Ausstellungsbesprechungen

Lothar Baumgarten – Imago Mundi

Viermal war Lothar Baumgarten (geb. 1944) bereits auf der documenta zu Gast, errang den Goldenen Löwen in Venedig, das Solomon Guggenheim Museum in New York ehrte ihn mit einer Ausstellung; doch noch nie gab es eine so große Einzelausstellung zum Werk des Beuys-Schülers, der in Berlin und New York zu Hause ist – kurzum:

Kleve hat das Verdienst, das Werk eines der bedeutendsten Künstler erstmals in Deutschland gebührend ins Zentrum zu stellen. Und das nicht zu knapp: das Museum stellt fast das gesamte Haus zur Verfügung, entlässt Teile der Ausstellung sogar in die umliegenden Parkbereiche und erhöht das Schaffen des Künstlers zum urbanen Anliegen. In den 40 Jahren, die die Schau ins Visier nimmt, kam ein erstaunliches Oeuvre mit Zeichnungen, Objekt- und Installationskunst sowie Film und Fotografie zusammen.

 

Bildern im klassischen Sinn begegnet man hier weniger, was im Hinblick auf den Lehrer kaum einer Notiz bedürfte, wenn man nicht mittlerweile allerorten die Rückkehr zu den klar definierten Gattungen beobachten könnte – der erweiterte Kunstbegriff muss da schon wieder in Schutz genommen werden, denn selbstredend gibt es ihn nach wie vor (und in der Abgrenzung ist die Kunstszene eindeutig spannender geworden auf allen Seiten!). Baumgarten lässt als Spurensucher Natur und Kunst aufeinander los, mengt Wissenschaft und Mythologisches mit ein – und wer hätte mehr Verdienste um die künstlerische Reflexion über den Wissenschaftsbegriff –, jongliert mit Alltagssprache und Zeichensystem und hält die Diskussion über Bild und Abbild auf höchstem Niveau.

 

Die Welt ist Magenta, Yellow, Cyan und Schwarz, zumindest wenn es um die Arbeit geht, die der Ausstellung den Titel gab: Die Großinstallation »Imago Mundi« – nach einem Werk des Theologen Pierre d\'Ailly – entstand 1988 und reduziert das Bild der Welt auf das, was uns die Kodakkultur bereithält. Doch aus der Reduzierung schöpft Baumgarten Lichtdias, die die Sonne in den Museumssaal bringt, und Bildräume, die nicht weniger als auf die globale Welt abzielen – Schriftzüge mit den Namen der Erdteile stoßen auf Ländernamen, die das weite Feld der Kolonialgeschichte evozieren. Die reine Informationsebene der Darstellung trifft auf die emotionale Wahrnehmbarkeit im Kopf des Betrachters.

 

Die Geschichten, die Baumgarten erzählt, sind hochgradig komplex und häufig erst auf den zweiten Blick eingänglich und nicht ohne Humor, wenn etwa Brötchen mit Taubenfedern geschmückt zu »Moskitos« (1969) werden, oder ein Werk wie »Vom Ursprung der Tischsitten« (1971) zum Essen einlädt und dann doch nur mit Stachelschweinborsten als Besteck aufwartet, dass sich der Appetit zu Reflexion über Esskultur verflüchtigt. Dass sich der Künstler immerzu auf die Museumsarchitektur einlässt, aktualisiert selbst die Werkphasen aus den 60er Jahren. Der frühe Amazonasfilm »Der Ursprung der Nacht« (1973–77) wie die Fotoserie »Montaigne« (1977–85), die sich mit dem brasilianischen Urwald in bestechend konzentrierten Aufnahmen beschäftigt, haben nichts von ihrem Reiz eingebüßt, denn so beklagenswert die Überformung urwüchsiger Kulturen durch unsere so genannte Zivilisation ist, sie ist nach wie vor präsent. Mit der jüngeren Arbeit »Doppelpendel« (2002–03) kehrt Baumgarten zu den europäischen Wurzeln der italienischen Renaissance zurück, wie schon die fotografische Kaminsinfonie in »Wie Venedig sehen« (1983–84) Traditionell-Althergebrachtes und Modern-Industrielastiges in schöne Bilder goss. Extra für das Museum in Kleve – wenn auch schon länger geplant – bearbeitete Baumgarten eine Serie von 80 Gemälde brasilianischer Vögel, die der Niederländer Albert Eckhout im 17. Jahrhundert geschaffen hat.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen 11-17 Uhr

 

 

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