Ausstellungsbesprechungen

Rolf Nesch, ein stiller Revolutionär, Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen, bis 11. Januar 2015

Einem gebürtigen Schwaben, der kurioserweise in Skandinavien bekannter ist als in seiner Heimat, widmet sich die Städtische Galerie Reutlingen. Während Rudolf Nesch als gebürtiger Deutscher hier nahezu unbekannt blieb, reihte man ihn in Norwegen neben einem Edvard Munch ein. Günter Baumann hat sich seine Kunst angesehen.

Ist Rolf Nesch nun doch ein Geheimtipp geblieben in seiner Heimatregion? In Reutlingen geht eine Ausstellung zu Ende, die das Zeug hat, als Gedächtnisveranstaltung für den 1975 gestorbenen Künstler in Erinnerung zu bleiben. Auch wenn die Schau in Stade, im hohen Norden schon gezeigt worden war, wo der unermüdliche Sammler des Nesch-Werks, Klaus-Friedrich Meyer, das Banner für den singulären Grafiker und Maler hochhob. Da wehte sicher ein Stück des enormen Rufs, den der Künstler in Norwegen, überhaupt in Skandinavien bis heute genießt, ins Land herein. Im Süden jedoch hat Nesch noch immer einen schweren Stand, obwohl der gebürtige (Ober-)Esslinger dort längst geehrt werden sollte. Auch hier gibt es Sammler, aber für ein breiteres Publikum hat es nie recht gereicht. Reutlingen hat die Basis dafür geschaffen, dass man nicht mehr an dem Schwaben vorbeisehen kann. Die Ausstellung ist spektakulär gut, das Werk – wiewohl es deutliche Spuren seiner Zeit trägt – wirkt ungebrochen frisch. Dennoch: Es wird noch weiterer Ausstellungen bedürfen, schon um die sprühende Fantasie des Künstlers in seiner ganzen Breite erfassen zu können.

Das Werk ist durchweg skurril, was ein Grund sein könnte für die regionale Distanz der Öffentlichkeit, wo man eine Weile benötigt, um mit unkonventionellen Künstlern warm zu werden – man denke an Heinz E. Hirscher, der im Schwabenland eine erstaunlich euphorische, aber sehr kleine Fangemeinde hat. Nesch, der geniale Kokoschka-Schüler und Freund Kirchners, stellte die Grafik auf neue Beine: er erfand durch Zufall den Metalldruck, weil sich Säure in die Metallplatten geätzt hatte. So wurde aus einem Tiefdruck gewissermaßen ein Hochdruck. Um die Wirkung noch zu verstärken, lötete er auf die Platten auch Drahtgitter und anderes Material. Seine Kunst blühte in kuriosen Farben, dahinter verbarg sich jedoch eine Tiefe an Erfahrung, die an ein weiteres Problem rührt, warum Nesch hierzulande zu Unrecht unterschätzt wird: Er ging ins Exil, was bedeutete, dass der Kontakt zum eigenen Land abbrach. Sein früher expressiver Stil hatte Witz und war so locker gehalten, dass einer Karriere nichts im Weg zu stehen schien. Die Nazis trieben ihn nach Norwegen, doch auch hier bekam er keine Ruhe vor ihnen. Nachdem sie über das Land hergefallen waren und den in die innere Emigration im fremden Land Gezwungenen zum Kriegsdienst einziehen wollten, versuchte er sich umzubringen, indem er sich vor die Straßenbahn warf. Als ein andermal das Gerücht ging, der von ihm bewunderte Picasso sei im KZ gestorben, legte er mit Schlaftabletten Hand an sich – zum Glück für die Nachwelt vergeblich.

Immerhin entstand eins seiner schönsten Werke, das er einem Spanier, dem »heiligen Sebastian« widmete. Nach 1945 wuchs sein Stil in einen Nachkriegsexpressionismus hinein, der mit Gruppen wie CoBrA oder der Münchner Gruppe Spur verbunden war. Doch Nesch selbst blieb – Dubuffet nicht unähnlich – Einzelkämpfer an der Leinwand, auf dem Papier und am Reliefbild. Reutlingen präsentiert rund 70 Arbeiten, die dieses singuläre Schaffen dokumentieren. Als stiller Revolutionär wird er hier tituliert. Still geht es aber keineswegs zu auf den Bildern: Fabulierend und mit grellen Fiktionen erobert Nesch die Ausstellungswände, die beißende Ironie wird manchem Betrachter das Schmunzeln austreiben. Das muss man aber auch sehen wollen. Neschs Zauber liegt tatsächlich in der verhaltenen Präsenz seiner Grotesken, die im flüchtigen Blick als abstrakte Arabesken durchgehen könnten. Ironie des Schicksals: In Deutschland wäre er fast ein Star geworden, als er nach Norwegen flüchtete. Dort fristete er ein karges erfolgloses Leben, während er daheim vergessen wurde. Als sein Stern in Skandinavien und in den USA aufging, wurde er in Deutschland nur noch als ferne Sternschnuppe wahrgenommen. Seine Bedeutung für die Materialkunst kam erst allmählich und auf Umwegen ins hiesige Bewusstsein.

Was bleibt? Eine Spur, die Rolf Nesch entdecken lässt: zur Ausstellung ist ein wunderbarer Katalog im Wienand-Verlag erschienen, der eine Nachbetrachtung allemal wert ist.

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