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»Die büßende Magdalena«: Ein verschollener Tizian im Wiener Dorotheum am 11. Mai 2022

»Die büßende Magdalena« war Teil der berühmten Sammlungen von Königin Christina von Schweden und Herzog Philipp II. von Orléans. Das einst verschollene Bild des Malers, Tiziano Vecellio, genannt Tizian (1485/90-1576) ist das Highlight der Auktion »Gemälde Alter Meister« am 11. Mai im Dorotheum Wien. Andreas Maurer hat dazu mit dem zuständigen Experten des Auktionshauses Mark MacDonnell gesprochen.

copyright © Dorotheum
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Andreas Maurer (AM): Erst diesen Januar ging die vielbeachtete Schau »Tizians Frauenbild« im Wiener Kunsthistorischen Museum zu Ende. Kurz danach taucht Tizians »büßende Magdalena« in einer Auktion auf. Gibt es da einen Zusammenhang?

Mark MacDonnell (MM): Das nicht, aber der Experte, den wir kontaktiert haben, der britische Kunsthistoriker Paul Joannides, kam nach Wien um sich die Ausstellung anzusehen, da er dort nützliche Vergleiche vorfand.

AM: Das Bild beeindruckt auch durch eine royale Provenienz: Es befand sich in der Sammlung von Königin Christina von Schweden, später im Besitz des Herzogs Philipp II. von Orléans - eine der bedeutendsten und berühmtesten Kollektion westlicher Kunst, die jemals aufgebaut wurde. Möglicherweise gehörte das 115 x 96,7cm große Bild auch zur Sammlung des Heiligen Römischen Kaisers Rudolf II. in Prag, von wo aus es nach der Plünderung Prags am Ende des Dreißigjährigen Krieges nach Schweden gelangt sein könnte. Wie wurde dieser Schatz nun wiederentdeckt?

MM: Wir besuchen unsere Kunden oft persönlich. Dieses Gemälde wurde in den 1960er Jahren vom Großvater der heutigen Besitzer in England gekauft. Dass dieses Werk aus dem Umkreis Tizians stammte war ihnen bewusst, da es eine sehr berühmte Version davon in der Petersburger Eremitage gibt. Aber erst nachdem das Bild für die Auktion hier im Wiener Dorotheum angekommen war erschloss sich seine Bedeutung. Es hatte eine Kraft und Energie die uns sofort anzog, daher wandten wir uns an einen echten Tizian-Spezialisten.
Ich selbst sehe mich ja eher als eine Art »Hausarzt für Alte Meister«. Bei einem besonderen Fall muss dann eben ein Spezialist die genaue Diagnose stellen. Im Fall von Tizian war das Paul Joannides, denn bereits 2016 hatte er einen Artikel über die Magdalena-Bilder von Tizian publiziert und die verschiedenen Versionen chronologisch geordnet. Und dieses Bild wurde dabei als verschollen aufgelistet, denn es war lediglich von einem Druck aus der Orléans-Sammlung bekannt. Joannides war sofort Feuer und Flamme, als wir ihm ein Foto des Werkes schickten. Zusammen haben wir dann die weiteren Recherchen vorgenommen.

AM: »Die büßende Magdalena« war sicher eines der erfolgreichste Bildthemen im Schaffen von Tizian. Unbestritten gilt das Malergenie als einer der führenden Vertreter der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts. Warum trennen sich die Einbringer von diesem Schatz?

MM: Ich kenne die Einzelheiten dazu nicht. Aber wahrscheinlich waren die Einbringer der Meinung, dass es ein guter Zeitpunkt wäre, das Gemälde auf dem Markt anzubieten. Der Markt für Alte Meister ist gerade ziemlich am Höhenflug. Vielleicht war das ein Grund.

AM: Die wiederentdeckte »büßende Magdalena« wird mit einem Schätzwert von 1 Million bis 1,5 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Wie funktioniert bei so einem seltenen Meisterwerk aber überhaupt die Preisgestaltung?

MM: Letztendlich können wir nur versuchen dieses Werk mit anderen Bildern auf dem Markt zu vergleichen. Das Wichtigste ist aber der Endpreis. Unsere Aufgabe besteht also darin das Bild dem Markt zu präsentieren. Je nach Zustand, Qualität und Herkunft errechnet sich daraus ein Angebotspreis. Aber erst der Auktionsprozess ist dann ein klarer, transparenter Weg um zu einem echten Marktwert zu gelangen. Und Tizian lässt sich definitiv in eine Reihe mit
Da Vinci, Michelangelo und Raffael stellen.

AM: Tizians Büßerin ziert selbstverständlich auch den aktuellen Auktionskatalog. Warum haben sich die Einbringer aber für das Wiener Dorotheum als Verkaufsort entschieden. Es gäbe ja auch andere Auktionshäuser...

MM: Natürlich. Ich denke aber, dass die persönliche Beziehung zu unseren Kunden eine wichtige Rolle spielt. Wien ist zudem schon immer eine sehr gute Adresse für Gemälde Alter Meister gewesen. Probleme mit dem Brexit haben London hingegen zu einem schwierigeren Ort für den Verkauf von Europäischer Kunst, die nicht England-bezogen ist, gemacht.
Warum sich jemand dann aber explizit für Wien entscheidet kann ich nicht sagen. Vielleicht weil wir im Dorotheum in letzter Zeit sehr gute Preise für Gemälde italienischer Altmeister erzielt haben?! Wien ist nach wie vor eine Art Zentrum für Alte Meister.

AM: Nicht nur Tizians werden wiederentdeckt, immer wieder liest man von Rubens oder Rembrandts, die plötzlich wieder auf Dachböden auftauchen. Glauben Sie, dass noch einige prominente Alte Meister in Wiener Wohnzimmern schlummern? Und: Darf man sich im Verdachtsfall einfach beim Dorotheum melden?

MM: Auf jeden Fall! Man kann nie wissen an welchen unwahrscheinlichen Orten ein solches Gemälde auftaucht! Viele dieser Bilder sind verschollen, das heißt wir wissen zwar von ihrer Existenz, aber nicht, wo sie sich befinden. Heutzutage kann man auch sehr einfach mit dem Smartphone oder Tablet ein Foto machen und eine E-Mail senden. Und für uns ist es dann relativ einfach zu entscheiden, ob es sich lohnt dieses Gemälde genauer zu studieren. Also schicken Sie gerne Fotos!

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Mark MacDonnell
Experte Alte Meister
Dorotheum Wien
Dorotheergasse 17
1010 Wien

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