Ausstellungsbesprechungen

Alberto Burri. Das Trauma der Malerei, Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, bis 3. Juli 2016

Der Italiener Alberto Burri (1915–1995) zählt mit seinen Materialarbeiten aus Jute, Eisen, Holz und Plastik zu den einflussreichsten, in Deutschland jedoch weniger bekannten Künstlern der Nachkriegszeit. Schon relativ früh, 1966, erwarb die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen unter ihrem damaligen Leiter Werner Schmalenbach ein »Sacco« von Burri. Sie zählt damit zu den wenigen Sammlungen in Deutschland, die Werke des Künstlers besitzen. Der hundertste Geburts- und zwanzigste Todestag boten den äußeren Anlass, Alberto Burri umfassend mit einer Ausstellung im Solomon R. Guggenheim Museum in New York zu würdigen, die jetzt in Düsseldorf gezeigt wird. Rainer K. Wick hat sie angeschaut.

Die Kunst Italiens gehört zu den bevorzugten Gegenständen der deutschsprachigen Kunstgeschichte. Dabei liegt der Schwerpunkt der Forschung traditionell auf dem Zeitraum vom Trecento bis zum Settecento, also grob gesagt von Giotto zu Tiepolo, und die zwei Jahrhunderte von etwa 1800 bis 2000 wurden lange eher stiefmütterlich behandelt. Dies ist seit geraumer Zeit im Begriff sich zu ändern, wie erst im letzten Monat die fünfte Arbeitstagung des »Forums Kunstgeschichte Italiens« in Berlin gezeigt hat. Thema einer der Sektionen war dort die »Italienische Moderne«, in einer anderen Sektion ging es um die »Frühzeit der Fotografie in Italien«. Ferner bietet sich hierzulande nicht allzu oft, aber immerhin doch ab und zu die Gelegenheit, in Ausstellungen Originalwerke der italienischen Moderne kennenzulernen oder ihnen erneut zu begegnen. Einen Markstein in dieser Hinsicht stellt die große Burri-Retrospektive dar, die derzeit im K21 (Ständehaus) in Düsseldorf zu besichtigen ist. Dreimal war Alberto Burri auf der Kasseler documenta vertreten (1959, 1964 und 1982), 1997 hatte er im Münchner Lenbachhaus seine letzte Museumsausstellung in Deutschland – nun also, nach fast zwanzig Jahren, bietet sich für einen Teil des kunstinteressierten Publikums die Gelegenheit eines Wiedersehens, für einen anderen die Möglichkeit des Erstkontaktes.

Geboren 1915 im umbrischen Città di Castello, studierte Alberto Burri Medizin und war während des Zweiten Weltkriegs als Militärarzt in Nordafrika eingesetzt. 1943 geriet er in Tunesien in alliierte Kriegsgefangenschaft und kam in ein Lager im texanischen Hereford, wo er zu malen und zu zeichnen begann. Die hier und unmittelbar nach der Gefangenschaft entstandenen Zeichnungen, die in Düsseldorf erstmals gezeigt werden, lassen die furchtbaren Kriegserlebnisse Burris erahnen, insbesondere als Arzt, der zahllose schwer verwundete Soldaten der italienischen Armee zu behandeln hatte. Es sind entstellte Körper, surreal verformte Gestalten, auch verwüstete Landschaften, die umstandslos als Versuche der bildnerischen Verarbeitung schwerer traumatischer Erfahrungen zu deuten sind. Nach seiner Rückkehr nach Italien gab Burri die Medizin auf und entschied sich, obwohl Autodidakt, im Jahr 1946 für die freie Kunst. Und nicht nur das. Er brach radikal mit allen Formen der Figuration und entschloss sich, zukünftig nur noch gegenstandslos zu arbeiten. Schon 1947 hatte er eine erste Einzelausstellung in der Galleria La Margherita in Rom. 1954, in Zeiten der Hochblüte von Informel und Abstraktem Expressionismus, folgte sein internationaler Durchbruch mit einer Ausstellung im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum.

Burri gehört zu jenen italienischen Künstlern, denen es unter den Vorzeichen des Existenzialismus der Nachkriegszeit und vor dem Hintergrund der neu gewonnenen individuellen Freiheiten nach dem »Ventennio nero«, also den zwanzig »schwarzen« Jahren der Mussolini-Diktatur, um die künstlerische Formulierung subjektiver Haltungen, persönlicher Befindlichkeiten und grundlegender Existenzfragen ging. Dazu bedienten sie sich einer Bildsprache ohne gegenständliche Bezüge oder figurative Konkretisierungen. Das Skripturale und Gestische spielte eine ebenso große Rolle wie das rein Stoffliche, das sich in einer neuartigen Materialästhetik äußerte, die nicht auf Repräsentation zielte, sondern oft als bloße Präsentation von Materialien oder Materialensembles erschien. So ging es bei Alberto Burri, dessen unterschiedliche Werkgruppen die beträchtliche Wandlungsfähigkeit des Künstlers belegen, vordergründig immer um die Exploration des Materials und dessen Veränderungen durch gestalterisches Eingreifen, so in den »Combustioni« (Verbrennungsbildern) oder in den Serien »Catrami« (Teerflächen), »Gobbi« (Buckel), »Muffe» (Schimmel), »Legni« (Hölzer), »Ferri« (Eisen), »Cretti« (Risse) und »Plastiche« (Plastik). Typisch sind schrundige Oberflächen, Rissbildungen, Brandspuren und kraterartige Formationen, Buckel, Löcher, Narben und Krakelüren. Untrennbar verbinden sich mit seinem Namen die berühmten »Sacchi«, die in den 1950er Jahren entstanden – Materialmontagen aus miteinander vernähtem, grobem Sackleinen (Jute), einem »armen« Material, das hier nicht als Malgrund dient, sondern in seinem ästhetischen Eigenwert vorgeführt wird, das aber auch als Verweis auf die ökonomisch schwierigen, entbehrungsreichen Nachkriegsjahre verstanden werden kann.

Insofern wäre es zu kurz gegriffen, würde man es bei einer rein formalen Betrachtung dieses in Düsseldorf in seinen vielfältigen Facetten präsentierten Œuvres bewenden lassen. Burri selbst hat sich zwar »mit freundlicher Bestimmtheit« dagegen verwahrt, »etwas über Erlebnishintergründe, über milieuartige, psychologische, ideologische oder metaphysische Bedingungen seines Werkes [...] aussagen zu können«, so der Schweizer Kunsthistoriker und Schriftsteller Paul Nizon, doch bedarf es keiner sonderlichen tiefenpsychologischen Anstrengung, um die fast durchgängigen Hinweise auf Beschädigungen, Verletzungen und Zerstörungen mit der unauslöschlichen Erinnerung des Künstlers an das Grauen des Krieges in Verbindung zu bringen. Burris Materialcollagen aus alltäglichen Abfallstoffen, die implizit von Gewalt erzählen, zeugen neben ihrer destruktiven Seite zugleich von einem Aspekt der aktiven Traumabewältigung, sind sie doch das Resultat eines produktiven gestalterischen Vorgangs, der geradezu als Akt des Reparierens bzw. des Heilens gedeutet werden kann. Dies scheint in besonderem Maße für die »Sacchi« zuzutreffen, wo Fragmentarisches in eine neue Ordnung gebracht und durch deutlich sichtbare Nähte – es drängt sich der Gedanke an die Tätigkeit des operierenden (Militär-)Arztes auf – zusammengehalten wird.

Ein Film der niederländischen Regisseurin Petra Noordkamp dokumentiert Burris einziges Land Art-Projekt, »Il Grande cretto di Gibellina«. Mit diesem 1985 begonnenen und postum erst 2015 vollendeten Projekt hat der Künstler die Serie seiner »Cretti«, monochromer Bilder, die von mehr oder minder feinen Rissen durchzogen sind, ins Monumentale gesteigert. Im Jahr 1968 wurde das sizilianische Gibellina durch ein Erdbeben vollständig zerstört, die Überlebenden wurden in zehn Kilometer Entfernung neu angesiedelt. Zur bleibenden Erinnerung an das Zerstörungswerk der Natur und an die menschliche Tragik, die sich mit diesem Ereignis verbindet, hat Alberto Burro die Ruinen des Ortes mit einem massiven, hellgrauen Betonpanzer überfangen. Dabei orientierte er sich an den gewachsenen Strukturen der mittelalterlichen Kommune und am ursprünglichen Verlauf der engen Gassen, die nun wie Schneisen die kompakte Betonschicht durchschneiden und aus der Vogelperspektive wie Risse (Cretti) im zubetonierten, acht Hektar großen Gelände erscheinen.

Als eine kluge Entscheidung erweist sich der Umstand, dass die Kuratoren der Düsseldorfer Ausstellung die Präsentation von circa siebzig Arbeiten Burris, die aus europäischen und amerikanischen Museen und Privatsammlungen entliehen werden konnten, durch Werke der Materialkunst aus den Beständen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ergänzt haben. Durch die Kontextualisierung etwa mit Arbeiten von Lucio Fontana, Piero Manzoni, Jannis Kounellis und Mario Merz wird Alberto Burris Bedeutung für die italienische Avantgarde nach 1945 ebenso deutlich wie sich die Impulse auf die US-amerikanische Moderne, die in den 1950er Jahren aus Besuchen Cy Twomblys, Robert Rauschenbergs und Lee Bontecous in Burris römischen Atelier resultierten, ablesen lassen. Ein Katalog in deutscher Sprache liegt leider nicht vor, das vorübergehend vergriffene englischsprachige Katalogbuch »Alberto Burri. The Trauma of Painting«, herausgegeben von der Solomon R. Guggenheim Foundation, New York (Thames & Hudson, Ltd. 2015) soll demnächst zum Preis von 49,- Euro wieder verfügbar sein.

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