In seinem kurzen Leben hat Wilhelm Lehmbruck einige Ikonen der Skulptur geschaffen, die ihn zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern Anfang des 20. Jahrhunderts machten.
Keine Geschichte der Plastik kommt an ihnen vorbei: der anmutigen "Knienden" (1911), dem (verhalten) "Emporsteigenden Jüngling" (1913/14) und nicht zuletzt dem "Gestürzten" (1915), als Inbegriff der expressionistischen Skulptur. Neben diesen und weiteren rund 60 plastischen Meisterwerken zeigt das Lehmbruck Museum in Duisburg einige Gemälde, zahlreiche Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen sowie grafische Arbeiten – rund 250 Exponate sind zur Werkschau zusammengeführt worden, die parallel ergänzt werden durch das Werk wichtiger Zeitgenossen bzw. Vorgänger: Rodin und Maillol.
Welche Leistung Lehmbruck vollbrachte, zeigen schon die stilpluralistischen Arbeiten der frühen Jahre. Deutlich spürt man zunächst den Einfluss seines Lehrers Karl Janssen, der mit schweren, neobarocken Historiengruppen auf sich aufmerksam gemacht hatte – darunter "Vater Rhein und seine Töchter" (1884) oder das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (1885). Ohne Kenntnis der Plastik von Rodin & Co. hätte der junge deutsche Bildhauer kaum den Blick nach vorne werfen können. Wenig spektakulär, aber technisch versiert, sind die Kopien, mit denen sich Lehmbruck finanziell eine Grundlage sicherte: Sie sind dem Stil des Lehrers verpflichtet. Doch schon in den fast naiven Erstwerken und in der Wahl seiner frühen Motive erkennt man einen Ernst, der Achtung verdient, und – wohl aus noch unbedarftem Elan heraus – sogar überraschende Details finden sich, wie etwa die schief sitzende Krawatte in dem Selbstporträt von 1898, ein an sich selten für interessant erachtetes Kleinmotiv; und auch ein fast daumierhafter Witz scheint auf in Arbeiten wie dem „Onkel Nolte“ (1899) angewendet, wozu auch noch die erste vollplastische ganze Figur Lehmbrucks zählt, der „Schusterjunge“ von 1901.
Hin- und hergerissen zwischen süßlichen Anrufungen an die Schönheit („Junge Liebe“, 1905) und harmlosen künstlerischen Ausflügen in die Arbeiterwelt („Sitzender Bergarbeiter mit Grubenlampe“, 1905/07) kommt es bei all dem dennoch einem Initialerlebnis gleich, wenn Lehmbruck im Jahr 1911 – vorbereitet allenfalls in Statuetten wie der „Kleinen stehenden weiblichen Figur“ – mit der fulminanten „Knienden“ auf die Bühne tritt. Man darf hier getrost eine der schönsten Aktdarstellungen in der Plastik des frühen 20. Jahrhunderts sehen. Von nun an sind die mehrpoligen Spannungen kein Ausdruck des Suchens mehr, sondern die Darstellung der zwei Seelen in des Menschen Brust: Aufbruch auf der einen Seite („Emporsteigender Jüngling“), Rückblick auf der anderen Seite („Rückblickende“, 1914), kulminierend in den sich verschmelzenden Bewegungstendenzen: (be)sinnlich in der „Schreitenden (Mädchen, sich umwendend)“ (1914), fast zornig im „Stürmenden/Getroffenen“ (1914/15).
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Der melancholische Zug, der sich durch das ganze reife Werk zieht, bricht in dieser Zeit massiv durch, und mit dem „Gestürzten“ von 1915 schafft Lehmbruck die gültige Darstellung des Gescheiterten, der versucht, sich seine Würde zu erhalten. Er überdeckt die faszinierenden Arbeiten, die danach entstanden: die „Betende“, „Kopf eines Denkers“ oder „Liebende Köpfe“ (alle 1918), die die expressionistische Seite in diesem großartigen plastischen Werk hervorkehren. Diese glänzenden Jahren seines Schaffens sind überschattet vom Weltkrieg und seinem Grauen, an dem der Bildhauer wohl zerbrach: Er nahm sich im Frühjahr 1919 das Leben – die Wahl in die Preußische Akademie der Künste hat er nicht mehr mitbekommen.
Das malerische, zeichnerische und druckgrafische Werk, noch weniger die Gedichte kommen nicht an die Skulpturen heran. Bedenkt man, dass gerade Bildhauer grandiose Zeichner sind, fallen die Arbeiten auf Papier im großen Ganzen enttäuschend aus. Vereinzelt gelingen ihm jedoch ganz starke, kraftvolle Arbeiten wie das Gemälde „Loth und seine Töchter“ (1915/16). Es ist allerdings lohnend, sich dem ganzen Werk Wilhelm Lehmbrucks zu widmen, wie das Beispiel der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum zeigt: Der umfassende Blick zeigt das Bild eines beachtlichen Künstlers, der noch nicht am Ende seines Werdegangs angelangt war, als er aus dem Leben trat, der jedoch einige der schönsten modernen Skulpturen in Deutschland geschaffen hat.
Zur Ausstellung ist, als einzige deutschsprachige Monografie zum Thema, ein Sammlungskatalog erschienen, der sich als Standardwerk zum Werk Wilhelm Lehmbrucks präsentiert.
Eintritt
4,- EURO, ermäßigt 2,- EURO
Familienkarte 8,- EURO
Öffnungszeiten
Dienstag – Samstag 11–17 Uhr
Sonntag 10–18 Uhr