Kataloge, Rezensionen

Andreas Schumacher: Perugino. Raffaels Meister, Hatje Cantz 2011

Eine Ausstellung, die in ihren Anfängen noch auf Ludwig I. und seine Einkäufe zurückgeht, lässt sich in diesem Herbst und Winter in den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen in München bewundern: von Perugino, als einer der großen Meister der Frührenaissance der Lehrer Raffaels, werden ungefähr 35 Werke zusammen mit Epigonen des 19. Jahrhunderts und Werkstattarbeiten ausgestellt. Stefan Diebitz hat sich den schönen Katalog angesehen.

Perugino (ca. 1445/48 – 1523) war natürlich viel mehr als nur der Lehrer Raffaels, auch wenn ihn bereits seine Beziehung zu einem derart bedeutenden Künstler für immer aus der Masse der Maler herausheben wird. Er ist buchstäblich der erste aller Präraffaeliten… Aber Perugino war auch ein Meister aus ganz eigenem Recht mit einer Fülle von bemerkenswerten Leistungen und er lebte in einer Umbruchszeit, vielleicht der größten, die es je in der Kunst gab.

Ein großer Teil seines Werkes steht in einem religiösen Zusammenhang. Anders als Arbeiten des 16. Jahrhunderts, die nur kurze Zeit später entstanden sind, erscheinen sie ruhig und ausgeglichen, sogar kontemplativ: Denn die Figuren zeigen keine dramatischen Affekte und die Bilder selbst sind in sich ausgewogen, gelegentlich auch symmetrisch. Der sie bestimmende Ausdruck der Ruhe wurde und wird immer wieder angesprochen und auch die ersten Bilder Raffaels sind ja noch von ihr geprägt – manche so sehr, dass man in manchen Fällen nicht genau zu sagen weiß, ob denn nun Raffael selbst oder Perugino ihr Urheber war. In der Berliner »Gesichter«-Ausstellung dieses Sommers gab es ein Portrait aus der Hand Raffaels, das sein Gegenstück in dem »Bildnis eines Mannes« im Perugino-Katalog findet. In beiden, einander stilistisch ganz ähnlichen Werken wird der Kopf eines dunkel gekleideten Mannes en face gezeigt und beide Male ist die Kiefer- und Kaumuskulatur leicht angespannt. In dem älteren, Perugino zugeschriebenen Bild ist der Blick dazu ein wenig zur Seite gerichtet, wodurch der Anschein der Lebendigkeit noch gesteigert wird.

In insgesamt sechs hochwertigen Aufsätzen wird das Werk Peruginos im Katalog behandelt. In dem umfangreichsten Beitrag umkreist Andreas Schumacher Leben und Werk des Malers. Annette Hofer schreibt über Peruginos »meditative Landschaften«, die sich deutlich von denen seiner Zeitgenossen unterscheiden und auf denen sich sehr häufig junge, frühlingsfrische Bäumchen finden, die für ihn so typisch sind wie mächtige alte Eichen für Caspar David Friedrich. Die Bäumchen prägen die Atmosphäre der Landschaft und geben ihr einen unverwechselbaren Charakter, den bereits das zeitgenössische Publikum an Peruginos Bildern geliebt hat.

Jens Niebaum thematisiert die auffallend große Rolle, die den Bildarchitekturen im Werk Peruginos zukommt. Rudolf Hiller von Gaertringen behandelt die folgenreiche »Geschichte einer Verleumdung«, denn Perugino wurde von Giorgio Vasari, dem Vater der Kunstgeschichte, als ein ungläubiger und ganz auf seinen Verdienst schielender Maler dargestellt. Anders als der Titel des Beitrages es vermuten lässt, sind in der Darstellung Hillers von Gaertringen Vasaris Bemerkungen über Perugino aber durchaus differenziert, und der Autor konzediert ihm sogar, »eine teilweise hellsichtige Analyse der Werke Peruginos« vorgelegt zu haben. Es geht dabei um die Arbeitsweise Peruginos, der immer wieder auf dieselben Muster und Kartons zurückgriff – sowohl bei den Gesichtern als auch bei der Gruppierung der Figuren –, wodurch sich natürlich Wiederholungen ergeben mussten, für die er gelegentlich heftig kritisiert wurde.

Matteo Burioni endlich kommt auf die Bedeutung Peruginos für Raffael zu sprechen und behandelt hierbei auch die Beziehung zu Leonardo, dessen Bildfindung in der »Felsgrottenmadonna« Perugino übernahm, aber in mehreren Punkten derart abänderte, dass »man von Korrektur und Kritik zu sprechen geneigt ist […]. Diese Lesart wird durch die Abwandlung der Hände Mariens bestätigt, wobei Leonardos starre, ja bedrohliche Gesten in zarte, zurückhaltende Haltungen aufgelöst wurden«.

Schließlich behandelt Oliver Kase die erstaunliche Popularität Peruginos im 19. Jahrhundert. Der interessante Beitrag gerät einerseits zu einer Geschichte der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts – beginnend mit Friedrich Schlegels Gemäldebeschreibungen aus der »Europa« –, andererseits zu einer Mentalitätsgeschichte, denn es war die bereits angesprochene kontemplative Grundhaltung seiner Bilder, die Perugino dieser Epoche so sympathisch machte.

Im Mittelpunkt des Buches steht die »Vision des heiligen Bernhard« von 1489/90, in der sich all das wiederfindet, was diesen Künstler auszeichnet: eine ruhige Stimmung; die offene, von wenigen jungen und sehr lichten Bäumchen bewachsene, etwas hügelige Landschaft im Hintergrund; dazu im Vordergrund die großartige, düster kontrastierende Pfeilerarchitektur, die zwei Gruppen – links zwei Engel und Maria, rechts der Heilige mit zwei Aposteln – sowohl voneinander trennt, als auch zusammenfasst. Die stillen Gesichter der Protagonisten wirken sehr anziehend, wahrscheinlich auch aufgrund ihrer Natürlichkeit, denn sie »himmeln« nicht. Diese spätestens im Barock überhand nehmende süßliche, ja verlogene Gestik, die man natürlich auch schon zuvor findet (zum Beispiel bei eines »Sebastian« aus der Hand Peruginos), lässt wohl nicht allein atheistische Bewunderer religiöser Kunst auf Distanz gehen. Peruginos Figuren dagegen sprechen mit ihrem dunklen Inkarnat, ihrer stillen In-sich-Gekehrtheit und undramatischen Haltung fast unmittelbar an.

Perugino ist ein wunderbarer Künstler und der schöne Katalog mit seinen substanziellen Beiträgen lässt sich uneingeschränkt empfehlen.

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