Ausstellungsbesprechungen

Neue Realitäten – FotoGrafik von Warhol bis Havekost, Galerie Stihl Waiblingen, bis 27. Mai 2012

Die Schau mit der einmaligen Wortneuschöpfung im Titel widmet sich der künstlerischen Verarbeitung fotografisch erstellter Bilder in der Druckgrafik seit den 1960er Jahren. Damit steht das vielschichtige und auch in der zeitgenössischen Kunst höchst präsente Phänomen des Transfers von Fotografien in die Künstlergrafik erstmals im Zentrum einer Themenausstellung. Günter Baumann war vor Ort und hat es sich angeschaut.

Was passiert mit Fotografien, die in ein anderes Medium wie der Grafik überführt werden, die selbst mit der Fotografie kokettiert – allen voran der Siebdruck. Das ist so noch nicht untersucht worden, was eher überrascht als das Ergebnis: Historischer Dreh- und Angelpunkt liegt in den 1960er Jahren, und insbesondere mit der Pop Art blühte die Technik des Siebdrucks auf, parallel mit der Neuorientierung innerhalb der neuen medialen Auftritte in Fotografie, Film und auch Happening. Eine Wechselwirkung lag da auf der Hand. Den fotografischen Künsten haftete noch etwas der Hautgout des Trivialen an, während der Siebdruck, später auch der Offsetdruck in außerkünstlerischen Bereichen wie der Industriewerbung oder in den Massenmedien Verwendung fand.

Dass die politisierte Pop Art und dann der kapitalistische Realismus die Grenzen sprengte, war immerhin Anlass, dass man sich ernsthafter mit der Fotografie beschäftigte und dass die Künstler auch begannen, sie für andere Drucktechniken nutzbar zu machen. Mit den hiervon inspirierten Hoch- (Holzschnitt u.ä.) und Tiefdrucktechniken (Radierung u.ä.) wurde jedoch deutlich, dass die intermediale Übersetzung auch neue Wirklichkeiten schuf. Es entstand die Foto-Grafik, die in der Ausstellung in Waiblingen – eine Übernahme vom Kupferstichkabinett in Berlin – typografisch sinnfällig zusammengeschrieben und in der zweiten Worthälfte hervorgehoben wurde. Im Vergleich zur Berliner Vorgängerausstellung wurde die Exponatenliste in Waiblingen aufgestockt.

In der jüngeren Geschichte ermöglichte die digitale Technik und die moderne Fotobearbeitung eine weitere Auflösung der Grenzziehung zwischen Foto und Grafik, sodass spannende Überschneidungen entstehen. Umgekehrt zeigt sie sich in manchen zeitgenössischen Fotos, die vom Künstler nachträglich zu Unikaten übermalt worden sind (Gerhard Richter). Zu guter Letzt ist am Ende gar nicht mehr auszumachen, ob es sich um das eine oder das andere handelt. Paradebeispiele der Schau sind Andy Warhols »Marilyn«-Siebdruckserie oder Gerhard Richters übermalte »Kerzen«-Motive (ein Offset-Pendant zur Gemäldereihe), doch lassen die über 120 Arbeiten keinen Zweifel an einer bedeutenden Liaison zwischen Foto und Grafik. Der Reiz der Ausstellung liegt im Spiel mit der kollektiven Erinnerung, denn viele der zugrunde gelegten Fotografien kennt man aus der Presse (die Ikone Marilyn Monroe vorneweg), und man fragt sich heute, im historischen Abstand, ob nun die Kunst oder das Foto die Erinnerung wach gehalten hat. Mulmig wird einem zumute, wenn man neben Warhols Popstar auch seine berühmte Darstellung eines elektrischen Stuhls sieht mit all seinen gesellschaftskritischen Assoziationen – es muss also nicht nur der Glamour sein, der das Gedächtnis anregt; ohnehin wird den Nach-68er-Jahren durch politische Arbeiten erstaunlich viel Tribut gezollt.

Zu den Künstlern gehören u.a. auch Christian Boltanski, Chuck Close, Tacita Dean, Franz Gertsch, Richard Hamilton, Sigmar Polke, Mel Ramos, Robert Rauschenberg, Simon Starling, Klaus Staeck, Al Taylor, Rosemarie Trockel, Wolf Vostell und eben Eberhard Havekost, der zusammen mit Kai Schiemenz und Christiane Baumgartner als jüngere Eckpfeiler der Ausstellung eine besondere Wertschätzung genießt. Wie Havekost sind etliche Beiträger selbst Fotografen (allen voran Bernd und Hilla Becher). Angesichts einer solchen Namensliste darf man sich schon wundern, warum diese Themenschau erst jetzt in den Fokus gelangte. Ein Grund liegt vielleicht darin, dass der Transfer, anders als noch vor einem halben Jahrhundert, inzwischen gang und gäbe zu sein scheint – auch wenn die Suchmaschinen mit der Worterfindung einer »FotoGrafik« wenig anzufangen wissen. Porträts, Landschaften, Ereignisbilder (das heißt Reportageszenen, engagierte Kunst usw.) bis hin zu konzeptionellen Positionen deuten das große Feld an, das sich hinter dem Begriff auftut. Das Abbild vom Abbild ist nicht zuletzt mit der Vorstellung unseres Daseins aus zweiter Hand kompatibel und wird somit zu einem Charakteristikum der heutigen Wahrnehmung.

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