Ausstellungsbesprechungen

Max Bill – Eine Retrospektive

»Max Bill – Eine Retrospektive« ist eine Ausstellung, die sich Zeit nimmt. Fast geruhsam führt sie den Besucher von Arbeitsfeld zu Arbeitsfeld – Architektur, Design, Plastik, Malerei, Graphik, Typographie – und kommt von Mal zu Mal bei ihm selbst, bei dem gelernten Silberschmied Max Bill (1908–1994), heraus.

Überraschend ist weniger, dass man kaum Überraschendes zu Gesicht bekommt (mit Ausnahme vielleicht, dass der Schweizer Künstler in seinem Frühwerk bis zur plagiativen Nähe von seinem Landsmann Paul Klee abhängt, weniger von dem nahe liegenden Wassilly Kandinsky), als die Tatsache, dass man erstaunt, ja gebannt die genannten Disziplinen wie Perlen aneinander fädelt und ein großes Ganzes entdeckt, das man doch eigentlich schon längst kannte.

 

Der berühmte stapelbare »Ulmer Hocker«, die Plakatästhetik, die Dingwelt, die wir aus dem Haushalt unsrer Eltern bzw. Großeltern kennen, die unaufdringlich-nüchterne Schrift, die unbezwingbare Schönheit ewig gültiger plastischer Formen (die ohne Brancusi und Arp nicht denkbar sind), eine wegweisende Ausstellungsarchitektur usw. – was die geistige Elite des 17. Jahrhunderts, was die Beaus, Dandys, Flaneure und andere Protagonisten der Jahrhundertwende um 1900 allenfalls theoretisch für sich reklamierten, was einzelne Größen wie Richard Wagner & Co. auf ihre Fahnen schrieben und zumindest im Gesamtkunstwerk etwas Einheitliches schufen, dem bereitete das Bauhaus in Weimar und Dessau den Weg: den Einzug der Kunst in den Alltag und die Heraufwürdigung des Alltags zum künstlerischen Wert (darin war jedoch der Dadaismus schon ein Stück weiter).

 

Diesem Bauhaus entstammte Max Bill, kurioserweise ein Vertreter des schönen Stils, dessen Persönlichkeit am weitesten zurücktritt, der am wenigsten greifbar wird, und der ein schier gigantisches Werk in die Welt entließ, das Schule machte, ohne auf den »Lehrer« rekurrieren zu müssen. Apropos: die Hochschule für Gestaltung in Ulm war ganz sein Kind, nicht nur von der künstlerischen Idee und den pädagogischen Inhalten, sondern auch in deren Architektur. Über 200 Exponate breiten im Stuttgarter Kunstmuseum das Oeuvre Max Bills aus, das man im Schlendergang in sich aufnehmen kann. Nicht alles wird man aus seiner Entstehungszeit in unsere heutige Wahrnehmung retten können, und was Bills Wirken an seiner Ulmer Hochschule angeht, ist noch gar nicht alles ausgeschöpft. Aber erleichtert darf man sich vergewissern, dass die Kunst kein schöner Schein jenseits der Wirklichkeit sein muss, sondern das Dasein selbst den Boden für den schönen Widerschein in der Kunst ebnet.

 

Mag sein, dass diese Erkenntnis nicht zeitgemäß ist, aber sie ist gut, nach wie vor. Immerhin tappte Max Bill nicht in die Falle der eigenen Theorie wie etwa Le Corbusier, dessen Orientierung an Maß und Zahl letztlich den zum Maß-Stab erklärten Menschen zur normierbaren Puppe bzw. zum Gefangenen seiner selbst verkleinerte; Bill verlor den Menschen als verantwortlichen Schöpfer von Maß und Zahl nie aus den Augen – da hatte auch noch ein (nicht realisiertes) »denkmal des unbekannten politischen gefangenen« Platz, und das Credo, Kompliziertes auf höchstem Niveau einfacher zu machen, wäre auch heute kein vergebliches Mühen. Die Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Institut für Kulturaustausch in Tübingen erarbeitet und wird im Anschluss an Stuttgart noch in Japan und in Südamerika zu sehen sein (Stationen, an denen man allein schon die enorme Tragweite des Billschen Werks ablesen kann).

 

Wer nicht auf den schön gestalteten Katalog mit einem typografisch hinreißenden, 12seitigen Entree als informations- und bildreiche Ergänzung zurückgreifen will, dem sei der »Kurzführer« empfohlen, der seine Aufgabe als Ausstellungsbegleiter wunderbar und wohlfeil erfüllt.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Dienstag–Sonntag 10–18

Mittwoch/Freitag 10–21 Uhr

 

Öffentliche Führungen

Mi/Fr 18–19 Uhr

Sa/So 15–16 Uhr

Führungsticket zzgl. Eintritt: 2,50 / 1,50 EUR

 

 

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