Kataloge

Schneede, Uwe M. und Heinrich, Christoph (Hrsg.): Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle, Bd. V.1. Die Galerie der Gegenwart. Gemälde, Objekte, Installationen, Wienand Verlag, Köln 2007.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Bestandskatalog der Galerie der Gegenwart ist eine echte Bereicherung und war überfällig – nun druckfrisch erschienen zur Jubiläumsausstellung »Weltempfänger. 10 Jahre Galerie der Gegenwart«, deren Exponate sich darin wieder finden und näher studieren lassen.

Es handelt sich um den in die gesamte Bestandskatalogreihe der Kunsthalle eingebundenen ersten Band eines dreibändig angelegten Bestandskataloges der Galerie der Gegenwart, der sich mit den Gemälden, Objekten und Installationen beschäftigt. In den nächsten Wochen soll bereits der zweite Band zum Thema Fotografie folgen, und der dritte Band über die Videoarbeiten ist in Planung.

Der vorliegende, 352 Seiten starke Band verzeichnet 555 Katalogwerke, die alphabetisch nach den Künstlernamen sortiert sind und zugleich als Register fungieren. Neben allen wissenswerten Daten sind in den meisten Fällen auch Seitenverweise auf die entsprechenden Textstellen genannt, in denen die Werke ausführlicher besprochen werden, was ein leichtes Auffinden und Arbeiten ermöglicht. Die Abbildungen sind überwiegend in Farbe.

Dem Katalogteil vorangestellt sind 11 Essays, die die Sammlungsschwerpunkte der Galerie beschreiben und zugleich die großen internationalen Kunstströmungen seit den 1960er Jahren exemplarisch vorführen, wobei dieser Neubeginn die »Zweite Moderne« markiert. Das Spektrum der Galerie umfasst über 1000 Werke »von der Pop Art bis zur Konzeptkunst, von Fluxus bis zur neuen Sprache des Materials, von der wiederbelebten Malerei bis zur Spurensicherung, von der Fotografie bis zu Videoarbeiten, von jüngeren Entwicklungen in der Bundesrepublik bis zu spektakulären Ereignissen in den USA« (Schneede). Dabei wurde der Grundsatz verfolgt, möglichst immer (umfangreiche) Werkgruppen von einzelnen Künstlern zu sammeln, die Maßstäbe setzen und Entwicklungen aufzeigen. Frei nach einem Motto von Donald Judd: »Es sollten so viele Werke eines Künstlers versammelt werden, dass man versteht, was er denkt.«

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In einer Rückschau werden zunächst die Anfänge vor 10 Jahren – Sammlungskonzept und -prozesse, Ankaufsentscheidungen sowie die Rolle der Künstler und Stifter – vom damaligen Direktor Uwe M. Schneede mit vielen persönlichen wie interessanten Erinnerungen beleuchtet. Im Unterschied zu vielen anderen Häusern wurde in der Kunsthalle von Anfang an ein kunsthistorisches Konzept auch für die zeitgenössische Produktion ins Auge gefasst, um das alte und neue Museum zusammenrücken zu lassen und »eine Kontinuität in der komplexen Darstellung der Kunst vom 19. Jahrhundert über die Klassische Moderne bis heute sicherzustellen« (Schneede).

Auch die Einheit von Werk und Raum stand schon bei der Entstehung des Galeriebaus im Zentrum konzeptioneller Überlegungen. Deshalb wurden Werke speziell für die Museumsräume in Auftrag gegeben. Diese ortsspezifischen Installationen und Auftragsarbeiten sollten den wechselnden Ausstellungsobjekten und mobilen modernen Kunstwerken, die immer wieder neu geordnet werden, etwas Dauerhaftes entgegensetzen. Sie stehen immer in Bezug zur Architektur und verschmelzen sogar mit ihr zu einer Skulptur, so etwa Jenny Holzers 47 Meter langes LED-Laufband »Ceiling Snake« mit über 1000 Textfolgen. Es schafft einen markanten Übergang zwischen dem Altbau der Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart und leitet den Besucher aus dem Café Liebermann im Gründungsbau in das Sockelgeschoss des Ungersbaus. Ein anderes Beispiel ist Bogomir Eckers auf 500 Jahre (!) Existenz angelegte »Tropfsteinmaschine 1996–2496« (so lange dauert es, bis ein etwa 5 cm hoher Tropfstein entsteht), die sich über alle Etagen des Galeriebaus erstreckt.

Der Malerei aus Deutschland sind – gemäß einem der Sammlungsschwerpunkte – gleich drei Kapitel gewidmet: Zunächst geht es um die Malergrößen Gerhard Richter, Georg Baselitz und Sigmar Polke, dessen 3 x 4 Meter großes Bild »Flucht Schwarz-Rot-Gold« (1997) mit Motiven der jüngeren deutschen Geschichte Hamburger Bürger und Freunde der Kunsthalle 2006 der Galerie geschenkt haben. Im zweiten Kapitel folgen die Maler, unter denen in den 1970er und 1980er Jahren »Figur und Zeichen« eine Renaissance erlebten: Markus Lüpertz, Jörg Immendorff, A. R. Penck, Werner Büttner u.a. Auch Lüpertz beschäftigte sich in seinem Werk »Schwarz-Rot-Gold, dithyrambisch« (1974) mit der deutschen Geschichte. Die figurative Malerei seit Ende der 1990er Jahre wird durch die »Geschichtenerzähler« und »Weltenbauer« im dritten Teil repräsentiert, wie z.B. Henning Kles, Daniel Richter, Jonas Burgert, Inge Pries und Christian Hahn.

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»Der Ausstieg aus dem Bild in Form von Material und Prozess« heißt ein Essay, in dem vor allem die Vertreter der Minimal Art, z.B. Carl André, Richard Serra, Robert Morris, Hanne Darboven, und der Arte Povera, etwa Jannis Kounellis, Mario Merz und Joseph Beuys, gewürdigt werden. Zur gleichen Zeit, als sich diese Künstler völlig von der Malerei lösten und die Skulptur als (Anti-)Form und Material im Raum analysierten, wurde auch das Medium der Malerei in seine elementaren Bestandteile zerlegt. Mit der »Reduzierten Malerei« stellten Maler wie Josef Albers, Domenico Gnoli, Günter Fruhtrunk oder Rolf Rose die Sehkonventionen des Betrachters auf den Prüfstand. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen Farbraster, Lichteffekte und der Akt des Sehens selbst. Sie interessierten sich bei ihrer Arbeit besonders für die Frage, was ein Gemälde ausmacht und welche Faktoren für seine Wirkung verantwortlich sind.

Daran schließt sich das Kapitel über Pop Art an, die ganz unterschiedliche kulturelle Phänomene hervorbrachte, aber die vor allem Reklame, Comic, Politik, Alltag zur Kunst erhob. Allen voran steht natürlich Andy Warhol und sein neues Bild vom Menschen für die gesamte Pop Art. Neben Claes Oldenburg, der sich wie in seiner »Study for Hanging Soft Fan« (1966) mit Versuchsreihen von Materialtransformationen beschäftigte, Tom Wesselmann, Wolf Vostell oder den hanseatischen Künstlern KP Brehmer und Arthur Köpke ist für die Kunsthalle David Hockneys »Doll Boy« (1960/61) von besonderer Bedeutung. Das Bild spielt mit seinem Titel auf das Lied »Living Doll« von Cliff Richard an, auf die Verehrung des jungen Malers für den erfolgreichen Pop Star und damit auch auf das »Outing« des Künstlers und seines Idols. »Mit den Andeutungen auf die damals strafrechtlich verfolgte Homosexualität und der Nähe zur Popmusik entspricht es der die Pop Art kennzeichnenden Offenheit gegenüber den Massenmedien« (Heinrich).

Der Essay »Spuren und Archive« behandelt einen weiteren Sammelschwerpunkt: Nikolaus Langs Strandgutsammlung (1970/71), Ross Sinclairs »The New Republic of St. Kilda« (1999/2002), Anna Oppermanns »Fensterecke« (1979–84) oder Christian Boltanskis Vitrinenwerk (1970) und Archivgang (1990) thematisieren Feldforschung, Archäologie und Erinnerung, sowie das Archivieren als künstlerische Disziplin. Allen Arbeiten ist gemein, dass sie sich im Grenzbereich zu anderen Wissenschaften wie Ethnologie, Ökologie und Soziologie bewegen, persönliche Ahnenforschung betreiben oder sich mit der Frage beschäftigen, was ein Individuum bestimmt und wie Identität und Erinnerung konstruiert werden.

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Das Kapitel »Von außen nach innen: Körper und Identität in den Neunzigern« beschreibt die jüngeren künstlerischen Entwicklungen, wie zum Beispiel die Figuren und Installationen von Cady Noland, Felix Gonzalez-Torres und Pia Stadtbäumer verkörpern. Unter dem Einfluss der neuesten medizinischen und gentechnologischen Forschungen sowie der Möglichkeit, in den elektronischen Medien fiktive Existenzen zu kreieren, stellt sich für diese Künstler die Frage nach dem Ich und seinem Selbstverständnis völlig neu. Auch Bruce Naumans bekannte Videoinstallation »Anthro/Socio« und Mona Hatoum sind hier einzuordnen.

 

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