Porträts

Auch die Gardine meiner toten Oma. Ein Porträt des Künstlers Christian Awe

Das Atelier von Christian Awe im obersten Stockwerk eines Berliner Geschäftshauses ist bis unter die Decke mit Regalen voll großformatiger Leinwände in unterschiedlichen Größen zugestellt. Alles hier ist funktional, regelrecht asketisch. Nur wenig Platz bleibt in dem Raum für die unzähligen Kunstbücher, einen schlichten Schreibtisch sowie die fertigen an Wand und Regalen lehnenden farbenfrohen Bilder. Susanne Braun hat ihn besucht und über sein Werk befragt.

»Meine Bilder sollen inspirieren, Kraft und Energie geben, sie sind von Grund auf positiv«, erklärt Christian Awe. Die Gemälde bestehen aus verschiedenen Farbschichten, die collagenartig etwa mit Sprühlack, Acryl- und Aquarellfarbe auf das Bild gesprayt, getropft, gemalt und zum Teil wieder entfernt werden, um eine darunter liegende Schicht freizulegen. Diese informellen »all over« scheinen oft grellbunte Farbexplosion zu sein, sind aber in Wirklichkeit ein geordnetes Chaos: »Ich habe das alles vorher im Kopf, aber nicht bis ins letzte Detail. Ich muss noch reagieren können«, beschreibt Christian Awe seine Arbeitsweise. »Von jeder Schicht mache ich ein Foto. Wenn es mir doch nicht gefällt, dann kommt einfach wieder eine neue Schicht darüber. Es hat etwas mit Gefühl und Nachdenken zu tun.« Eine Perspektive ist auf den Bildern schwer auszumachen. Grelle Farben unterer Schichten drängen sich in den Vordergrund während dunklere Passagen wirken, als lägen sie räumlich betrachtet dahinter. Großflächige Bereiche mit zum Teil impulsivem Farbauftrag neben filigransten Strukturen, Mustern und Formen verstärken eine Verwirrung, die den Blick des Betrachters fesselt und nach und nach immer mehr Details und Farbakzente erkennen lassen: »Ich bringe auf den Bildern alle möglichen Sachen, zu denen ich einen persönlichen Bezug habe, unter zum Beispiel Musik, Mitbringsel von Reisen oder auch die Gardine meiner toten Oma. Die Bilder sind für mich eine Art Tagebuch«.

Manche Gemälde sind kleinformatiger und bezüglich des Farbspektrums, der -schichten sowie der Strukturen zurückhaltender. In Hinblick auf Perspektive und Form spielen sie in ähnlicher Weise mit den Sehgewohnheiten des Betrachters. Nur schemenhaft lassen sich die Umrisse tanzender menschlicher Körper, mythologischer Gestalten und Fabelwesen wie Zentaure oder Meerjungfrauen sowie pflanzliche Strukturen erahnen: »Für mich geht es gerade vor allen Dingen darum, die Grenze von Figürlichkeit und Abstraktion zu durchleuchten«, sagt Awe.»Wie weit kann man das treiben?« Andere Bilder gewähren auf Grundlage sanfter Farbübergänge, die von einer mal mehr, mal weniger deckenden schillernden Farbschicht überzogen sind, den Blick auf eine bunte Galaxis bei Tag oder Nacht mit einzelnen hell leuchtenden Planeten. Variantenreich und virtuos dekliniert der Künstler sein künstlerisches Grundprinzip in den unterschiedlichsten Ausprägungen durch.

Seine Wurzeln liegen in der Graffiti- und Sprayer-Szene sowie im Streetball. Draußen, in der Mitte der großzügigen Dachterrasse, wo er auch seine Bilder malt, hängt immer noch ein Basketballkorb. Für den ehemaligen Deutschen Meister ist dieser Sport eine willkommene Abwechslung: »Manchmal werfe ich zwischendurch ein paar Körbe«. Sein Interesse für etablierte Kunst hat erst das Studium an der Universität der Künste in Berlin bei Georg Baselitz und Daniel Richter richtig wecken können: »Ich bin einfach so angenommen worden, ich kannte da vorher keinen. Früher bin ich auch nicht gerne in Museen gegangen. Das hat sich mittlerweile natürlich geändert. Ich finde Kunst interessant, die ihre Vergangenheit kennt«.

Natürlich spiegeln auch seine Bilder die Kunstgeschichte. Mittels auf Leinwand getropfter Farbe zitiert er die erheblich weniger bunten »Drip Paintings« von Jackson Pollock, der damit 1948 die Kunstwelt schockierte. Parallelen lassen sich auch zur Arbeitsweise Robert Rauschenbergs ziehen, der in seine »Combine Paintings« Alltagsgegenstände, überwiegend Abfall, einbezieht oder zur die Grenzen des Genre auslotenden Malerei der 60er Jahre, wie Dr Gabriele Uelsberg im Katalog zur Ausstellung »Amour Fou« in der Galerie Ludorff in Düsseldorf darlegt. Mit seinem außergewöhnlichen abstrakten Expressionismus hat Christian Awe auch Manuel Ludorff, den Inhaber der Düsseldorfer Galerie mit vierzigjährigem Bestehen, überzeugt.

Dieser sagte im Interview: »Wir kennen ja sehr viel Malerei, die Galerie befasst sich fast ausschließlich mit Malerei seit vierzig Jahren, traditionell von Liebermann, Impressionismus, bis heute und Christian ist einer der ganz wenigen Künstler, die mich wirklich begeistert haben, von Anfang an, wo ich vor Bildern stand und erstmal sprachlos war und, ja, mich gefragt habe, wie macht er das jetzt genau, auf dem ersten Bild, auch das Bild hier hinter uns wirkt sehr gestisch, aber wenn man dann näher geht, ist es doch ganz raffiniert und vielschichtig gemacht, gearbeitet, was sich also auf den zweiten oder dritten Blick vielleicht zum Teil erst erklärt und das ist, glaube ich, das Reizvolle an Christians Malerei, dass sie nicht auf den ersten Blick so erfahrbar, erfassbar ist, sondern dass sie auf längere Zeit wirklich wächst und dass man da ganz spannende Dinge entdeckt noch. Auch im Rahmen dieser Ausstellung erkennt man, dass Christian nicht nur einen Weg beschreitet, sondern dass da sehr viel Neugier drinsteckt und hintersteckt«.

Immer wieder geht Christian Awe Kooperationen ein und verlässt den klar definierten Bereich der Malerei. Dann entwirft er beispielsweise gemeinsam mit einem Designer ein Damenkleid oder gestaltet das Äußere eines Koffers oder Kühlschranks: »Mich interessiert daran nicht, einen Kühlschrank zu designen. Für mich geht es um die Frage: Wann ist etwas noch Kunst? Wie funktioniert die technische Umsetzung? Wie schaffe ich es, dass die Farbe auf Edelstahl hält und auch kratz- und stoßfest ist?« Genauso wichtig ist ihm der direkte Kontakt zu seinem Publikum. Christian Awe gibt zahlreiche Malkurse in verschiedenen deutschen Städten sowie in der russischen Stadt Perm oder den USA: »Es geht darum, Kunst zu demokratisieren. Sie soll für jeden da sein«, erklärt er dieses Engagement. Dabei liegt ihm der Berliner Stadtteil Lichtenberg, wo er lebt und arbeitet, ganz besonders am Herzen: »Wir möchten den Bezirk gerne für Familien und beispielsweise auch für Künstler attraktiv gestalten. Ich bin um die Ecke geboren worden und wohne schon mein Leben lang hier. Anfangs hatten wir viele Probleme mit der rechten Szene, da sind Leute aus dem Westen gekommen und haben hier fast alles aufgekauft. Ich engagiere mich sehr gegen Rechts zum Beispiel, indem ich Malkurse gebe. Wenn die Menschen mal mit Kunst in Berührung gekommen sind, das verändert etwas, das kann man deutlich merken«. An Christian Awes Gestaltung einer Hausfassade in Lichtenberg beispielsweise konnte sich jeder beteiligen, der wollte.

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