Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie im Kunstmuseum Bonn und in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur Köln

Man könnte meinen, dass in Zeiten des Selfie das Fotoporträt ausgedient hat. Dass dies ein Irrtum ist, beweist eine gemeinsame Schau des Kunstmuseums Bonn (bis 8. Mai 2016) und der Photographischen Sammlung (bis 29. Mai) in Köln. Sie zeigt Arbeiten sowohl internationaler als auch deutscher Künstler. Cornelia Ganitta hat sie sich angesehen.

Die albanischen Frauen der gebürtigen Bulgarin und Wahl-Hamburgerin Pepa Hristova sind im wahren Leben keine Frauen – zumindest nicht mehr. Als »sworn virgins« haben sie ihrer Weiblichkeit abgeschworen und stehen nun, nach dem Tod des Patriarchen als neues Familienoberhaupt ihren Mann. Ihr Rollentausch geht soweit, dass sie selbst im Lauf der Jahre maskuline Gesichtszüge angenommen haben. Jetzt sind sie Teil einer 50 Künstler starken Gruppenausstellung über das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie, die zeitgleich im Bonner Kunstmuseum und der Photographischen Sammlung in Köln zu sehen ist. Dort hängen neben Hristovas männlichen Frauenporträts raue albanische Landschaften, die als »verlängerter Arm« das Dominant-Burschikose ihrer Protagonistinnen noch verdeutlichen sollen.

Ein paar Räume weiter hinterfragt der Engländer Mark Neville mit großformatigen Farbaufnahmen den militärischen Einsatz von jungen britischen Soldaten in Afghanistan. »Who the fuck is looking for these kids?« beschäftigt den Fotografen, der seinen dreimonatigen Aufenthalt als »War Artist« in den Minenfeldern von Afghanistan 2011 als persönliche Grenzerfahrung erlebte. Im Gegensatz zu dieser schweren Kost konzentriert sich der ehemalige Walker Evans-Assistent Jerry L. Thompson in seinem Werk auf Mimik und Outfit von in New York lebenden jungen Frauen, die selbstbewusst ihre Make-ups, Piercings und Tattoos als identitätsstiftende »zweite Haut« zur Schau stellen. »Wenn überhaupt«, so Thompson über seine Vorgehensweise, »besteht meine Strategie höchstens darin, durch die Straßen zu gehen und Passanten aufzunehmen, und zwar genau so, wie ich sie sehe. Diejenigen, deren öffentliche Selbstdarstellung (…) ein Bild verspricht, das zum Denken anregt, wähle ich dann aus.«

Vorbildliche Charakterstudien

Den in Köln gezeigten Porträts gemein ist, dass sie künstlerisch-dokumentarischer Natur sind, ähnlich denen von »Hausherr« August Sander, dessen Werk zu einem Großteil in die Photographische Sammlung eingegangen ist und dessen »Menschen des 20. Jahrhunderts« als im Wortsinn »vorbildliche Charakterstudien« – neben Bildern von Diane Arbus und Jim Dine - die Arbeiten der Gäste flankieren.

Auch das Bonner Kunstmuseum zeigt Dokumentarisches, wie gleich zu Beginn moderne Straßenszenen aus dem amerikanischen Großstadtdschungel des Schweizer Künstlers Beat Streuli verdeutlichen. Daneben jedoch werden konzeptuelle und selbst reflektierende Ansätze aus Deutschland verfolgt. Als Beispiel hierfür seien die Arbeiten von Katharina Bosse und Daniela Risch genannt. Während die Bielefelderin Bosse sich selbst mit ihrem Nachwuchs inszeniert, schlüpft Daniela Risch in die Hausfrauen-Rolle ihrer Mutter, indem sie sich in deren Kleidern ablichtet, ohne jedoch diese sein zu wollen. Im Begleittext erklärt die Essenerin das Verwirrspiel um dieses Frauenklischee: »Ich bin das Modell, bin gleichzeitig Subjekt und Objekt dieser Bilder, stelle mich aber nicht selbst dar.«

Ob analog, digital bearbeitet, spontan oder inszeniert - die 750 in Bonn und Köln präsentierten Exponate lohnen das genaue Hinsehen und belegen, dass das künstlerische, fotografische Porträt auch in Zeiten schnell fabrizierter Selfies noch lange nicht ausgedient hat. Das zeigt auch Thomas Ruffs Serie »Negative« aus dem Jahr 2014, die als Rahmen für beide Ausstellungen dient. Ruffs prunkvolle Maharadschas aus der Kolonialzeit basieren auf in Sepiabraun gehaltenen Positivabzügen, die er mittels Computer in Negative umgewandelt und mit einem Blauton versehen hat. Herausgekommen sind magisch anmutende Gestalten, die dem Porträt wieder zu der Aura verhelfen, die es in Zeiten der digitalen Reproduzierbarkeit nur allzu häufig verloren hat.

Cornelia Ganitta ist freiberufliche Autorin und Expertin für PR und Medien.

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