Ausstellungsbesprechungen

Young–Jae Lee: Körper zu Körper, Zollverein bis 30. Juni und Museum Folkwang bis 14. Juli

Die Bauhaus–Idee hat Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Kunstszene in Westdeutschland maßgeblich geprägt. In Essen wird beispielsweise die Künstlersiedlung Margarethenhöhe errichtet, die Künstlern ganz unterschiedlicher Richtungen Lebens– und Arbeitsstätte war. Ähnlich wie am Staatl. Bauhaus in Weimar gehörte zur Künstlersiedlung »Margarethenhöhe« auch eine Keramische Werkstatt. Heute hat die aus Südkorea stammende Künstlerin Young–Jae Lee (*1951) die Werkstatt übernommen, ihre Werke stehen in der Tradition der Bauhaus–Ästhetik. Anlässlich des Jubiläums »100 Jahre Bauhaus« zeigen zwei Ausstellungen – eine im Museum Folkwang und eine auf dem Gelände des UNESCO–Welterbes Zollverein – die handwerklich hergestellten Stücke. Susanne Braun hat sie sich für PortalKunstgeschichte angesehen.

Young-Jae Lee; Foto: Thomas Dashuber Installationsansicht „Young–Jae Lee. Körper zu Körper“, 2019,  Werke: Serie “Spinatschalen“, 2008–2018, Foto: Jens Nober, Museum Folkwang Young-Jae Lee; Foto: Thomas Dashuber Young-Jae Lee; Foto: Haydar Koyupinar
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 Die Margarethenhöhe, im südlichen Essen, ist die erste deutsche Gartenstadt und gilt bis heute als ein Beispiel für menschenfreundliches Wohnen. Benannt ist das 115 Hektar große Areal aus Wald– und Wohnfläche nach Margarethe Krupp, welche die Siedlung 1906 anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Bertha stiftete. Architekt Georg Metzendorf ging bei der Konstruktion der Gebäude sehr innovativ und kostensparend vor. Er bediente sich einer Art Baukastenprinzip und kombinierte dieselben Gestaltungselemente immer wieder anders. Das Ergebnis: eine abwechslungsreiche Architektur, trotz gleichzeitiger Einsparung der Kosten für die Entwürfe verschiedener Häuser. Eine Idee, die bereits an die spätere Bauhaus–Praxis vorwegnimmt.

Der Architekt Georg Metzendorf war es offenbar auch, der Margarethe Krupp dazu überredete, eine Künstlersiedlung auf der Margarethenhöhe einzurichten – 1919 wurde das erste Ateliergebäude erbaut. In den 1920er und 1930er Jahren war die Margarethenhöhe Arbeits– und Lebensstätte für Künstler aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Wegen der schlechten Auftragslage mussten nach 1933 die meisten Künstler ihre Tätigkeit einstellen, im Zweiten Weltkrieg wurden viele Ateliers zerstört. Später ist die Siedlung in ihrer ursprünglichen Form wieder aufgebaut worden, heute steht sie unter Denkmalschutz. Noch immer wirkt dieses künstlerische Experiment in Essen nach – beispielsweise im Museum Folkwang oder an der Folkwang Universität der Künste.

Auch für die Keramische Werkstatt der Künstlersiedlung Margarethenhöhe gab es eine Zukunft: auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen. 1987 hat die Künstlerin Young–Jae Lee (*1951) die Werkstatt übernommen, die sich noch immer auf dem Areal der mittlerweile stillgelegten Zeche befindet. Im Rahmen des Veranstaltungsangebots von »100 Jahre Bauhaus« werden die Keramiken der gebürtigen Koreanerin in der ehemaligen Kokerei des mittlerweile zum UNESCO–Welterbe gehörenden Zechengeländes und im Museum Folkwang ausgestellt.

»Es gibt direkte historische Anknüpfungspunkte an die Bauhaus–Idee«, beschreibt Kuratorin Nadine Engel die Gründe, »mehr noch zur Folkwang–Idee, dem gemeinsamen Wohnen und Arbeiten in einer Siedlung«. In der Ausstellung im Museum Folkwang spürt Young–Jae Lee mit ihren Keramikwerken der Entwicklung der Teeschale vom 16. Jahrhundert bis heute nach. Schalen mit individuellen Design haben vor allem in Japan, im Rahmen von Teezeremonien besondere Bedeutung erlangt. Dennoch: frühe Design–Vorlagen der Schale sind offenbar nicht in Japan oder China, sondern vor vor allem in der Form koreanischer Reisschalen zu finden. »Wir stellen die Keramik von Young–Jae Lee bewusst in Verbindung zu anderen Schalen aus der Sammlung des Museum Folkwang«, erklärt Kuratorin Dr. Nadine Engel, »bei der Gelegenheit hatten wir einen Experten da und haben erfahren, dass diese Schale mit Gravuren aus unserem Bestand wohl aus Korea stammen muss. Bisher konnten wir die Herkunft nicht genau ermitteln«.

Die Keramiken von Young–Jae Lee sind schnörkellos und geradlinig, fast wie Industrieprodukte. Insofern erinnert die Keramik nicht nur an Stücke, die am Staatl. Bauhaus hergestellt worden sind, sondern ebenso an die Perfektion des ursprünglich aus China stammenden Porzellan. »Es gibt direkte Anknüpfungspunkte an die Bauhaus–Keramik«, erläutert Nadine Engel, »beispielsweise über Johannes Leßmann zu Otto Lindig«.

Gestört werden die nahezu perfekten Silhouetten der Gefäße lediglich durch kleine Asymmetrien, die sich erst nach eingehender Betrachtung erkennen lassen. Jedoch wirken sie nicht wie Produktionsfehler, sondern mehr wie ein bewusst platziertes Gestaltungselement, das den Kunstwerken ihren einzigartigen Charakter verleiht. »Ziel ist natürlich, das Individuelle der Serie und das handwerkliche Können in den Mittelpunkt zu stellen«, verrät Nadine Engel, »die Gefäße werden standardmäßig nach bestimmten Maßen angefertigt. Was sich in manchen Fällen nicht exakt wiederholen lässt, ist die Farbgebung der Glasur. Die Flamme des Brennofens ist nie so ganz vorhersehbar«.

Zum Verweilen laden auch die Ausstellungsräume im Museum Folkwang und jene der Kokerei der Zeche Zollverein ein. Licht und Schatten bieten jeweils unterschiedliche Schauspiele, die zum Meditieren über das Sein und das Nichts einladen. Auch damit stehen die Ausstellungen ein weiteres Mal nicht nur in der Tradition des Bauhauses, sondern auch jener Asiens.

Der Eintritt in beide Ausstellungen ist frei.

Noch ein Veranstaltungstipp:
Das RuhrMuseum in Essen widmet jenen Künstlern, die in den 1920er und 1930er Jahren in der Künstlersiedlung Margarethenhöhe gelebt haben im Rahmen von »100 Jahre Bauhaus« eine eigene Ausstellung. Mehr Infos unter: https://www.ruhrmuseum.de/nc/sonderausstellungen/aktuell/sonderausstellung–detail/news/84/2019/april/08/

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