Die Biennale für aktuelle Fotografie zieht mit ihrem Programm aus Ausstellungen, Vorträgen, Diskussionen und Workshops alle zwei Jahre ein großes Publikum in der Rhein–Main–Region an. Auch in diesem Jahr ist das von David Campany kuratierte Programm wieder vielversprechend gestartet, doch dann mussten wegen der Corona–Krise alle Ausstellungen geschlossen, viele Veranstaltungen abgesagt und insgesamt umdisponiert werden. Susanne Braun hat sich virtuell umgesehen und mit Yasmin Meinicke, der Geschäftsführerin der Biennale für aktuelle Fotografie, gesprochen.
Der Blick schwebt vom Deckengewölbe hinunter in die Eingangshalle des Heidelberger Kunstvereins und stoppt vor dem Plakat der Biennale am Eingang zur Messe. Von hier aus lassen sich die Stationen der Ausstellung mit Hilfe von Markern zum Anklicken erkunden, die das Bild der Ausstellungsräume in unterschiedlichen Abständen durchziehen. Mit dem Mouse–Klick öffnet sich dann eine Großaufnahme der an dieser Wand hängenden Kunstwerke. Insgesamt kann sich der digitale Besucher am Computer aber auch frei in der 360°–Ansicht der Ausstellungsräume bewegen und nah an die Werke heran zoomen.
Der virtuelle Rundgang durch die Ausstellungen der sechs Biennale–Museen in Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg war zunächst nicht Teil des Konzepts. Doch die Veranstalter wollten ihre mühevolle Arbeit trotz der Corona–Krise einem breiten Publikum präsentieren und haben einen Weg gefunden: »Wir hatten mit Marco Vedana schnell jemanden gefunden, der einen Rundgang technisch umsetzen kann, und das Auge dafür hat, worauf es ankommt«, beschreibt Geschäftsführerin Yasmin Meinicke die Arbeitsweise des Teams. »Bei insgesamt sechs Ausstellungen der Biennale kam dann eine Menge an Datenmaterial zusammen, das gesichtet, sortiert und aufbereitet werden musste. Dazu kam die redaktionelle Arbeit, die uns trotz aller Arbeit aber leichtfiel, da es ja unser großer Wunsch war, die Ausstellungen zugänglich zu halten. Es ging dann in vereinter Teamarbeit sehr, sehr schnell, dafür, dass wir vor der Eröffnung keinen virtuellen Rundgang geplant hatten«.
Gelohnt hat sich die Mühe in jedem Fall, so Yasmin Meinicke kommt viel Lob für das Engagement an: »Die Resonanz ist riesig, und sehr positiv, bei den Besuchern, den Medien und anderen Kulturveranstaltern, die erfahren wollen, wie wir das so schnell umsetzen konnten. Besonders gewürdigt wird die Einfachheit unseres Rundgangs. Er ist wirklich für jeden zugänglich und recht intuitiv zu bedienen; außerdem gibt es ein kurzes Erklärvideo, das zeigt, wie man sich in den virtuellen Ausstellungsräumen bewegen kann. Zugleich leistet unser Rundgang genau das, was ein Ausstellungspublikum erwartet: Es ist möglich, ganz nah an einzelne Arbeiten heranzutreten bzw. heranzuzoomen. Der Ausstellungszusammenhang bleibt ebenso wie das Raumgefühl erhalten; weitere Informationen zu den Werken werden über kurze Texte vermittelt«.
Doch auch wenn eigentlich nicht geplant, lässt sich sogar eine Verbindung zwischen dieser neuen Weise, die Ausstellung zu erleben und dem Konzept von Kurator David Campany erkennen. Die diesjährige Ausgabe der Biennale unter dem Motto »The Lives and Loves of Images« beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Funktionen der Fotografie, auch insbesondere in Hinblick auf auf die technischen Möglichkeiten bei Herstellung und Bearbeitung.
Ein wichtiges Thema der Ausstellung ist zum Beispiel die Beschäftigung mit Ikonen der Fotografie–Geschichte wie berühmten Pressefotografien. Das Duo Cortis & Sonderegger etwa baut in seinem Züricher Studio Repliken bekannter Aufnahmen als Tischmodelle nach. Mit Teppichmessern, Klebstoff, Kunstrasen oder Miniatur-Bausätzen entstehen Modelle, deren konstruierter Charakter unverkennbar auf einer Fotografie in Szene gesetzt wird. Neben einem Nachbau der ersten Fotografie der Welt oder dem Tienamen-Platz gehört zu den verwendeten Ikonen ist auch die berühmte Fotografie »Falling Soldier« von Robert Capa aus dem spanischen Bürgerkrieg. Die Skepsis in Bezug auf dieses Zeit–Dokument lässt sich auch wissenschaftlich begründen, vor Kurzem ist die Authentizität dieser Fotografie in einer Studie erneut angezweifelt worden. Auch Max Pinckers & Sam Weerdmeester greifen dieses ikonische Foto auf und untersuchen in ihrem Werk »Controversy« den Ort der Entstehung mithilfe einer Scannertechnologie, die sonst zur Reproduktion von Gemälden eingesetzt wird. »Unserem diesjährigen Kurator David Campany war es wichtig, dass in den Ausstellungen zwei Aspekte im Gleichgewicht gehalten werden: das Misstrauen gegenüber der Fotografie, was uns bestenfalls zu emanzipierten kritischen Betrachtern macht, aber gleichzeitig auch die Liebe zum Bild«, beschreibt Yasmin Meinicke den Anspruch der Biennale für aktuelle Fotografie. »Und obwohl er den Schwerpunkt auf zeitgenössische Fotografie gesetzt hat, wird deutlich, dass diese Fragen an die Fotografie auch schon sehr früh in ihrer Geschichte gestellt wurden. In den Ausstellungen kann jeder selbst Antworten auf diese Fragen für sich finden«.
Ausgestellt werden darüber hinaus Arbeiten, die sich mit der Fotografie als Technik zur Reproduktion von Kunst beschäftigen. In Antonio Pérez Rios Aufnahmen aus dem Louvre lassen die unzähligen Smartphone–Bildschirme der Besucher die ausgestellten Kunstwerke im wahrsten Sinne des Wortes verblassen. Mark Lewis’ Versuch, eine Ausstellung mit Hilfe eines Kamera–Roboters zu filmen, gerät selbst zur Kunst. Da die Software nicht in der Lage ist, eine exakte Abbildung der Ausstellungsräume nachzustellen, werden die Abbildungen der Kunstwerke von schwarzen Stellen oder unförmigen Farbflächen ergänzt und durchbrochen. John Stezaker verwendet Fotografien zur Herstellung von Collagen. Seine Werke, die oft aus Werbefilm–Stills oder Postkarten zusammen gesetzt sind, kombinieren Vertrautes mit Ungewöhnlichem. Stéphane Duroy verwendet Texte und Bilder, um aus seinen Fotografien über Exil und Non–Konformismus Collagen zu machen. Dass auch Werbe–Fotografien große Kunst sein können, demonstrieren etwa die Werke von Hein Gorny, außerdem rufen sie ins Gedächtnis, wie sehr seine Bildgestaltung vom Bauhaus und der Neuen Sachlichkeit geprägt ist.
»Die Biennale 2020 – The Lives and Loves of Images – widmet sich den verschiedenen Leben, die ein Bild führen kann, und dieser Aspekt der Mobilität zieht sich wie ein roter Faden durch alle sechs Ausstellungen. Welche Vor–Bilder hat eine Fotografie und wie wirken sie nach?«, fasst Yasmin Meinicke den Schwerpunkt der diesjährigen Biennale zusammen. Weitere wichtige Themen der Biennale sieht sie außerdem hier: »Walker Evans Revisited in der Kunsthalle Mannheim ist als Herzstück der Biennale 2020 verstehen. Denn hier wird besonders deutlich, wie ein fotografisches Bild durch die Zeit, durch Kulturen und durch Kontexte wandert und sich dadurch seine Bedeutung immer wieder verändert. Aber auch die Reconsidering Icons–Ausstellung mit den humoristischen Arbeiten von Cortis & Sonderegger und die Befragung der Bilder nach ihrem Kultstatus; das grandiose Video von Dennis Adams in All Art is Photography, in dem er den Exzentriker André Malraux so wunderbar persifliert. Die Daniel Stier Installation im Port25 – Raum für Gegenwartskunst … Ach, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, gerät die Biennale–Geschäftsführerin ins Schwärmen.
Lässt sich den Maßnahmen, die durch die Corona–Krise getroffen werden mussten also doch etwas abgewinnen? Sind vielleicht sogar nachhaltige Konzepte entstanden, die bleiben? »In erster Linie hoffen wir, dass die Menschen sich bald wieder in Ausstellungen treffen können, und die Bilder vor Ort betrachten können«, fasst Yasmin Meinicke die neuesten Erfahrungen zusammen, »Aber sicher ist auch, dass viele Institutionen nun Erfahrungen im Virtuellen machen, die sicher auch nach Corona nützlich sein werden. So gesehen ist diese Krise auch eine Chance, andere Formate und Wege in der Vermittlung von Kunst und Kultur auszuprobieren«. Neben dem virtuellen Rundgang durch die sechs Museen werden in Kürze auch einige der geplanten Gespräche online zur Verfügung stehen beispielsweise mit Herlinde Koelbl und Christian Schicha, Timm Rautert und Horst Bredekamp, Bejamin Samuel und Achim Wambach oder Simon Starling und Joachim Wambsganß. Einen großartigen Überblick über die wichtigsten Stationen und Werke der Biennale bietet nach wie vor aber auch ganz analog der Katalog zur Ausstellung.
Übrigens: Wie vielen Ausstellungshäusern fehlen der Biennale für aktuelle Fotografie durch die Corona–Krise wichtige Einnahmen aus Eintrittsgeldern. Wer die Biennale unterstützen möchte, dass dies durch den Kauf eines Ausstellungskatalogs, den Kauf einer Biennale–Tasche oder durch eine Spende tun.