In der Ausstellung »Mensch in Verantwortung« zeigt das Martin-Niemöller-Haus in Frankenholz 14 zumeist großformatige und mehrteilige Werke, die gemäß ihrer Thematik schwerlich als »schön« zu bezeichnen sind. Renate Wandel hat radikal-kritische, aber auch spirituelle, visionäre Werke geschaffen, die in einen ästhetisch sehr reizvollen Mantel gehüllt sind.
Wo aber liegen die Wurzeln für diese bisweilen sehr aufwühlenden Arbeiten? Die Künstlerin bezieht sich auf »Ordo Virtutum«, einem im 12. Jahrhundert entstandenen, theologischen Singspiel Hildegard von Bingens, das wohl am reinsten die visionäre Gedanken- und Bilderwelt jener Heiligen zum Ausdruck bringt. Renate Wandel empfindet diesen hoch aktuellen, hellsichtigen Text als geradezu wegweisend für ihr eigenes Schaffen.
Umweltkatastrophen, Klimawandel, eine erschreckend hohe Kindersterblichkeit in der Dritten Welt, die wir aus den Medien wahrnehmen, aber im gleichen Augenblick auch schon wieder verdrängt haben, das erhöhte Gewaltpotential – besonders unter Jugendlichen – aber auch unsere emotionslose Spaßgesellschaft, die von Eskapismus geprägt ist, spiegeln sich in den Worten Hildegard von Bingens. Renate Wandel, die ihre Kunst als eine zweite Sprache versteht, greift gesellschaftliche und soziale Schieflagen auf und setzt sie in ihren Arbeiten mit dem gebührenden Respekt vor den dargestellten Menschen um. Dennoch sind ihre Werke nicht Mitleid heischend, sondern provokant, wollen den Betrachter wach rütteln, ihn aus der Reserve locken und zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den meist großformatigen, farb- und formexpressiven Gemälden führen.
Nehmen wir beispielsweise das »Matthäus-Triptychon«: Auf dem linken Flügel befindet sich die »Bettlerin aus Bangladesh«, die ausgemergelt im Bildzentrum steht. Auf ihrem Arm ein hungerndes Kind haltend, richtet sie das Haupt flehend empor, wobei die Geste ihrer erhobenen Hand mit den auseinander gespreizten Fingern ihre Ausweglosigkeit unterstreicht. Mit den Füßen steht die Frau auf einem rostroten, steinigen Grund, an den sich eine weiß-graue, halbrunde Farbbahn anschließt. Der die Gestalten, wie ein Nimbus umstrahlende, rote, dynamisch gestrichelte Farbkranz gleitet am Boden in das halbrunde Formenspiel und erfährt in der Gegenüberstellung mit der hellen Farbpartie eine gesteigerte Leuchtkraft. Das Rot wirkt wie ein unüberwindbares Hindernis, das die Frau in einem engen Raum gefangen hält. Die Künstlerin entwickelt auch in dieser Arbeit einen Kontrast, indem sie im Hintergrund, eine Schar von Menschen in Rückenansicht zeigt, die feierlich dem Weihnachtsfest entgegengehen. In freudiger Erwartung, sich bisweilen sanft berührend kehrt die Menge sich von der Not und dem Leid ab. Der kleine Tannenbaum links sowie die dörfliche, idyllisch anmutende Architektur rechts symbolisieren die kleinbürgerliche Engstirnigkeit.
Herzstück des dreigliedrigen Werkes bildet ein schmaler Flügel, der mit einer spiegelnden, unebenen Folie überzogen, uns das eigene Angesicht verzerrt erkennen lässt. Am oberen und unteren Bildrand hat Renate Wandel in schwarzen Schriftzügen aus dem Evangelium nach Matthäus zitiert: »Was du getan hast einem der Geringsten das hast Du mir getan… und was Du nicht getan hast, hast Du auch an mir nicht getan!«
Der rechte Teil zeigt eine »Mutter aus Eritrea«, die im Bildzentrum auf dem Boden sitzend ein abgemagertes Kind im Arm wiegt und einem zweiten, neben ihr kauernden, gleichfalls kraftlosen Geschöpf mit ihrem Arm etwas Halt gibt. Der ausgedörrte, rissige Boden zu Füßen der Gruppe, der keine Spuren des Lebens aufweist, ist das Spiegelbild des Hungers und der Not. Hinter der Figurengruppe hat die Künstlerin ein blutrotes, zerfasertes Kreuz angedeutet, das die drei Personen in seiner vertikalen Achse aufnimmt und sie auf diese Weise mit dem Heilszeichen verschmilzt. Eine besondere Spannung entsteht in den beiden oberen Bildecken: Zur Linken befinden sich vor der Skyline einer Stadt Berge von »Wohlstandsmüll«, auf denen sich Bagger ihren Weg bahnen. Grotesk wirkt auch die Kirmesszene zur Rechten: Hier wird in ausgelassener Runde zünftig gegessen und getrunken und selbst der Dackel, der eifrig seine Wurst frisst, ist seines leiblichen Wohls sicher. Indem Renate Wandel sich bei der Darstellung der drei Hungernden auf eine Fotografie aus einem Fotoweltkatalog bezieht, webt sie ein Realitätspartikel in die Arbeit ein und macht sie dadurch authentisch.
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Eine der wohl eindringlichsten Collagen aus der Serie »Bilder gegen die Gewalt« zeigt eine getötete Mutter, die in ihrer Blutlache am Boden liegt. Die in einem Halbkreis sie umstehenden Soldaten wirken emotions- und teilnahmslos. Es sind schwarz-weiße Gestalten in Uniform, teilweise mit Gewähr bewaffnet, die scheinbar im Bild eingefroren sind. Einzig das kleine Mädchen mit den feuerroten Schuhen fliegt uns, über weitere Blutpfützen springend, entgegen. Renate Wandel hat bei dieser Arbeit erneut auf Elemente der Wirklichkeit zurückgegriffen: Zum einen integrierte sie eine Aufnahme der US-Armee in Vietnam und zum anderen band sie eine unbeschwerte Pariser Straßenszene mit einem kleinen Mädchen in das grausame Spiel ein.
In sanften Gelb-, Ocker- und Brauntönen artikuliert sich Renate Wandels Auseinandersetzung mit den Rechten von Kindern: »In den Wind geredet, in den Staub getreten…«, so der Titel, zeigt uns drei Kindergruppen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt, die die Künstlerin nach Fotografien gearbeitet hat.
Über den Köpfen flattern, in hellen Lettern, die Rechte auf Chancengleichheit, auf Leben, Versorgung und Bildung. Und am Boden finden sich auf Papierrelikten, das UN-Kinderrecht, Schutz vor Gewalt und Misshandlungen. Diese Arbeit lässt entgegen des kritischen Impetus’ der Worte, in der farblichen Ausgestaltung Positivität erkennen. Die Kinder blicken uns zwar mit fragenden, manchmal auch mit traurigen Augen an, aber indem ihre Gestalten und auch ihre Umgebung in den warmen Farbtönen erstrahlen, scheint die Hoffnung noch nicht ganz verloren zu sein.
Neben den Arbeiten, in denen Renate Wandel die sie umgebenden Zustände kritisiert und die Menschen aus ihrer ignoranten Haltung herauszureißen sucht, werden in der Ausstellung Werke gezeigt, die aus Träumen der Künstlerin heraus entstanden sind. Caspar David Friedrich erfasste derartigen künstlerischen Transfer einst sehr plastisch, als er schrieb: »Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.« Bei Renate Wandel finden sich diese Traumspuren in einem absolut klaren Bild: der Traumfilm hält an einer Stelle inne und die Künstlerin sucht dieses visionäre Bild genau auf die Leinwand zu bringen, wobei sie hin und wieder Details im Malprozess ergänzt.
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Besichtigung nach telefonischer Vereinbarung
Frau Engelmann-Nünninghoff: 06826-6682
Frau Gebhard: 06826-7821
Weitere Informationen zur Künstlerin unter:
http://www.Renate-Wandel.de