise begrenzen die Glasplatte und der Eingang zum Garten den Vordergrund. Ihre Anordnung entspricht zwei Türen, zwischen denen man wählen kann. Wobei nur der Gartenpfad tatsächlich irgendwohin führt. Um zum Fluss zu gelangen, müsste man erst klettern. Die Aussicht auf andere Ufer muss daher vorerst genügen.
Wie schon in »Erbschleicher« verwehrt Lee D. Böhm dem Betrachter den Blick auf ihre Inspirationsquellen. Einzige Ausnahme bildet der Garten ihrer Großeltern, der gleichsam zum Schlüsselelement ihrer Werke wird.
Zuletzt stellt man sich dem Bild »Die Jury«, das den harten Überlebenskampf eines Künstlers thematisiert. Frontal blickt eine Frau im Indianeroutfit den Betrachter an. Sie hält ein Mikrofon in der Hand, während sie sich mit der anderen ergriffen an die Brust fasst. Ihre Wangen ziert jeweils ein Dreieck, das aus ihrer Haut geschnitten wurde. Hinter ihr führt ein schwarzer Fußboden mit Zahlenkolonnen zu einer Bühne. Er erinnert an eine Börsentafel, die den Wert des Objekts, das gerade gehandelt wird, anzeigt. Auf der Bühne selbst steht ein bemitleidenswerter Junge mit Afro, der auf seinem Keyboard spielt. Gegenüber befindet sich ein Reliefbild mit Zwitterwesen aus Mensch/Widder, Mensch/Vogel und Mensch/Pferd. Als Kritik auf das Zeitalter der Castingshows verweist es auf die Qualen, die man sich selbst auferlegt, um im wechselhaften Kultureventkalender bestehen zu können. Immer jung, immer potent, immer alles andere als normal lautet die Parole.
Diesbezüglich besteht bei Lee D. Böhm wohl keine Gefahr. Wie bereits gezeigt, besitzt sie einen breiten Vorrat an Ideen. Schlussendlich kann man ihr nur weiteren Erfolg wünschen und der sehenswerten Ausstellung noch viele Besucher!